Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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nicht mehr. Ein Teil davon wurde getrunken und für die Milchsuppe benötigt, der Rest war für das Butterfass bestimmt.

      Als Johanna gerade wieder ins Haus gehen wollte, sah sie ihre Mutter aus dem Wald kommen. Johanna blieb stehen und wartete auf sie, sie sah, dass sie ein wenig zögerte, so als ob sie niemanden treffen wollte. Da ging Johanna ihr entgegen.

      »Warst du im Wald, Mutter?«, fragte sie.

      Maria blickte weg, nickte und ging weiter. Johanna gesellte sich zu ihr, aber sie merkte, dass ihre Mutter etwas zu verbergen suchte.

      »Oder warst du draußen auf Skatudden?«, fragte Johanna weiter

      Maria seufzte und gab keine Antwort, und Johanna verstand.

      »Hast du etwas gesehen, Mutter?«, fragte sie.

      »Nein, nichts.«

      »Es sind jetzt fünf Tage vergangen.«

      »Vielleicht sind sie tot, ich fühle, dass mich alle Hoffnung verlässt.«

      »Ich glaube bestimmt, dass sie zurückkommen.«

      »Ja, mein Mädchen, du hast ein starkes Gottvertrauen, aber ich kann die Hoffnung nicht länger aufrechterhalten.«

      Sie waren fast zuhause, sie sprachen nicht mehr, sie gingen langsam. Maria ergriff die Hand ihrer Tochter. Johanna sah, dass ihre Mutter die andere Hand vor das Gesicht hielt und sich mit einem Zipfel ihres Blusenärmels die Augen trocknete. Sie merkte, dass ihre Mutter weinte. Aber sie gingen schweigend über den Hofplatz bis an die Haustür.

      Jetzt war es zwischen Johanna und ihrer Mutter besprochen: Johanna sollte die Schweine füttern, einmal am Tag die Kühe melken und soviel es ging, im Haushalt mithelfen, wenn sie von ihrer Arbeit im Posthaus zurückkam.

      »Wir wollen sehen, wie es läuft«, sagte Maria. »Du weißt, dass ich dich jetzt, wo Vater nicht mehr da ist, brauche.«

      Sie hörte, wie schlimm das klang und milderte es sofort ab, hustete etwas, als ob sie etwas in die falsche Kehle bekommen hätte.

      »Ja, jetzt, wo Vater weg ist«, versuchte sie.

      »Ich verspreche, dass ich tun werde, was ich kann«, sagte Johanna.

      Sie hatte eine frisch gebügelte Schürze und ihren besten Rock an, als sie ging, und trug die blaue Bluse unter der Jacke. Die Schuhe waren geschwärzt. Das helle Haar hatte sie zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Maria hatte ihr ein blaugestreiftes Kopftuch aus grobem Leinen geliehen.

      Als Johanna die Küche des Posthauses betrat, war Laura dort zusammen mit einer älteren Frau, die Johanna bis jetzt noch nicht gesehen hatte. Sie war elegant gekleidet, trug eine Spitzenbluse und einen weiten dunklen Rock, die Haare waren mitten auf dem Kopf in einer Doppelrolle aufgesteckt. Man sah, dass sie nicht zur Dienerschaft gehörte.

      »Das hier ist unsere neue Kleinmagd Johanna«, sagte Laura zu der Unbekannten.

      »Das ist nett, mein Mädchen«, sagte die elegante Frau und streckte die Hand aus.

      Johanna ergriff sie und knickste. Die unbekannte Frau lächelte sie an, sah freundlich aus, vielleicht ein wenig müde. Johanna merkte, dass sie nach irgendetwas Fremdem roch, nach Blumen, vielleicht nach Rosen, sie wusste es nicht.

      »Ich habe der gnädigen Frau von dir erzählt«, sagte Laura.

      »Ja«, sagte Johanna.

      »Laura wird dir sagen, was deine Aufgabe sein wird und wie viel Lohn du zu erwarten hast«, sagte die Frau, die mit ›Gnädige Frau‹ angeredet wurde, weiter. Dann lächelte sie wieder müde und verließ die Küche. Johanna hatte immer noch diesen Blumenduft in der Nase.

      »Jetzt hast du die Herrin kennen gelernt«, sagte Laura nach einer Weile. »Sie sollte eigentlich mit Frau Postmeister angeredet werden, aber wir sagen immer ›Gnädige Frau‹, wenn wir mit ihr sprechen.«

      Johanna nickte, ohne etwas zu sagen.

