Herbst der Vergeltung. Erik Eriksson

Herbst der Vergeltung - Erik Eriksson


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gesprochen?«

      »Ich wurde aufgefordert, mit ihm in Kontakt zu treten, und das habe ich auch getan.«

      »Hat es etwas gebracht?«

      »Kaum, er hatte nichts Interessantes zu bieten.«

      »Wie geht es ihm?«

      »Er hat ein schlechtes Gedächtnis, nimmt starke Medikamente, glaube ich.«

      »Hm.«

      Mehr wurde über Verner nicht gesagt. Margret überlegte, ob Lennart Philipsson vielleicht mehr über Verner wissen wollte und dass der Dezernatsleiter vielleicht aufrichtiges Mitgefühl für seinen alten Kollegen hegte.

      Nach der Arbeit ging Margret hinunter in den Trainingsraum. Nach dem normalen Training blieb sie noch und absolvierte ein hartes Spezialprogramm mit Pelle Mogren vom Reichskrim und Morgan Larsson von der Citypolizei. Sie hielt bei allen Ausdauerübungen mit den Jungs mit, und auch beim Training von Beweglichkeit und Schnelligkeit. Sie machten am liebsten Liegestütze, aber Margret hatte kein Interesse an starken Armen mit Muskelpaketen daran. Zum Schluss trainierte sie einige Schlagserien mit mehreren Arten von Fußtritten. Sie erhöhte das Tempo, die Schläge gegen einen imaginären Gegner waren blitzschnell, die Konturen ihrer Fäuste lösten sich auf, Arme und Beine wurden zu fließenden Schatten. Sie bat Morgan, das Lederkissen für sie zu halten. Wollte er, traute er sich? Sie lachten, Morgan kannte das schon, das hier war schließlich nicht das erste Mal. Als sie gegen das dicke Lederkissen schlug, schob sie den fünfundachtzig Kilo schweren Kollegen rückwärts über den Boden. Er bediente sich all seiner Muskelkraft und Schwere, um bei den Schlägen gegenzuhalten, stand aber bald mit dem Rücken an der Wand.

      Margret fuhr mit dem Auto zur Arbeit, ihrem dunkelblauen, nicht ganz neuen Saab 9000. Das Auto zu nehmen war eine neue Angewohnheit, sie brauchte es, um sich schneller von Ort zu Ort bewegen zu können, vor allem zu denen, die sie neben dem Dienst noch aufsuchte. Ein solcher Ort war Älvsjö. Sie wohnte selbst in der Gegend, in Årsta, im Långhalsväg. Dort hatte sie eine Einzimmerwohnung mit einer kleinen Küche mit Gasherd, einem großen Zimmer mit Balkon und einem kleinen Badezimmer mit grünen Wänden.

      Sie war gegen sieben zu Hause, trank Tee, aß ein paar Butterbrote und legte sich mit den Abendzeitungen in die Badewanne. Nach einer guten Stunde stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab, setzte sich im Bademantel vor den Fernseher und zappte. Sie ließ die Zeit vergehen, dachte bei Flimmerbild und Stimmengewirr nach. Wetterbericht, ein Dokumentarfilm über Bauernboote aus Dalarna, die Nachrichten, Sport. Sie war in Gedanken beim Älvsjömord, bei Verner und seiner Abgeschiedenheit und bei seinen Gewaltausbrüchen, von denen sie gehört hatte. Sie dachte: Er ist abweisend, vielleicht nicht mal nett, und wohl auch sehr misstrauisch. Aber ist er ein möglicher Täter? Sie wusste es nicht, denn sie kannte ihn nicht. Seinen Ruf kannte sie zwar, aber sie wusste nicht recht, was sie von ihm halten sollte.

      8.

      Es kamen noch einige schöne Tage am Ende der Woche. Am Donnerstag hatte es geregnet, aber der Freitag wurde warm mit niederschlagsfreiem Wetter und dünnen Wolken, die sich nach dem Mittagessen auflösten. Birgitta hatte um drei Uhr Schluss, im Lagerbüro des Kaufhauses Åhléns, wo sie in der Buchhaltung arbeitete, galt die Sommerarbeitszeit.

      Sie dachte immer noch oft an den Mord. Vielleicht nicht die ganze Zeit, wie sie es in den ersten Tagen getan hatte. Da war sie oft aufgewacht, zu den Jungen hinein geschlichen und hatte sich wieder hingelegt, aber doch nicht wieder einschlafen können, war wieder aufgestanden und hatte die Tür überprüft. Jetzt kam die Unruhe nur noch hier und da, wie in Wellen, und es waren immer die Jungen, an die sie dachte. Nur die Jungen.

      Jemand in Älvsjö hatte von der Polizei gehört, dass der Mörder vermutlich nicht aus der näheren Umgebung kam, das glaubten sie jedenfalls nicht. Derjenige, der getötet worden war, wohnte wohl nicht dort. Warum der Mord in ihrer Umgebung geschehen war, wusste die Polizei offenbar nicht, es war vielleicht einfach nur Zufall.

