Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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ich dich ein Stück begleiten?«, fragte er.

      Sie antwortete, dass er das gerne tun könne. Sie brauchte nicht zu sagen, wohin sie ging, denn er wusste ja, wo sie arbeitete.

      Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Als sie sich der Bucht näherten, ging Karl David ganz dicht neben ihr, sie spürte, wie sein Arm den ihren berührte. Und sie bemerkte gleichzeitig einen schwachen Branntweinduft, der von ihm ausging. Sie nahm an, dass er trank, wie viele andere Männer auch. Es war das erste Mal, dass ihr das auffiel.

      »Sollen wir uns eine Weile setzen und den schönen Himmel betrachten?«, fragte er.

      Sie antwortete nicht, sondern nickte, und sie gingen weiter bis zu dem Gehölz oberhalb der Bucht. Sie wussten, dass dort einige Baumstämme lagen, die einen geeigneten Sitzplatz abgeben konnten.

      Sie setzten sich hin, saßen dicht nebeneinander, und Johanna nahm an, dass Karl David jetzt den Arm um ihre Schultern legen würde.

      Das tat er jedoch nicht.

      Wie lange saßen sie schweigend dort? Die Zeit verging, aber das Schweigen wirkte durchaus nicht peinlich. Karl David war wie ein älterer Bruder, er wollte nichts von ihr. Als sie sich trennten, gaben sie sich die Hand und wünschten einander eine gute Nacht.

      Gäste kamen und gingen, Johanna machte die Betten, deckte den Tisch, wusch die Wäsche. Manchmal bekam sie ein Dankeschön, aber meist beachteten die Besucher sie gar nicht. Einige der Gäste ließen Zeitungen liegen, die sie dann an sich nahm und las. Dagligt Allehanda und Stockholms Posten kannte sie, aber sie fand auch Ausgaben anderer Zeitungen. Als sie vierzehn Jahre alt gewesen war und mit Margaretas Hilfe die wunderbare Welt der Zeitungen entdeckt hatte, hatte sie sich hauptsächlich für die alltäglichen Vorkommnisse in Stockholm interessiert, aber allmählich begann sie sich auch um das zu kümmern, was sich draußen in der großen Welt zutrug. Eines Tages war ihr aufgefallen, dass die Berichte aus Frankreich über Bonaparte und den Krieg fehlten, sie hatte schon länger nichts mehr darüber gelesen. Sie hatte den Postmeister gefragt, der die Stimme gesenkt und erklärt hatte, dass auf Befehl von König Gustav Adolf IV. die Berichterstattung aus Frankreich verboten worden war. Es war jetzt strafbar, französische Zeitungen nach Schweden einzuführen.

      Etwas später hörte Johanna, dass man jetzt auch den Namen Bonaparte nicht mehr erwähnen durfte. Wenn man trotzdem gezwungen war, etwas über ihn zu schreiben, sollte er Monsieur genannt werden, das bedeutete »Herr« im Französischen. Er hatte sich ja selbst zum Kaiser ernannt, diesen Titel zu gebrauchen weigerte sich der schwedische König jedoch, und alle Schweden hatten sich danach zu richten.

      Margareta war nicht mehr im Posthaus. An ihrer Stelle war jetzt August Lindman, ein magerer Lehrer mit schütterem Haar aus Åbo. Er unterrichtete Oscar, den Sohn des Postmeisters, der inzwischen vierzehn Jahre alt war. Die Töchter wohnten für längere Zeit bei einer Tante in Stockholm, um in die richtigen Kreise zu kommen. Wenn die Mädchen ab und zu auf Besuch im Posthaus waren, gab ihnen Magister Lindman Unterricht im Französischen.

      In der zweiten Juliwoche kamen zwei Reisende aus Petersburg, ein älterer grauhaariger Mann und ein etwas jüngerer. Sie schienen müde zu sein, ihre Mäntel waren staubig und schmutzig, die Hemden ungewaschen, man konnte sehen, dass sie in großer Eile gereist waren und sich nicht die Zeit genommen hatten, sich um Körperpflege und Kleidung zu kümmern. Jetzt wollten sie im Posthaus übernachten und früh am nächsten Morgen weiterreisen.

      Während die beiden Herren unten im Salon waren, brachte Johanna die Gästezimmer in Ordnung. Sie sah, was auf den Stühlen und Tischen lag, und kam auch nicht umhin zu sehen, was sich in den geöffneten Koffern befand: eine Pistole, ein Kuvert, das an den Obersten Johannes G. Adler adressiert war, ein französisches Buch, ein deutsches Buch, ungewaschene Hemden und Unterhosen, zerrissene Strümpfe. Johanna dachte: Diese Männer sind schwedische Offiziere, die auf eine Dienstreise in fremde Länder geschickt worden waren.