      »Und mich kannst du Laura nennen.«

      Johanna errötete und machte einen kleinen Knicks. Sie hatte sich nicht erinnert, ob sie Laura mit du angeredet hatte, jetzt wusste sie es jedoch besser.

      »Ja, Laura«, murmelte sie.

      »Und jetzt trinken wir Kaffee, ehe du anfängst zu arbeiten.«

      Johanna nickte wieder und begriff, dass sie gehorchen musste. Die Frau Postmeisterin bestimmte vielleicht im Haus, aber hier in der Küche hatte Laura das Sagen.

      Birgitta hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Jetzt schenkte sie den Kaffee ein, der schon fertig gewesen war, als Johanna die Küche betreten hatte.

      »Leg ab«, sagte sie. Johanna nahm das Kopftuch ab und zog die Strickjacke aus. Sie setzten sich an den Tisch am Fenster und tranken schweigend ihren Kaffee, teilten sich ein kleines Stück süßes weißes Brot.

      »Du bekommst hier Essen und jetzt zu Beginn zehn Schilling die Woche«, sagte Laura. »Wir werden sehen, wie du dich machst, und möglicherweise bekommst du dann mehr.«

      »Danke«, antwortete Johanna; sie hatte verstanden, dass es hier nichts mehr zu diskutieren gab, da die Hausfrau und Laura es schon festgelegt hatten.

      »Und wenn wir ausgetrunken haben, wird Birgitta dir das Haus zeigen, sodass du die Räume siehst und einiges lernst, was du wissen musst.«

      Johanna murmelte noch einmal ein Dankeschön.

      Das Haus war wirklich groß; außer der Küche gab es noch elf Räume und den langen Flur, der quer durch das Haus verlief und es in zwei Hälften teilte. Im oberen Stockwerk befanden sich vier Gästezimmer und ein riesengroßer Raum mit einem Steinfußboden, in dem niemand wohnte. Es gab überall Kachelöfen und große Fenster, die Möbel glänzten, die Betten waren breit und mit schönen Decken und weichen Kissen versehen.

      Die Gnädige Frau saß mit einer Zeitung vor dem wärmenden Feuer im linken Eckzimmer, das zur Seeseite hin lag, als Birgitta und Johanna leise vorbeigingen. Der Postmeister befand sich in seinem Kontor, die Kinder hatten Schulstunde im rechten Eckzimmer, das offenbar als Klassenzimmer benutzt wurde und in dem die Gouvernante ihr Bett stehen hatte. Die vier Gästezimmer im oberen Stockwerk standen derzeit leer, aber es wurden demnächst Gäste erwartet, Reisende auf dem Weg nach Åland.

      Dann setzte Birgitta ihre Führung fort. Sie gingen auf den Hofplatz hinaus, sahen in die Remise, in den Stall, in den Milchschuppen und das Waschhaus, das Johanna ja schon kannte.

      Als sie in das große Haus zurückkehrten, hatten die Kinder gerade Pause. Birgitta stellte Johanna der Gouvernante vor, einer großen, mageren, dunkelhaarigen Frau von ungefähr dreißig, die ein freundliches Lächeln zeigte.

      »Ich heiße Margareta«, sagte sie. »Wir haben uns ja schon gesehen, als du neulich Holz gebracht hast, nicht wahr?«

      »Ja«, antwortete Johanna.

      »Wir haben geschrieben, glaube ich, die Kinder und ich.«

      »Das habe ich gehört.«

      »Gehört, wie meinst du das?«

      »Ich habe gehört, wie es gekratzt hat, als die Kinder geschrieben haben, und ich habe das weiße Papier gesehen.«

      »Aha, das ist interessant. Kannst du denn schreiben?«

      »Etwas kann ich schon.«

      »Und dann kannst du sicher auch lesen?«

      »Ja, aber meistens die Bibel.«

      »Möchtest du gerne irgendetwas anderes lesen?«

      »Ja, ich glaube schon, wenn ich etwas hätte.«

      »Ich kann dir etwas zeigen. Wir können uns weiter darüber unterhalten, wenn der Unterricht zu Ende ist, falls du dann noch da bist.«

      »Ich bleibe jetzt hier, ich arbeite hier.«

      »Dann komm später, wenn du mit der Arbeit fertig bist.«


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