Revolverhelden auf Klassenfahrt. Hartmut El Kurdi

Revolverhelden auf Klassenfahrt - Hartmut El Kurdi


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wir, wenn schon nichts vernünftiges, so doch immerhin etwas anderes gelernt hatten als Popstar.

       Howard X und die schwarze Macht des ZDF

      VOR UND KURZ NACH SEINER WAHL sahen wir Europäer Barack Obama als links-liberalen Messias, als eine Mischung aus Kennedy, Willy Brandt, Olof Palme und Che Guevara. Aber schon in der ersten Amtszeit wurde klar: Auch er wird Guantanamo nicht auflösen, weiter sinnlose Kriege führen und gnadenlos die Interessen der großen amerikanischen Konzerne vertreten. Als er dann quasi persönlich Angela Merkels Handy abhörte, war die Liebe endgültig enttäuscht. Das Ausmaß der Enttäuschung kann man aber nur verstehen, wenn man die vorangegangene, maßlose Verehrung genauer betrachtet.

      Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass es vorher jemals einen deutschen Schlager über einen amerikanischen Präsidenten gegeben hätte. Mal abgesehen vom Abrüstungsschunkler »Sonne statt Reagan« von Joseph Beuys: »Aus dem Land / Das sich selbst zerstört / Und uns den »way of life« diktiert / Da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod«. Nun gut, Beuys wurde ja auch nicht als Singer-Songwriter auf die Documenta eingeladen.

      An Barack Obama allerdings gibt es eine Ode von einem unserer ganz großen Musikschaffenden: Howard Carpendale. Rätselhafterweise wurde das Lied kein Hit. Auch ich hätte es fast nicht wahr genommen. Glücklicherweise aber neige ich manchmal zu unkontrolliertem TV-Genuss, und so zappte ich mich im Dezember 2008 desorientiert in Carmen Nebels ZDF-Weihnachts­show, wo ich Carpendale nachdenklich auf einem Barhocker sitzen sah. Und Musik hob an. Schon in diesem Moment spürte ich, dass gleich etwas Besonderes passieren würde.

      Carpendale nennt seinen Sound in Interviews gerne »internationale Popmusik«, wir anderen, die wir nicht in Howies kleiner Parallelwelt leben, nehmen den Klang anders war: Es ist eine erbsensuppige, urdeutsche 80er-Jahre-Geräusch-Matschepampe. Wenn man ganz still ist und sich mit einer superheldenartigen Energie konzentriert, glaubt man zwar mitunter, echte Musikanteile heraushören zu können, die aber so verkocht und mit dem ESGE-Zauberstab püriert wurden, dass nur noch Moleküle davon übrig geblieben sind.

      Das Intro des Songs wurde von einer jungschnatzigen, durchschnittsattraktiven Mietmusikerin gespielt, die in einem schulterfreien Abendkleid am Flügel saß und so einen schönen Gegensatz zum verlebten, bernhardinergesichtigen Carpendale bildete, der das Lied gesanglich mit folgenden Worten eröffnete: »Ich kenn ihn aus dem Fernsehen / Seit über einem Jahr / Am Anfang war ich skeptisch / Doch am Ende war mir klar / Wenn einer etwas ändert / Dann ist es sicher er ...« Und spätestens jetzt wusste ich, worum es ging, und hatte Angst vor jeder weiteren Zeile. Das konnte der doch nicht wirklich ernst meinen. Aber Howie kannte keine Gnade: »Und ich hätt auch mitgeschrien / Wenn ich dabei gewesen wär: Yes we can!«

      Oh mein Gott! Howard Carpendale, der weiße Bub aus dem ehemaligen Rassistenland Südafrika, versuchte hier offensichtlich, ein Lebenstrauma aufzuarbeiten. Selbstverständlich stammt der Text dieser »Hymne der Superlative im orchestralen Soundgewand« (Presseinfo) nicht von Carpendale selbst, sondern von seinem »Freund und Texter« Joachim Horn-Bernges, auch »liebevoll Knibbel genannt« (Carpendale-Fan-Seite), der den Song allerdings auf Carpendales Aufforderung hin schrieb. Dazu Carpendale: »Ich habe in letzter Zeit mit vielen Freunden in Deutschland gesprochen und konnte die negative Stimmung nur noch schwer ertragen. Also habe ich Joachim angerufen und ihm gesagt, wir brauchen für die Weihnachtstour noch einen Song, der nach vorne geht, der den Menschen in dieser schweren und unsicheren Zeit wieder Mut macht. Ich sagte ihm einfach ›Yes We Can‹ und der Song war geboren.« Und so textete Knibbel, von Howie aufgepeitscht, gehorsam und vollrohr nach vorne: »Es war die Nacht der Nächte / Und ich war bis morgens wach / Und ich wünschte mir nichts mehr / als dass dieser schwarze Mann es schafft ...«

      In Carmen Nebels Fernsehshow kam dann passend zu dieser Textzeile der schwarze Mann ins Bild beziehungsweise eine Gruppe schwarzer Menschen, die man für die Fernsehkamera in wallende Gospelkostüme gesteckt hatte. Um das Wohlwollen des weißen Mannes am Mikrofon zu illustrieren, mussten die Chormitglieder dann im Refrain »Yes we can« playbacken und dazu ihre Fäuste in die Luft recken, wie dereinst die schwarzen Lauf-Helden Tommie Smith und John Carlos bei der Olympiade in Mexiko.

