Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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      Bei einer Gelegenheit sah Johanna den Feldwebel wieder. Er ging über den Hofplatz, klopfte an die Tür des Posthauses, jemand öffnete. Sie stand drinnen im Waschhaus an der Waschbütte mit kochendem Wasser und nassen Laken, der Dampf hatte die Fensterscheibe beschlagen, aber sie konnte trotzdem eine Bewegung wahrnehmen, eine verschwommene Gestalt hinter dem beschlagenen Fenster. Sie trat an die Scheibe und machte sich mit dem Finger ein Guckloch. Mehrere Male strich sie mit dem Finger über die feuchte Kühle der Scheibe.

      Er war groß, hatte einen leicht federnden Gang, wahrscheinlich war er schlank und drahtig. Er trug eine blaue Uniformjacke und weiße Hosen, die oben gelb abgesetzt waren, seine Mütze war blau. Johanna fand, dass er jünger aussah, als sie ihn aus dem dunklen Salon in Erinnerung hatte. Aber da hatte er die ganze Zeit über in sich zusammengesunken dagesessen.

      Sie spürte wieder die Gegenwart des Feldwebels.

      Er war nicht jemand, der eben nur so vorbeiging, nett anzusehen, ohne besonderen Eindruck zu machen. Sie hatte das Gefühl, dass er auf ungewöhnliche Weise in ihrer Nähe blieb. Aber noch dachte sie nicht an ihn als an jemanden, der sie beunruhigte oder der etwas von ihr forderte. Er war ein unbekannter Besucher, sie sah ihn trotz der beschlagenen Scheibe, er trat deutlich hervor und hatte sich einen Platz in ihrem Bewusstsein geschaffen.

      Sie würde das Bild, so wie sie es durch die beschlagene Scheibe gesehen hatte, in ihrem Gedächtnis bewahren. Unter der empfindlichen Haut ihrer Finger würde sie diese Erinnerung versteckt halten, geschützt, unzerstörbar und immer schmerzhaft erreichbar.

      In diesem Augenblick aber war es nur ein Anflug von etwas Unbestimmtem. Johanna dachte immer noch an die Wäsche, an die Zubereitung der Mahlzeiten und an ungeputzte Fußböden, ohne sich allzu sehr von den federnden Schritten da draußen aus der Ruhe bringen zu lassen.

      Sie hatte den Feldwebel nicht mehr aus dem Posthaus herauskommen sehen. Wahrscheinlich war sie gerade dabei gewesen, Wäsche auf der Rückseite des Waschhauses aufzuhängen.

      Sie wusste, dass er sich oben in der Telegrafenstation aufhielt. Jemand in der Küche hatte erzählt, dass er dort gesehen worden war, man stellte Vermutungen darüber an, was er dort wohl zu tun hatte, obwohl es eigentlich klar war, dass es mit dem Telegrafieren zusammenhing. Er war ja deshalb hergeschickt worden, man wollte wohl einige Änderungen vornehmen, vielleicht hatte es etwas mit den unruhigen Zeiten zu tun. Aber es waren in erster Linie nicht die Aufgaben des Feldwebels, die interessierten, sondern es war seine Person. Er war ein flotter, junger Soldat, das reichte schon, dass die Frauen des Posthauses über ihn redeten.

      Er verzehrte seine Abendmahlzeiten beim Postschaffner, und dort wohnte er ja auch. Deshalb konnte man ihn am besten oben auf dem Berg treffen, wenn man dort etwas zu tun hatte.

      Schließlich wurde Johanna wieder mit einem Essenskorb hinaufgeschickt. Es war an einem Donnerstag. Das Wetter war schön, und man hatte gute Sicht auf das Meer hinaus. Sie überlegte, was sie sagen sollte, wenn sie auf dem Berg angekommen war. Über so etwas dachte sie sonst nicht nach, wenn Albert oder irgendeiner der anderen jungen Männer dort war.

      Das Wetter, dachte sie. Mit einem Signalisten kann man immer über das Wetter sprechen. Und über die Schiffe dort draußen, es gab wohl immer irgendwelche Boote, die man beobachten konnte.

      Sie hatte sich schon eine Begegnung oben an dem Signalhäuschen vorgestellt, aber plötzlich erblickte sie den Feldwebel auf dem Sandstrand unterhalb des Berges. Er kam ihr entgegen. Sie erkannte ihn schon von weitem und versuchte sich vorzubereiten. Sie ging dicht am Wasser entlang, sah, dass er ebenfalls dort ging, direkt vor dem angespülten Tang.

