Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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die am besten verstand, was Lars sagen wollte.

      Jetzt war Lars aufgestanden, er rieb sich die Augen und stolperte nach draußen, um Wasser zu lassen, ehe er sich hinlegte. Johanna folgte dem Bruder, er stand an der Hauswand, und sie machte einen Bogen um ihn herum, ging weiter in die Büsche, wo sie sich hinhockte.

      Lars stand immer noch da, als sie zurückkam. Er ergriff ihre Hand, und sie merkte, dass er hier draußen noch etwas sagen wollte, ehe sie wieder hineingingen.

      »Ist es sicher?«, fragte er.

      »Ja, es ist ganz sicher«, antwortete Johanna.

      »Woher weißt du das?«

      »Ich fühle es, und ich vertraue auf Vater, er verlässt uns nicht.«

      Lars drückte Johannas Hand. Er glaubte seiner Schwester, sie hatte für gewöhnlich recht, wenn sie sagte, dass sie das richtige Gefühl habe.

      Sie würde nie die Unwahrheit sagen.

      Wörter über das Meer

      Der Morgen war kalt. Johanna erwachte, ehe es richtig hell geworden war, sie stand auf und fachte das Herdfeuer an, begann die Dinge hervorzuholen, die zum Frühstück gehörten, die Schalen für die Milchsuppe, Brot und Salz.

      Als sie nach Grisslehamn zum Posthaus aufbrach, wurde es endlich hell. Sie hatte ihre Mutter gefragt, und sie waren sich einig: Es war am besten, wenn Johanna allein ging, sie hatte Birgitta kennengelernt und war gut behandelt worden. Jetzt galt es, mehr in Erfahrung zu bringen.

      Im Waschhaus war niemand zu sehen. Johanna klopfte; als sie keine Antwort erhielt, öffnete sie die Tür, aber es war niemand dort.

      Dann ging sie zu dem großen Haus hinüber; vielleicht gab es dort einen kleinen Seiteneingang. Sie suchte, fand jedoch keine Tür. Sie kehrte um, zögerte, sollte sie es wagen, am Haupteingang zu klopfen?

      Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis geöffnet wurde. Birgitta stand da, lächelte und bedeutete Johanna hereinzukommen.

      »Komm nur, hab keine Angst«, rief sie, »hier den Weg in die Küche, du bist eingeladen, komm nur.«

      Johanna trat ein, Birgitta gab ihr einen leichten Klaps auf die Wange, das war ungewohnt für Johanna, denn zuhause berührte man einander nicht auf diese Art.

      Sie gingen durch eine weitere Tür nach links und gelangten in die Küche. Doch dies war eine andere Art von Küche als die, die Johanna von den alten Höfen in Byholma her kannte. Dort aß man in der Küche, kam zusammen, arbeitete und schlief, weil es dort warm war. Diese Küche jedoch diente nur der Zubereitung von Speisen. Das Posthaus verfügte über ein besonderes Speisezimmer, oft übernachteten auch Reisende im Haus. Viele Leute wurden hier verköstigt; dafür sorgten die beiden Hausmägde. Johanna hatte Birgitta ja schon kennen gelernt, jetzt traf sie auch Laura Persdotter, die ältere der beiden Mägde.

      »Ich habe schon von dir gehört«, sagte Laura, während sie Johanna die Hand hinstreckte.

      Johanna knickste und wusste nicht, was sie sagen sollte. Laura war im selben Alter wie Johannas Mutter, sie trug eine hellblaue Bluse und eine dunkelblaue Schürze über dem langen grauen Rock. Sie lächelte nicht, als sie Johanna begrüßte, sah ihr jedoch in die Augen, hielt ihre Hand einen Augenblick fest.

      »Herzlich willkommen«, sagte sie und klang jetzt etwas freundlicher.

      »Danke«, war alles, was Johanna herausbrachte.

      »Wie alt bist du?«, fragte Laura.

      »Nach Neujahr werde ich vierzehn«, antwortete Johanna.

      »Für dein Alter bist du recht groß.«

      Johanna lächelte, knickste etwas, sie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.

      »Du kannst mit mir hinauf zur Telegrafenstation gehen«, sagte Birgitta, »ich muss nachher mit dem Essen für die beiden Telegrafisten dorthin, dann kannst du fragen, ob weitere Nachrichten über das Postboot, die Männer und deinen Vater eingetroffen sind.«

      »Irgendetwas haben sie bestimmt erfahren«, sagte Laura.

      »Es ist ein klarer Morgen, die Sicht scheint gut zu sein«, sagte Birgitta.

