Das brennende Meer. Erik Eriksson

Das brennende Meer - Erik Eriksson


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da sie glaubte, Sven spreche mit Birgitta. Als Birgitta nicht reagierte, war sie zunächst erstaunt und dann etwas unschlüssig.

      »Komm«, sagte Sven und winkte mit der Hand in Johannas Richtung. Sie ging zu Sven. Er fasste sie an der Schulter, rutschte etwas von dem Rohr weg, das aus der Wand ragte, schob sie näher heran und zeigte darauf.

      »Schau in das Fernrohr«, sagte er.

      Johanna setzte sich auf den Stuhl, streckte sich etwas, um auf gleicher Höhe mit dem Fernrohr zu sein, drückte ihr Auge vorsichtig gegen den Ring, sah etwas Verschwommenes, Flimmerndes, Unverständliches.

      »Was siehst du?«, fragte Sven.

      »Ich weiß nicht.«

      »Warte einen Augenblick, es wird langsam deutlicher, es dauert immer eine Weile, wenn man nicht daran gewöhnt ist.«

      Johanna wartete, sah das, was undeutlich gewesen war, jetzt etwas weniger verschwommen. Die Konturen wurden deutlicher, ein Bild trat hervor, kleine Vierecke in Reihen übereinander, verschwommen, um sie herum zitterte es, aber sie sah auf jeden Fall etwas.

      »Wie viele Vierecke kannst du erkennen?«, fragte Sven.

      Johanna zählte langsam, zählte noch einmal.

      »Fünf Stück«, sagte sie.

      »Und wie sind sie zueinander angeordnet?«

      »Rechts stehen zwei übereinander, unten in der Mitte ist eines, und zwei mit einem kleinen Loch in der Mitte befinden sich auf der linken Seite.«

      »Ausgezeichnet«, sagte Sven. »Du hast deine erste Beobachtung gemacht, mein Mädchen, du kannst dich jetzt Signalistin nennen, wenn du willst.«

      Er schob Johanna beiseite, nahm ihren Platz ein und saß eine Weile schweigend da.

      »Ja, es stimmt, was du gesagt hast«, sagte er dann, »jetzt werde ich denen auf Signilskär mitteilen, dass wir ihre Nachricht erhalten haben.«

      Sven verließ seinen Platz am Fernrohr, ging quer durch den Raum zu einer Stelle, an der ein ganzes Bündel Drähte aus den kleinen Löchern im Dach kam. Die Drähte waren an Tasten befestigt, Holzklappen und Rahmen, ganz hinten befand sich ein großer eiserner Griff.

      Sven drückte langsam einige der Tasten nach unten, dann noch ein paar. Als er die Einstellungen beendet hatte, drückte er den Griff mit dem Fuß hinunter. Die Tasten wurden alle gleichzeitig gestreckt, von oben kamen Geräusche, die sich anhörten, als ob ein Bündel Holzstücke gegeneinander geschlagen wurde, schnell, dann war es wieder still.

      »Jetzt wissen sie, dass wir ihre Nachricht erhalten haben«, sagte Sven, »ich habe dieselbe Botschaft zurückgesendet, das macht man so. Jetzt werden wir sehen, ob noch mehr kommt.«

      Er ging wieder zurück zu seinem Fernrohr, drückte das Auge gegen den Ring, atmete durch die Nase. Johanna konnte seine langsamen, zischenden Atemzüge hören.

      »Das kann dauern,« murmelte Sven. »Die Signalarbeit besteht hauptsächlich aus Warten, Stunde um Stunde.«

      »Wie lange kannst du denn hier sitzen, ohne dass dir die Augen weh tun?«, wollte Johanna wissen.

      »Wir sind hier zwei Leute, die einander abwechseln. Harald kommt jeden Augenblick zurück, er ist nur für einen Moment nach draußen gegangen.«

      »Weißt du etwas über das Postboot?«, fragte Johanna. »Sie haben es geborgen, aber Menschen waren nicht an Bord, das ist alles, was ich weiß. Die Tasche war noch da, die Post war feucht, aber unbeschädigt.«

      »Vater hat sich in Sicherheit gebracht«, sagte Johanna voller Überzeugung.

      »Lass es uns hoffen.«

      Sven sah müde aus oder eher betrübt.

      Als sie zurückgingen, war es windig, die niedrigen Wipfel der Kiefern schwankten hin und her.

      Johanna wandte sich um und betrachtete das Telegrafenhäuschen. Jetzt sah sie auch das Fernrohr, das herausragte und in eine Holzverkleidung eingebaut war. Es war erstaunlich, wie weit man mit dem Fernrohr sehen konnte. Die Telegrafenstation auf Signilskär war von hier aus mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen, aber mit Hilfe des Fernrohrs konnte man die Zeichen auf der Signaltafel dort deuten.