      Ich muss ihm ein wenig ausweichen, dachte sie. Als sie einen Schritt in Richtung Land machte, sah sie, dass auch er auswich, und jetzt waren sie nur noch ein kurzes Stück voneinander entfernt. Er blieb ein paar Meter vor ihr stehen, machte noch einen kleinen Schritt.

      »Wir haben sicher dasselbe gedacht«, sagte er.

      »Ja, das haben wir wohl«, antwortete sie.

      Sie blickten einander an. Er war einen Kopf größer, blond wie sie auch, trug Koteletten, die Wangen waren glatt rasiert, um die Augen hatten sich helle Fältchen gebildet, sonst war er braungebrannt.

      Sie wartete darauf, dass er etwas sagen würde, aber das Schweigen war nicht unangenehm. Sie hörte das leise Plätschern der Wellen gegen den Strand, und sie hatte das merkwürdige Gefühl, barfuß zu sein und dass es ihr nichts ausmachen würde, wenn die Wellen ihre Füße überspülten.

      »Sind Sie auf dem Weg hinauf zur Telegrafenstation, mein Fräulein?«, fragte er.

      »Ich bringe den jungen Männern da oben manchmal Essen.«

      »Ich komme gerade daher.«

      »Sind sie vielleicht Signalist, mein Herr?«

      »An und für sich nicht, aber jetzt bin ich abkommandiert und zur Signalabteilung überstellt worden.«

      »Das ist eine bemerkenswerte Erfindung, ich habe die Gelegenheit gehabt zu sehen, wie Mitteilungen über das Meer hinweg ausgetauscht werden.«

      »Ach, können Sie etwa die optischen Zeichen lesen, mein Fräulein?«

      »Einiges habe ich gelernt.«

      Er nickte langsam und sah ein wenig ungläubig aus, zumindest fand Johanna das.

      »Geben Sie mir ein Zeichen, dann werde ich versuchen, es zu deuten«, sagte sie.

      Er sah sich um, erblickte etwas weiter oben am Strand einen angeschwemmten Baumstamm. Er ging dorthin, Johanna folgte ihm. Als er sich darauf niederließ, setzte sie sich neben ihn. Er brach einen Holzspan aus dem zersplitterten Stammende, glättete den Sand mit seinem Fuß und zeichnete schnell ein Muster aus Vierecken auf, drei gerade Reihen, vier Kästchen in der Mitte, drei in den beiden Seitenreihen. Johanna sah sofort, dass es der Signaltafel der Telegrafenstation glich.

      Dann markierte er einige der Vierecke mit kurzen diagonalen Strichen, danach blickte er auf und begegnete Johannas Augen. Sie hatte den Blick in demselben Moment gehoben, in dem er den letzten Strich gezeichnet hatte, denn sie hatte genauso schnell mitgelesen, wie er geschrieben hatte.

      »Das Zeichen für den Buchstaben J«, sagte sie. »Ausgezeichnet«, erwiderte er und verwischte die Markierungen im Sand, um für eine neue Kombination Platz zu machen.

      »Der Buchstabe O«, sagte Johanna genauso schnell wie beim ersten Mal.

      Er machte weiter. Sie entzifferte das nächste Zeichen, den Buchstaben H, und das nächste, das A. Dann machte er eine Pause.

      »Sie lesen genauso schnell, wie ich schreibe, mein Fräulein«, sagte er. »Das erstaunt mich, wie konnten Sie die Signaltabelle so gut verstehen lernen?«

      »Ich habe einmal Unterricht erhalten, und dann habe ich geübt, wenn sich die Gelegenheit dazu ergab.«

      »Können Sie, mein Fräulein, vielleicht sogar erraten, welches Wort ich schreiben will?«

      »Es ist ein Name.«

      »Und welcher Name könnte das sein?«

      »Johan, würde ich vermuten.«

      »Oder Johanna.«

      »Beide Namen sind möglich.«

      »Ich habe meinen eigenen Namen noch nicht genannt, ich heiße Kristoffer Lundberg, ich bin Feldwebel und gehöre der Svea Leibgarde in Stockholm an.«

      Er stand auf und streckte seine Hand aus. Johanna erhob sich ebenfalls von dem Baumstamm, ergriff die Hand, knickste ein wenig, er verbeugte sich gleichzeitig.

      »Ich heiße Johanna Nygren.«

      »Sollen wir Du zueinander sagen?«, wollte er wissen.

      »Ich habe nichts dagegen.«

      »Danke, liebe Johanna, aber ich kannte deinen Namen schon, ich habe neulich Abend gehört, wie man dich gerufen hat.«

      Er setzte sich wieder, glättete den Sand und begann erneut zu zeichnen.


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