      Birgitta versuchte sich einzureden, dass es wohl so war. Und sie hatte in der Zeitung gelesen, dass der Mörder absolut nicht pädophil war. Es war ein Experte, der das gesagt hatte, einer von diesen Typen, die immer etwas zu sagen hatten, wenn es um Mord ging.

      Birgitta hoffte, dass es so war, doch, sie fühlte sich fast sicher.

      Viertel vor fünf war sie zu Hause in Älvsjö. Bengt war schon wieder da, dabei hatte sie ihn erst gegen sechs erwartet.

      Er saß auf dem Balkon, sagte aber nichts, als sie die Tür öffnete. Sie sah nicht einmal seine Jacke, da er sie anbehalten hatte. Erst, als sie die Einkäufe auf der Arbeitsplatte in der Küche abstellte, sah sie die verschüttete Bierlache und begriff.

      »Bist du zu Hause?«, rief sie und ging dabei hastig zur Balkontür.

      Er las eine Zeitung, nahm einen Schluck aus dem Bierglas, sah auf, verstand nicht, warum sie so zu ihm hastete.

      »Du bist ja wieder spät«, sagte er.

      »Es gab überall nur lange Schlangen.«

      »Mmh, sollen wir noch eine Kleinigkeit essen, bevor wir aufbrechen?«

      »Ein Brot vielleicht, ich kann schnell welche machen, willst du etwas Besonderes drauf?«

      »Na ja, ich weiß nicht, ist egal.«

      Er war wieder zu seiner Zeitung zurückgekehrt. Birgitta war schon auf dem Weg zurück in die Küche, als sie anhielt.

      »Schreiben sie was?«, fragte sie.

      Es war der Mord, den sie meinte. Aber Bengt las den Sportteil, Hammarby hatte Örebro zwei zu eins geschlagen. Er hörte Birgittas Frage, verstand sie aber nicht und gab keine Antwort.

      Als sie Brotlaib, Butter und Belag zurechtlegte, dachte sie immer noch an den Mord und an die Jungen, aber eine andere Sorge gewann die Oberhand:

      Wie würde der Abend werden? Sie wusste es noch nicht, es war noch zu früh, aber vielleicht würde es ja gut gehen. Sie hoffte es. Sie wusste es nicht, aber sie hatte gelernt, dass das Blatt sich schnell wenden konnte. Aber sie hoffte immer.

      Sie aßen die Brote in der Küche. Bengt öffnete noch ein Bier, sagte, dass er es ruhig angehen lassen wolle, es mache nichts, wenn sie erst gegen acht kämen. Sie könnten ja das Auto nehmen, und Birgitta könnte später zurückfahren.

      »Natürlich«, antwortete sie, »ich fahre.«

      Bengt pflegte selten im Voraus zu sagen, dass sie ja nach Hause fahren könnte, wenn sie eingeladen waren, aber es war meistens der Fall, da er gerne trank und sie sich zurückhielt. Aber jetzt sagte er es, und sie fragte sich, warum.

      Nein, sie fragte sich wohl nicht, sie hatte es verstanden. Er wollte ausspannen, er hatte sicherlich die ganze Zeit an das Abendessen gedacht, sich darauf gefreut, seinen Bruder und seine Schwägerin zu treffen, mit ihnen essen und trinken zu können.

      Leila kam, bevor sie fuhren. Sie hatte eine Flasche Wein dabei, sie hatte versprochen, nach den Jungen zu sehen, sie ins Bett zu bringen und bei ihnen zu bleiben, bis sie eingeschlafen waren, vielleicht eine Weile zu sich nach Hause zu gehen, dann aber wieder hineinzuschauen, und sie würde anrufen, wenn etwas sein sollte.

      Leila Nurmes wohnte im Aufgang nebenan, sie hatte ihren Schlüssel.

      Als sie sich von Leila verabschiedeten, dachte Birgitta, dass sie lieber mit ihrer Freundin zu Hause geblieben wäre, Wein getrunken und geredet, die Zeit hätte vergehen lassen. Und sie fühlte, dass Leila genauso dachte. Sie mochten sich, sie hatten immer eine Menge zu bereden. »Ein anderes Mal«, sagte Leila, als ob sie Birgittas Gedanken gelesen hätte.

      Sie lächelten einander an, als sie sich verabschiedeten.

      Bengt fuhr, obwohl er schon einige Starkbiere getrunken hatte. Er saß stumm hinter dem Steuer. Birgitta versuchte, über die Jungen zu sprechen, über Dinge, die sie auf der Arbeit getan hatte, über eine Fernsehsendung, die sie gesehen hatte, gab aber auf, als sie keine Antwort bekam. Erst als sie vom Nynäsväg nach Tyresö abbogen, murmelte Bengt etwas, das Birgitta nicht verstehen konnte.

      »Wie


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