Hundert Geschichten. Quim Monzo

Hundert Geschichten - Quim  Monzo


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oder eine Freundin, die mir leidtat: Der Mann hatte nicht in Erwägung gezogen, dass es sich um sie handeln könnte, bis er die Worte weißer Mercedes hörte. Sei wie es sei, ich befand mich in dem Haus, und das Schweigen dauerte schon zu lang. Dies war ganz klar mein Mann. Ich zog den Revolver. Der Mann machte eine überraschte Geste. Ich sah mich gezwungen, ein paar Worte zu sagen, um die Situation klarzustellen:

      – Ich bin gekommen, um Sie zu töten.

      Der Mann war noch mehr überrascht: Ganz offensichtlich hatte er beim Anblick der Waffe an Raub gedacht. Mit einem dünnen Stimmchen fragte er mich, warum. Ich wollte nicht darauf hereinfallen: Wenn ich anfinge, ihm zu erklären, dass ich in Wirklichkeit gar kein Motiv hatte, ihn zu liquidieren, würde ich mir schnell überflüssig und lächerlich vorkommen. Der Mann fügte hinzu:

      – Warten Sie einen Moment, ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen.

      – Er zog seine goldene Armbanduhr ab und reichte sie mir zusammen mit seiner Brieftasche, die er in der rechten Hosentasche trug. – Oben habe ich Schmuck und noch mehr Geld. Wenn Sie wollen, können Sie auch diese Bilder mitnehmen. Sie können einen ganzen Haufen Geld mitnehmen. Aber verlieren Sie nicht den Kopf, behalten wir die Nerven.

      Allmählich hatte er Angst bekommen. Er sträubte sich zu glauben, dass ich nicht da war, um ihn auszurauben: Er war nicht in der Lage, das zu verstehen. Ich dagegen fand es kränkend, dass er mich als einen kleinen Dieb betrachtete, den man mit Flitterkram kaufen konnte. Zitternd und stammelnd stand er vor mir und erschien mir derart als Feigling (und während ich die Kälte des Abzugs an meinem Finger spürte, dachte ich, an seiner Stelle würde ich mich genauso feige verhalten), dass ich ohne die geringsten Gewissensbisse zwei Schüsse auf ihn abfeuerte, die in der Nacht wie zwei Ohrfeigen klangen. Als er auf dem Boden lag, gab ich ihm mit einem dritten den Gnadenschuss. Die Zigarre begann eine Ecke des Teppichs anzusengen. Der Mann umklammerte fest die Brieftasche und die Uhr, die er mir vorher angeboten hatte. Ich bückte mich. Noch ehe ich verstand, was ich tat, nahm ich die Uhr und die Brieftasche. Oben sammelte ich den Schmuck und das Geld ein. Von den Bildern wählte ich fünf aus: einen Modigliani, zwei Bacon, einen Hopper und einen Llimós. Mit dem Taschentuch öffnete ich die Tür. Im Auto fragte ich mich, ob es das nächste Mal genauso einfach sein würde.

      Der Brief

      Am Mittwoch gegen Mittag schloss er in der Küche sämtliche Türen und Fenster, öffnete den Gashahn und legte sich rücklings auf den Boden; kurz darauf starb er. Am Freitag in der Früh, das Bestattungsunternehmen war noch nicht eingetroffen, brachte der Briefträger einen Brief in einem Umschlag ohne Absender. Ein entfernter Vetter, der einzige Verwandte, den man ausfindig machen konnte, hatte, dringliche Geschäfte vorschiebend, den Ort mit dem Hinweis auf seinen doch recht fernen Verwandtschaftsgrad vor einer Weile verlassen. Zudem meinte er mit Bezug auf seinen militanten Agnostizismus, er habe mit einer Nacht Totenwache das Trauerritual mehr als erfüllt. Der Concierge nahm also den Brief entgegen, doch wusste er dann nicht, was damit tun, und legte ihn auf die Hände des Verstorbenen. Die vom Bestattungsunternehmen kamen zu spät und in Hetze. Sie verschlossen den Sarg und trugen ihn die Treppe hinunter. Der Concierge schloss die Wohnungstür ab. In dem Brief, den niemand las, stand:

