Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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und über den Krieg draußen in der Welt.

      Die Kälte hielt den ganzen Januar über an, die Bucht war völlig vereist, doch der Wind brach Eisrinnen in das Åländische Meer. Eisschollen türmten sich auf und erschwerten die Überfahrt mit dem Schlitten. Reisende kamen erschöpft und müde ins Posthaus, um dort zu übernachten.

      Johanna ging oft mit dem Essen hinauf zur Telegrafenstation. Sie sah den Signalisten bei der Arbeit zu, fragte, lernte das eine oder andere. Eines Abends hörte sie vom Postmeister, dass am folgenden Tag ein paar Herren aus Stockholm kommen würden, um die Telegrafenstation zu inspizieren. Johanna dachte nicht weiter darüber nach, es kamen ja hin und wieder Leute aus der Hauptstadt.

      Die Herren trafen vormittags mit dem Wagen ein, sie waren zu dritt, einer von ihnen hieß Edelcrantz. Johanna erfuhr, dass er der Konstrukteur der Telegrafenstation war.

      Ein wenig später bediente Johanna die Besucher im Salon. Die Herren waren in eine Diskussion vertieft, sie beachteten Johanna nicht. Sie brachte Kaffee und Gebäck, stellte sich an die Wand, um auf weitere Anweisungen zu warten, gleichzeitig hörte sie dem Gespräch zu, das sich um die Telegrafenstation drehte und um die Schwierigkeiten, die Tabellen deuten zu lernen.

      »Mir macht Ihre Tabelle etwas Sorgen, Herr Kanzleirat«, sagte einer der Männer, die sich in der Gesellschaft von Edelcrantz befanden. »Einige der Signalisten brauchen sehr lange, um die Kombinationen zu finden, aber so ist das wohl mit der neumodischen Technik, dass Schwierigkeiten nicht zu vermeiden sind.«

      »Ich bin absolut nicht deiner Meinung, lieber Maurius«, antwortete Edelcrantz. »Ich behaupte, dass sogar ein Kind mein System leicht lernen kann.«

      »Ja, Sie haben das in Ihrer Abhandlung geschrieben, Herr Kanzleirat«, sagte der dritte Mann in der Gesellschaft.

      »Genau«, sagte Edelcrantz. »Ich habe das geschrieben, weil ich weiß, dass es so ist.«

      »Einige Gegner haben sich erlaubt, Zweifel daran zu äußern«, sagte der Mann, der mit Maurius angeredet worden war.

      Jetzt wandte sich Edelcrantz Johanna zu, lächelte sie an, bedeutete ihr mit der Hand, sie möge näher treten.

      »Wie alt bist, mein Mädchen?«, fragte er.

      »Ich bin Anfang dieses Jahres vierzehn geworden, mein Herr«, antwortete Johanna.

      »Und wie heißt du?«

      Johanna nannte ihren Namen, Edelcrantz nickte und lächelte sie wieder an.

      »Kannst du lesen?«

      »Ja, mein Herr, das kann ich.«

      Edelcrantz wandte sich den beiden anderen Herren zu, zeigte auf Johanna und sagte mit etwas lauterer Stimme: »Ich wage zu behaupten, dass unsere hübsche Johanna mein Signalsystem an einem einzigen Nachmittag lernen kann.«

      »Ich erlaube mir, das in Zweifel zu ziehen«, antwortete Maurius.

      »Es ist dein gutes Recht, daran zu zweifeln, lieber Maurius«, sagte Edelcrantz. »Aber ich möchte, dass ihr alle mit hinauf zur Telegrafenstation kommt.«

      Sie brachen gegen zwei Uhr auf. Der Postmeister zeigte den Weg, Johanna ging als Letzte hinterher. Der Wind wehte kalt vom Meer herüber. Edelcrantz redete die ganze Zeit über die Natur, die Beschaffenheit der Luft und deren Auswirkung auf die Sicht. Er meinte, dass es angebracht sei, optische Signalstationen in der Nähe des Meeres anzulegen.

      Die Männer in der Station waren überrascht und auch ein wenig beunruhigt über den Besuch. Inspektion konnte Klagen und Bestrafungen bedeuten, das wussten sie. Irgendetwas konnten sie wohl immer einmal versäumt haben.

      Edelcrantz jedoch war gut aufgelegt, er begrüßte die Männer freundlich. Dann begann er, das Signalsystem mit Johanna durchzugehen. Er zeigte auf jedes kleine Detail auf der Tastatur, nannte alles beim Namen, erläuterte, wie die einzelnen Teile zusammenhingen, wie man die Signale anordnete, wie man die Nachricht fertig machte. Dann bat er Johanna, alles zu wiederholen. Jeden Handgriff musste sie selbst ausführen. Als alles durchgegangen war, begann er wieder von vorne.