      Sie hatte völlig recht. Als sie später am Abend bei Tisch bediente, hörte sie das Gespräch zwischen den Herren und dem Postmeister und seiner Frau. Auch Magister Lindman war anwesend. Die Besucher waren direkt aus Petersburg gekommen, wo sie die schwedische Vertretung besucht hatten. Vorher waren sie in Ostpreußen gewesen und hatten Auskünfte über den letzten großen Zusammenstoß zwischen der Armee Napoleon Bonapartes und den Streitkräften des russischen Zaren eingeholt. Der Ort, an dem die Schlacht stattgefunden hatte, hieß Friedland, und die beiden schwedischen Offiziere waren in der Woche nach dieser Schlacht dort gewesen.

      »Der Vormarsch der französischen Streitkräfte kann nicht aufgehalten werden«, sagte der ältere der beiden Herren mit gedämpfter Stimme. »Dafür haben wir allzu überzeugende Beweise gesehen. Den Russen wurde eine empfindliche Schlappe zugefügt. Jetzt ist der Weg nach Osten offen für, hmm, Monsieur Bonaparte.«

      »Was hat das für Folgen für Schweden?«, wollte der Postmeister wissen.

      »Wir gehen einer schweren Zeit entgegen«, sagte der jüngere Offizier. »Denn Bonapartes Streitmacht ist unerhört. In Friedland sind fünfundzwanzigtausend Mann gefallen, viele davon waren natürlich auch Franzosen, aber Bonaparte scheint ja immer neue Soldaten herbeischaffen zu können.«

      »Unsere Sorge sind jetzt die Folgen, die die Niederlage der Russen nach sich zieht«, sagte der ältere Gast.

      »Was meinen Sie damit, mein Herr?«, fragte der Postmeister.

      »Vielleicht zwingt Bonaparte die Russen hinüber auf seine Seite. Die Russen wollen Finnland, das wissen wir ja alle. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, wie lange es dauern kann, bis der Zar offen redet. Wir nehmen an, dass die Petersburger Vertretung schon beunruhigende Hinweise erhalten hat.«

      »Der Wind dreht sich«, murmelte der Postmeister. »Vor kurzem hatten wir noch die Hoffnung, mit den Russen auf freundschaftlichem Fuß stehen zu können, jetzt sind wir in den alten Zustand aus der Zeit König Gustavs zurückgefallen.«

      Das Gespräch kam zum Erliegen, der Ton war gedämpft gewesen, und die Redenden hatten ihre Stimmen jedes Mal leiser werden lassen, wenn Bonapartes Name genannt wurde; jemand hatte dann pflichtschuldigst Monsieur hinzugefügt.

      Dann versuchte die Hausfrau, ein Gespräch über Weinsorten anzufangen, sie nannte Bordeaux, wechselte jedoch das Thema, als sie merkte, dass sie sich auf gefährlichem Boden befand. Das Schweigen wurde peinlich. Zum Schluss einigte man sich darauf, dass gebratene Eiderente, auf traditionelle schwedische Weise zubereitet und mit Vogelbeergelee serviert, ein unschlagbares Abendessen war.

      Wie in einem gläsernen Meer

      Johanna meinte, in den Tagen nach dem Besuch der beiden Offiziere eine gewisse Missstimmung im Posthaus zu bemerken, eine zögerliche Vorsicht, die man spüren konnte, als der Postmeister Abschied von seinen beiden Töchtern nahm. Er schien ängstlich und bekümmert zu sein, so als ob die beiden zu einer langen Auslandsreise aufbrechen würden und nicht nur, wie jetzt, zu einer kurzen Fahrt zu Freunden nach Ortala, von wo aus sie am selben Abend zurückkommen würden.

      Johanna bildete sich ein, dass es die Stimmung war, die bei dem Abendessen mit den Offizieren aufgekommen war, die immer noch anhielt, das Gespräch über den Krieg, die Bedrohung aus Russland. Der Himmel war immer noch leuchtend blau, die Sonne strahlte, die Tage waren warm. Trotzdem lag eine gedrückte Stimmung über Grisslehamn, in dieser letzten Juliwoche des Jahres 1807.

      Eines Tages traf Johanna den Künstler Per Johan Malmgren wieder. Sie kam vom Hafen und trug einen Korb, der zur Hälfte mit Fischen gefüllt war, fünf mittelgroße Dorsche, die sie von einem gerade eingelaufenen Boot geholt hatte. Sie war eben zwischen zwei Schuppen stehen geblieben und hatte den Korb für einen Augenblick abgestellt, als sie aufblickte und Malmgren direkt in die Augen sah. Er stand vor ihr, lächelte über das ganze Gesicht, streckte eine Hand aus.

      »Ich möchte Ihnen gerne helfen, mein Fräulein, wenn Sie erlauben«, sagte er und legte die Hand auf den Korbrand.

      »Ja, danke«, antwortete Johanna und überließ ihm den Korb.

      »Vielleicht könnten sie stattdessen meine Tasche und meine Papiere tragen?«


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