Herbst der Vergeltung. Erik Eriksson

Herbst der Vergeltung - Erik Eriksson


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ziemlich breit gebaut und dunkelhaarig. Der Mann mit der Jacke ging schnell über die Straße, hielt kurz am Treppenabsatz inne und ging dann rasch hinunter. Er wurde wieder langsamer, als er in die Halle mit den Sperrgittern kam, er hielt am Kiosk an, sah kurz auf die Zeitungsaushänge, schielte auf die Schlange vor dem Fahrkartenschalter, bevor er weiterging. Als er sich dem Sperrgitter näherte, hatte er bereits das Ticket in der Hand.

      Der Mann mit der Einkaufstüte stand auf dem Bahnsteig, als der Zug einfuhr. Er ließ einige Jugendliche vor, bevor er selbst in den Wagen stieg. Gleichzeitig, oder vielleicht einige Sekunden danach, stieg auch der Dunkelhaarige durch eine andere Tür in denselben Wagen ein. Er stellte sich mit dem Rücken zum Glatzköpfigen, der die Einkaufstüte immer noch in der rechten Hand hielt. Mit der anderen Hand hielt er sich an der Haltestange fest. Am Bahnhof stieg der Mann mit der Tüte aus, der andere Mann tat es ihm gleich.

      Der glatzköpfige Mann dachte an alles Mögliche. Der breit gebaute Mann mit der Jacke dachte nur an eines: den Mann, dem er folgte, nicht aus den Augen zu verlieren, nicht, nachdem er ihn endlich aufgespürt hatte, seine alltäglichen Wege und Beschäftigungen herausgefunden hatte. Tagelang war er dem Mann gefolgt, ohne etwas Besonderes zu fühlen, keinen Hass, keine Unruhe, auch nicht diese spezielle Konzentration, die Kälte, die im Bauch entstand und sich durch den Hals hochschlich und einen bestimmten Geschmack im Mund verursachte. Es passierte, dass es sich für ihn wie eine reine Alltagsroutine anfühlte, wenn er auskundschaftete, Nachforschungen anstellte, dem Mann, den er ausgewählt hatte, folgte.

      Aber heute war nicht so ein ruhiger Tag. Nun kam die Kälte wieder und mit ihr der Hass. Er betrachtete den Mann aus der Distanz, sah nur ihn, alles andere um ihn herum wurde zu konturlosen Schatten.

      Der Mann mit dem Mantel ging hinauf zum Sergels Torg. Dort wählte er den unteren Weg zu Åhléns hinein und kaufte eine Abendzeitung, bevor er die Rolltreppe nach oben zur Etage für Herrenbekleidung nahm.

      Er kaufte zwei Paar Unterhosen, Modell Shorts, und ein Paar dünne schwarze Socken. Neben einem großen Tisch mit karierten Flanellhemden stand der Dunkelhaarige und tat so, als würde er zwischen den Kleidungsstücken wühlen, während er in Wirklichkeit dem anderen Mann folgte. Der hatte keine Eile, hatte Zeit im Überfluss, er hatte ein vereinbartes Treffen in einigen Stunden.

      Um halb acht sollte er in der Humlegårdsgata sein. Er würde dorthin laufen oder die U-Bahn nehmen. Der Mann, der ihm folgte, wusste das, oder nahm es zumindest an, aus gutem Grund, denn der Mann, den er im Auge behielt, legte sehr viel Wert auf diese ziemlich regelmäßigen Besuche in der Humlegårdsgata. Der Mann mit der Tüte entschied sich, zu Fuß zu gehen, aber das änderte nichts für den, der ihm folgte, nicht jetzt. Erst später am Abend musste alles stimmen.

      Der Mann mit dem Mantel war von seinen Gewohnheiten ein paar Mal abgewichen in der letzten Zeit, andere Wege gegangen, zu früh zurückgekommen, als noch viele Leute in der U-Bahn waren. Deswegen hatte der Dunkelhaarige seine Pläne verwerfen müssen. Und ihm war klar, dass er vielleicht noch öfter dazu gezwungen sein würde. Aber er war trotzdem bereit, seinen Plan in die Tat umzusetzen, wenn sich die günstige Gelegenheit bot.

      Kurz nach halb acht ging der Mann mit der Einkaufstüte in einen Hauseingang in der Humlegårdsgata, nicht weit von dem Platz, von dem aus der Mann mit der Jacke einige Stunden zuvor die Verfolgung aufgenommen hatte. Bis hierhin stimmte der Plan des Verfolgers. Nun würde er eine halbe Stunde warten müssen, vielleicht auch eine Dreiviertelstunde.

      Seine Wartezeit war kürzer, als er gedacht hatte. Der Glatzköpfige kam nach einer knappen halben Stunde wieder heraus. Jetzt hatte er seinen grauen Mantel wieder zugeknöpft und die dezent karierte Mütze wieder aufgesetzt. Er ging zur U-Bahn-Station am Östermalmstorg. Dieses Mal nahm er den Eingang an der Nybrogata.

      Das passte dem Mann mit der Jacke ausgezeichnet. Der Zeitpunkt war der Richtige. Es waren kaum noch Leute unterwegs, die Rush hour war vorbei, noch war es aber zu früh, um sich amüsieren zu gehen.