      Dann zeigte er ihr, wie das Teleskop gehandhabt wurde, wie man die Schärfe einstellte, wie sie die Signaltafel auf der anderen Seite des Meeres ablesen musste.

      »Und jetzt zur Tabelle«, sagte er.

      Er zeigte ihr, wie die Tabelle angelegt war, wie Sätze und Wörter auf der Signaltafel in Zeichen umgesetzt werden konnten, die drei Holzklappen auf dem großen Gerüst über der Signalhütte konnte man auf mehr als tausend Arten kombinieren.

      »Du brauchst nicht alle Kombinationen auswendig zu lernen«, sagte Edelcrantz. »Es ist von Nutzen, wenn man einige häufiger vorkommende Wörter und Ausdrücke auswendig kann, den Rest kann man in der Tabelle nachschlagen.«

      Johanna durfte die Tasten, die die Klappen dort oben regulierten, selbst bedienen, jedoch ohne den Griff herunter zu drücken, der die ganze Nachricht am Ende zusammenstellte.

      »Jetzt ist es an der Zeit, etwas auf die andere Seite zu senden«, sagte Edelcrantz. »Ich möchte, dass du folgende Mitteilung sendest: Was habt ihr dort für Wetter?«

      Johanna suchte in der Tabelle, fand nach einer Weile den Satz, den Edelcrantz ihr zu senden aufgetragen hatte. Sie sah die Kombination, gab sie auf der Tastatur ein und drückte den Griff herunter. Das Rattern oben bestätigte, dass das Signal eingestellt wurde.

      »Jetzt gehen wir hinaus und sehen nach, was wir erreicht haben«, sagte Edelcrantz.

      Sie gingen zusammen auf den Hügel, sahen, wie die Klappen eingestellt waren, gingen in die Hütte zurück.

      »Jetzt geh ans Teleskop und sieh nach, was die da drüben sagen«, sagte Edelcrantz.

      Johanna schaute in das Teleskop. Nach einer halben Minute wurde das Signal jenseits des Meeres geändert. Sie sah, dass dort dieselbe Kombination eingestellt worden war wie die, die sie eben gesendet hatte.

      »Sie sagen dasselbe, was ich ihnen gerade gesagt habe«, sagte sie. »Sie bestätigen also, dass sie es empfangen haben.«

      »Ja, und jetzt wartest du am Teleskop auf ihre Antwort auf deine Frage.«

      Johanna wartete. Nach kurzer Zeit erschien auf der Tafel drüben eine neue Kombination, die verstand sie jedoch nicht.

      »Geh jetzt zu der Tabelle«, sagte Edelcrantz. »Übertrage die Lage der Klappen auf die Zahlen und such mit Hilfe der Zahlen die Bedeutung.«

      Johanna hatte schon die Lage der Klappen auf die drei Reihen der Signaltafel übertragen und die Zahlen 030 erhalten, außerdem war die darüberliegende Klappe in der mittleren Reihe heruntergeklappt, was den Buchstaben A anzeigte. Die Kombination war also A030, was nach der Tabelle bedeutete: Nachlassende und veränderliche Winde auf See.

      Sie sagte es Edelcrantz.

      »Ich glaube, du kommst hiermit schon allein zurecht«, sagte er.

      Die anderen Männer hatten schweigend daneben gestanden. Nun wandte sich Edelcrantz zu ihnen um, ohne etwas zu sagen. Er wartete.

      »Das Mädchen ist offenbar ungewöhnlich begabt«, sagte Maurius.

      »Oder die Tabelle ist nicht besonders schwer zu verstehen«, sagte Edelcrantz.

      »Vielleicht trifft beides zu«, sagte der dritte Besucher, der sich bis jetzt nicht geäußert hatte.

      »Danke, Johanna«, sagte Edelcrantz.

      Der Versuch war abgeschlossen, es musste nichts mehr bewiesen werden. Die Herren überließen die Station wieder der Besatzung, die während des Besuchs in den Hintergrund getreten war.

      An diesem Abend bedienten Birgitta und Johanna die Gäste im Speisezimmer. Edelcrantz redete Johanna ein paar Mal freundlich an, lächelte, lachte, er war offensichtlich äußerst guter Laune. Beim Nachtisch winkte er Johanna herbei und ließ auf ihren Einsatz während des Tages anstoßen.

      »Du hast uns geholfen, den Beweis zu erbringen, dass unser Telegraf so funktioniert,


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