      Zum großen Finale dieses verstörenden Black-Power-Mini-Musicals ließ der Regisseur den Chor dann auch noch nach vorne zum Bühnenrand stampfen als befänden sie sich auf dem Marsch nach Washington. Und Howard Luther King hob an zur Moral des Songs: »Schreibt es groß auf Häuserwände / Malt die Straßen damit voll...« Ja, was denn, womit denn? Keine Macht für Niemand? Neue Männer braucht das Land? Nein: »Wir können alles, wenn wir’s woll’n«. Wer würde da widersprechen wollen? Selbstverständlich können wir alles! Sogar einen FDP-Schlager über Oba­ma schreiben, damit im Fernsehen auftreten und im Hintergrund einen Gospelchor als Schmonzettenhopse missbrauchen. Man muss nur abgefuckt genug sein. Es bleibt zu hoffen, dass Obama wenigstens auch Carpendales Erwartungen enttäuscht hat. Das wäre immerhin etwas.

       Aus Sparschweinchens Oktavheft

      ALS FREISCHAFFENDER KÜNSTLER hat man ständig Angst vor dem Verarmen. Immer, wenn ich einen Obdachlosen sehe, denke ich: So könntest du auch mal enden. Und das ist kein Spaß. Deswegen werfe ich auch jedem Bettler etwas in den Plastikkaffeebecher. Und das, obwohl ich zur extremen Sparsamkeit erzogen worden bin. Diese Knauser-Erziehung wiederum bewahrt mich davor, permanent panisch zu sein, weil ich weiß, dass ich zur Not auch mit wenig auskomme.

      Ich bin nämlich ein Kriegskind. Nicht wirklich, also alterstechnisch, sondern in der Generationenfolge. Da meine Mutter 1924 geboren wurde, hätte ich theoretisch auch 1942 auf die Welt kommen können. Praktisch erblickte ich aber erst 1964 das Licht der Welt, weil sich meine Eltern im hohen Alter dann doch noch einmal zum Geschlechtsverkehr entschlossen. Ich hoffe, sie taten es nicht nur um meiner Willen, sondern hatten auch ein wenig Spaß dabei.

      So wurde ich aber quasi von der Generation der Großeltern meiner Schulkameraden aufgezogen. Einer Generation, die noch von den harten Entbehrungen des Krieges und der Nachkriegszeit geprägt war und diese Erfahrungen an ihre Kinder weitergab.

      Während meine Altersgenossen Tri-Top tranken, Kinderschokolade mampften, kaputtes Spielzeug einfach weg­schmissen und im Sommer auf dem Rücksitz des neuen VW-Jahreswagens nach Italien in den Urlaub fuhren, sahen meine 60er- und 70er-Jahre folgendermaßen aus: Schimmel wurde einfach vom Brot weggeschnitten oder von der Marmelade abgelöffelt und dann: rein mit dem Zeugs! Alte Seifenreste sammelte meine Mutter mit der Passion eines manischen Eichhörnchens und presste sie unter Hochdruck zu neuen kunterbunten und olfaktorisch verwirrenden Patchwork-Waschklötzen. Restaurants und selbst Stehimbisse kannte ich nur von außen oder aus dem Fernsehen. Wenn unsereins aus dem Haus ging und befürchtete, von Hunger und Durst überrascht zu werden, dann hatte man gefälligst eine Schmalzstulle und eine Thermoskanne mit ungesüßtem Hagebuttentee mitzuführen.

      Ach, und »UHU« war für mich ein Begriff aus der Ornithologie – für Bastelarbeiten, zum Papierkleben rührte ich in einem ausgewaschenen Joghurtbecher (»ohne Geschmack«!) ein wenig Mehl mit Wasser an.

      So nützlich solche Low-Budget-Erfahrungen letztlich sind, um die irrationale Angst vorm Verhungern zu vertreiben, so schwierig machen sie aber auch oft den Alltag. Eine Zeitlang musste ich aktiv gegen die Unfähigkeit, Dinge wegzuschmeißen, angehen. Ich bin nämlich nicht nur sparsam – ich bin leider auch eine Schlampe. Und diese fatale Kombination kann schnell zum Messietum eskalieren. Deswegen schmeiße ich neuerdings alles weg, was ich nicht innerhalb des nächsten Monats gebrauchen kann.

      Na ja ... das würde ich gerne ... Aber schon das Formulieren einer solch radikalen Ausmist-Haltung macht frei und gibt Mut für den nächsten beherzten Wegschmiss. Genauso wie vollkommen haltlose öffentliche Geständnisse.

      So behauptete ich vor einiger Zeit in einer Kolumne, dass ich alle Teebeutel sieben bis neun Mal benutze, um sie anschließend auf der Wäscheleine zu trocknen, mit einem Überzug aus den Resten dünngeschneuzter Stoff-Taschentücher zu versehen und als Federdeckchen für die Playmobilfiguren meiner Tochter zu verwenden. Meine Tochter schüttelte nur den Kopf über diesen Unsinn. Vor allem, weil sie nie Playmobilfiguren besaß. Die sind nämlich zu teuer. Nein, war


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