      Sie gingen schweigend nebeneinander her. Johanna hatte noch die kleinen, zitternden Vierecke vor Augen, die sie durch das Fernrohr gesehen hatte.

      Es waren Zeichen, und sie erzählten etwas, was nur der Eingeweihte verstehen konnte; es erinnerte an Wörter in einem Brief, allerdings auf eine andere Weise, diese Wörter flogen über das Meer wie nichts, so als ob es keine Entfernung gäbe. Es war schwindelerregend, es war kaum zu verstehen, obwohl sie es mit eigenen Augen gesehen hatte.

      Als sie ins Posthaus zurückgekommen waren, setzten sie sich wieder in die Küche.

      »Du hast gesagt, dass du bald vierzehn wirst«, sagte Laura.

      »Ja, zwei Wochen nach Neujahr«, antwortete Johanna.

      »Wir brauchen im Posthaus eine Kleinmagd, wäre das etwas für dich?«

      Johanna wusste nicht, was sie antworten sollte, Arbeit, richtige Arbeit, vielleicht bezahlte, eigenes Geld. Es kam viel auf einmal auf sie eingestürmt.

      Sie sind wie wir

      Als Johanna das Posthaus verließ, hatte es sich eingetrübt, und der Wind wehte vom Meer her. Sie steckte die Hände in die Ärmel ihrer Jacke, ballte die Fäuste zusammen, ging mit gesenktem Kopf und hatte das Umschlagtuch bis unter das Kinn gezogen. Sie ging zum Hafen hinunter.

      Ein Stück vom Strand entfernt standen drei Männer um ein umgedrehtes Boot herum. Sie bearbeiteten den Kiel, hämmerten und schlugen. Johanna blieb in einiger Entfernung stehen und sah zu. Einer der Männer nickte, sie kannte ihn, es war Magnus Eriksson vom Hof Södergården in Byholma. Die anderen waren ihr unbekannt, sie nahm an, dass es die Postzusteller aus Tomta, dem nächsten Dorf südlich von Grisslehamn, waren.

      Der Bootskiel bestand aus einer langen, breiten Planke, die mit einer Eisenschiene beschlagen war. Johanna hatte solche Boote schon gesehen, sie wusste, dass es ein Eisboot war. Sie brachten es wohl für den Winter in Ordnung.

      »Habt ihr etwas gehört?«, fragte Johanna.

      »Nein, nichts Neues«, antwortete Magnus vom Hof Södergården.

      »Ja, das war ja dein Vater«, murmelte einer der Männer aus Tomta.

      »Er war ein tüchtiger Mann«, sagte der andere.

      Sie drehten das Boot um. Es hatte niedrige Freiborde, der Steven war mit Blech verstärkt.

      Er war ein tüchtiger Mann, hatte der eine gesagt, aber Johanna machte sich nicht die Mühe, ihm zu widersprechen. Die Schweine befanden sich noch draußen in einem Pferch, die alte Sau und drei Ferkel. Es war Johannas Aufgabe, sie bis zur Schlachtung zu versorgen, zuzusehen, dass sie zu fressen hatten; das bedeutete, Wasser in den Trog zu schütten, wenn es nicht regnete, und Futter im Spätherbst, wenn sie sich nicht mehr selbst von dem ernähren konnten, was sie aus der Erde wühlten.

      Jetzt harkte sie unter den Eichen unten an der Heuwiese. Sie sammelte Eicheln und Eichenblätter in Haufen zusammen, füllte sie in einen Spankorb und wenn der Korb halbvoll war, trug sie ihn nach Hause. Der Boden war lehmig, ihre Schuhe wurden nass, die langen braunen Strickstrümpfe wärmten kaum, wenn sie feucht waren.

      Sie leerte den Korb in der Scheune aus; dort gab es eine Bütte mit einem Holzdeckel für das Schweinefutter: Laub, Kartoffelschalen, Erbsenschoten, Dinge, die übrig blieben und die trotzdem verwendet werden mussten.

      Als der letzte Korb ausgeleert war, legte sie den Deckel auf und blieb einen Augenblick stehen, um sich auszuruhen. Da hörte sie, wie sich jemand hinter ihr in der Dunkelheit bewegte. Sie wandte sich um, erkannte den Geruch und wusste, dass es Filip war. Sie trat einen Schritt zurück, er kam auf sie zu und packte sie am Handgelenk, war ganz nahe, er roch ungewaschen, und der Branntweingestank schlug ihr entgegen.


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