      Auch der weitere Fortgang entwickelte sich so, wie er gehofft hatte. Aber jetzt dachte er nicht länger an seinen Plan, er sah nur den Mann, gegen den sich sein Hass richtete, und der nicht das Geringste davon zu ahnen schien. Der Bewacher bewegte sich schnell, sein Körper fühlte sich federleicht an, er hörte das leiseste Geräusch, nahm jeden Geruch wahr, er hatte weiterhin nur die Kontrolle über einen begrenzten Wahrnehmungsbereich, aber der Mann, den er beobachtete, trat in Detailschärfe hervor.

      Der Glatzköpfige, der seine Glatze jetzt mit der Mütze bedeckt hatte, ging langsam zum Bahnsteig hinunter, lenkte seine Schritte in Richtung des abgelegenen Teils des Bahnsteigs, wo sich gerade niemand aufhielt. Er schien in Gedanken versunken. Vielleicht dachte er über den Besuch bei der Frau nach, die er zu besuchen pflegte, oder er dachte, wie er gleich seiner eigenen Frau begegnen würde, was ihm aber wohl keine größeren Probleme bereitete, denn sie stellte niemals Fragen darüber, wo er gewesen war oder was er getan hatte. Deswegen hatte er sich auch eine Frau aus Thailand ausgesucht, eine Frau, die ihm Respekt erwies. Oder er dachte überhaupt nicht nach, lief nur und wartete auf den Zug, war müde und arglos.

      Nun war er bis zu der Betonwand geschlendert, an der der Bahnsteig endete. Er hatte noch einige Meter vor sich. Sein Verfolger war sehr nah. Vom Tunnel her kam ein leichter Luftzug, ein anschwellendes Grollen, ein Zug näherte sich von Gärdet. Der Luftzug wurde stärker, presste den Geruch von Feuchtigkeit vor sich her, Feuchtigkeit, Keller, Berg, Kälte, gleichzeitig steigerte sich der Lärm zu einem Donnern.

      Da fühlte der Mann einen festen Griff rund um seinen Nacken und seinen einen Arm. Bevor er nach vorne geschoben wurde, gelang es ihm, zu begreifen, dass ihn jemand von hinten gepackt hatte. Er durchlebte unmittelbare Angst und versuchte, sich dagegen zu stemmen, aber derjenige, der sich hinter ihm befand, war schwer und stark.

      Der Mann wurde mit großer Kraft nach vorne gestoßen, über die Bahnsteigkante, bis zur Betonwand und der Gittertür, die den Übergang zum verbotenen Bereich markieren, wo der Tunnel beginnt. Gleichzeitig kam der heranrauschende Zug aus dem Tunnel. Der Mann befand sich für eine halbe Sekunde in der Luft, bevor sein Körper auf die Front des Führerhauses traf. Er wurde unmittelbar danach unter den Zug gezogen, seine beiden Beine wurden seitlich verdreht und landeten auf den Gleisen, wo sie direkt unterhalb der Hüfte von den rollenden Stahlrädern abgeschnitten wurden. Dadurch wurde sein Körper hochgewirbelt, und sein Kopf krachte gegen das nächste Rad. All das geschah innerhalb weniger Sekunden.

      Derjenige, der den nun toten Mann gestoßen hatte, war schon längst wieder auf dem Rückweg. Noch bevor der Zug es geschafft hatte anzuhalten, hatte er den Bahnsteig schon verlassen, mit dem Fahrstuhl, den er schon eine gute Weile zuvor heruntergerufen und dessen Tür er offen gehalten hatte – mit Hilfe einer zusammengerollten Zeitung, einer Metro, der kostenlosen Pendler-Zeitschrift, die er in der Eingangshalle mitgenommen hatte.

      Der Dunkelhaarige mit der Jacke ging die Humlegårdsgata hinunter in Richtung Stureplan, vorbei an dem Hauseingang, in dem er zuvor gestanden und auf den Mann gewartet hatte, den er eine lange Zeit verfolgt hatte, seit er sich entschieden hatte, ihn zu töten.

      Die Konzentration nahm weiter ab, der Hass war fort. Er begann sich müde und leer zu fühlen und trocken im Mund. Jetzt, da er seinen Plan endlich in die Tat umgesetzt hatte, fand er, dass es viel zu schnell gegangen war. Leicht war es gewesen, aber der Glatzköpfige war zu einfach davongekommen.

      Ich hätte es nicht so eilig haben sollen, dachte er, ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, etwas zu ihm zu sagen, er hätte die Chance haben sollen zu begreifen. Das war überhaupt nicht gut.

      Je mehr er darüber nachdachte, desto rastloser fühlte er sich. Das war letztes Mal anders gewesen.

      12.

      Das Meer schimmerte vor dem Fenster des Häuschens. Im Osten sah man das ganze Jahr über kleine Stücke des Horizonts durch den lichten Kiefernwald, weil sich die Kiefernkronen im Lauf der Jahreszeiten nicht veränderten. Verner hatte oft darüber nachgedacht. Hätte das Häuschen ein wenig weiter südlich an der Küste gelegen, wäre der Strand vielleicht mit Laubbäumen bewachsen gewesen, deren Blätter im Herbst herabgefallen wären und die dann wenigstens eine Zeit lang eine schöne Aussicht geboten, ein halbes Jahr lang aber


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