      »Schaut nach den Kachelöfen, ehe ihr geht«, sagte Laura. Johanna begleitete Birgitta hinaus zum Holzschuppen, der unterhalb des Waschhauses lag. Das zersägte Birkenholz war schon gespalten und geschichtet, sie nahmen jeder eine Last Holz und gingen in das große Haus zurück. Sie begannen im Kontorraum. Der Postmeister saß hinter seinem Schreibtisch, ein anderer Mann saß ihm gegenüber auf einem herangezogenen Stuhl, sie unterhielten sich über irgendetwas und beachteten die Holz bringenden Dienerinnen nicht; später erfuhr Johanna, dass der Besucher der Postschaffner Anders Nyström war.

      Johanna stand ganz still da. Sie betrachtete den Kachelofen, die merkwürdigen grün schimmernden Fliesen, die in allen Farben schillernde Spiegelfläche, die ihr eigenes Gesicht verzerrt wiedergab, die Möbel im Raum, das Fenster. Sie berührte die glatte Fläche mit den Fingerspitzen, es fühlte sich an wie Eis oder Glas, jedoch glatter und gleichzeitig etwas unwirklich.

      Der Postmeister hob den Blick und bemerkte die Frauen. Er lächelte Johanna zu, nickte, ohne etwas zu sagen, und setzte seine Unterhaltung mit dem Mann am Schreibtisch fort.

      Sie holten noch mehr Holz, trugen es hinein zu den übrigen Kachelöfen im Haus, in den Schlafzimmern, im Esszimmer, im Raum, in dem die drei Kinder des Hauses mit ihrer Lehrerin saßen. Die Kinder betrachteten Johanna neugierig, die sowohl vor der Lehrerin als auch vor den Kindern einen Knicks gemacht hatte. Es waren zwei Mädchen von vielleicht neun oder zehn Jahren und ein Junge von etwa sieben. Er lachte auf, als Johanna knickste, und sie merkte, dass sie etwas falsch gemacht hatte.

      »Kinder, wir machen jetzt weiter«, sagte die Lehrerin.

      Ihre Schüler gehorchten sofort; sie widmeten sich wieder ihren Aufgaben. Johanna konnte weißes Papier und Tintenfässer erkennen, sie hörte das kratzende Geräusch, als drei Gänsefedern langsam schwere Buchstaben formten, Schnörkel und Grundstriche. Sie meinte, den Geruch von Tinte, Kenntnissen und Einsichten spüren zu können, es war eine andere Welt als ihre eigene.

      Hinter der Gartentür bogen sie nach links ab, folgten dem Pfad zwischen den Ahornbäumen nach oben in den Wald, erhaschten einen Blick auf das Meer, gingen den kurzen Sandstrand entlang, ehe die Steigung zum Aussichtsberg begann.

      Das letzte Stück war richtig steil. Und dort oben auf einem kleinen Felsen lag die Telegrafenstation. Johanna erblickte ein seltsames Gebäude. Eine kleine Hütte mit vier groben Masten, die aus dem Dach ragten; sie waren hoch, mit Seilen nach allen Richtungen hin befestigt. Oben zwischen den Masten befanden sich Reihen aus großen viereckigen Platten, und von diesen Platten aus verliefen dünne Drähte durch Löcher im Dach der Hütte nach unten.

      Drinnen gab es ein sehr kleines Fenster, der Raum war nur notdürftig erhellt. Johanna sah, dass dort ein Mann auf einem Stuhl saß. Er hatte sein Gesicht gegen etwas gepresst, das aus der Wand ragte, gegen ein blankes Rohr, und er hielt ein Auge gegen einen Ring gedrückt, der sich am Ende des Rohrs befand.

      »Willkommen«, murmelte der Mann, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.

      »Ich habe Johanna Nygren mitgebracht«, sagte Birgitta. »Sie ist bei uns zu Besuch.«

      »Willkommen, Johanna«, sagte der Mann.

      »Danke.«

      »Ich heiße Sven Niklasson.«

      »Kannst du etwas erkennen?«, fragte Birgitta.

      »Die Sicht ist ausgezeichnet«, antwortete Sven. »Ich habe heute schon einige Mitteilungen empfangen, und es kommen sicher noch mehr.«

      »Johannas Vater war mit auf dem Postboot, das in den Sturm geraten ist«, sagte Birgitta.

      »Hmm«, murmelte Sven.

      Birgitta begann, die mitgebrachten Speisen aus dem Korb zu nehmen. Sie stellte sie auf einen kleinen Wandtisch im Raum.


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