      »Liebster Scheißkerl,

      deine Briefe habe ich erhalten, doch kam ich bis vor wenigen Tagen nicht dazu, sie zu lesen. Ich beantworte sie nun, aber ich sage es gleich, es wird das erste und das letzte Mal sein. Ich habe wahrlich anderes zu tun, als Geistesarmen wie deinesgleichen Trost zu spenden. Du überschüttest mich mit unangebrachten Versprechungen und Erklärungen, um die dich keiner gebeten hat. Du lebst außerhalb jeglicher Realität. Du weißt doch genau, dass ich niemals zu dir zurückkehren werde, denn du und ich, wir haben uns alles gegeben, was möglich war; eigentlich relativ wenig. Komm mir jetzt nur nicht mit rührseligen Geschichten. Ein bisschen mehr Charakter würde dir gut anstehen. Du behauptest, ich hätte mich auf Bert eingelassen, weil er besser im Bett sei als du, und formulierst das so, als wolltest du mir einreden, ich sei eine Hure. Wenn du glaubst, du könntest mir damit Schuldgefühle machen, irrst du ganz gewaltig. Was denkst du dir eigentlich? Allerdings triffst du den Nagel auf den Kopf, wenn du meinst, mit Bert amüsiere ich mich besser. Und wie! Ich würde mich freuen, wenn du begreifst, welche Dimensionen zwischen euch liegen, auch mental. Da du masochistisch veranlagt bist, erzähle ich dir nun mehr: Ich werde nass, schon wenn er mir ins Ohr flüstert, wie er es mit mir treiben wird, so wie du es nie vermocht hast. Ich kann ihn stundenlang streicheln, und wenn mir das zu langweilig wird, lasse ich ihn kommen, wo ich will. Und dann geht’s wieder von vorne los. Er ist so anders als du! Er hat das, was man Phantasie nennt, ich weiß nicht, ob du weißt, was ich meine. Im Restaurant lässt er mich mitten beim Essen den Schlüpfer ausziehen oder Ähnliches, was du abwegig findest (was hat man davon, sich im Restaurant den Schlüpfer auszuziehen?, wirst du dich nun fragen), mich macht das völlig verrückt vor lauter Lust, so verrückt, dass wir aus dem Restaurant abhauen müssen. Auf der Straße machen wir uns übereinander her, so als seien wir Gesindel. Wir treiben es in Gärten, wälzen uns auf dem Rasen, erregt, weil uns jederzeit jemand entdecken kann. Dann steigen wir in ein Taxi, und er ist weiter unter meinem Rock zugange, sodass ich mein Gesicht verstecken und in meine Hand beißen muss, damit der Taxifahrer nichts merkt; Bert ist dabei ganz ernst, so als mache er gar nichts mit seiner Hand, und ich komme ein ums andere Mal, bis der Sitz ganz durchnässt ist. Wir steigen aus, und allein bei der Vorstellung der Gesichter der Fahrgäste, die nach uns einsteigen, krümmen wir uns vor Lachen. Magst du, dass ich dir das alles erzähle? Sicher. Du fühlst dich ja so wohl, wenn du leidest . . . Du hast es schon immer gemocht, dich wegen jeder Kleinigkeit in Selbstquälerei zu ergehen und dich in dein Leid hineinzusteigern. Womöglich findest du die Dinge, die ich dir hier erzähle, sogar erregend? Als du gelesen hast, wie mich Bert angrapscht, war das sehr erotisch für dich? Er grapscht an mir herum, fasst mich an und steckt seine Finger in alle Löcher, die er findet (und ich in seine), und wir lieben uns in Parks und in Kinos und in Absteigen, ganz eilig, als könnten wir nicht warten, bis wir zu Hause sind. Und wenn wir dann daheim sind, fangen wir von vorne an. Und ich fummele an ihm herum, ich fummele überall an ihm herum: auf der Straße, in Bars, vor seinen und vor meinen Freunden, im Auto, wenn er fährt. Im vollen Bus stecke ich meine Hand in seinen Mantel und in seinen Hosenschlitz und packe ihn, hart, steif und warm, und im schaukelnden Rhythmus des Busses reibe ich ihn, bis er sich über meine Finger ergießt, und beim Aussteigen lutsche ich sie ab, und der Fahrgast neben der Tür blickt auf meine Lippen und auf meine Finger und eine Sekunde später versteht er, was passiert ist, und lächelt überrascht. Wenn du willst, kannst du dir von mir aus einen runterholen. Wenn es dir allerdings wehtut, dass ich dir all das erzähle, weißt du, was zu tun ist: Hör auf, mir zu schreiben. Wenn du normal wärst, hättest du nach dieser ganzen Zeit, immerhin wohnen wir jetzt schon fast zwei Monate nicht mehr zusammen, längst eine neue Freundin und würdest ihren Hintern bearbeiten, anstatt mir mit deinen Briefen ein schlechtes Gewissen einzureden. Falls es dich tröstet (oder dein Leiden steigert), will ich dir mitteilen, dass ich nun mit einem Supertypen gehe und Bert ein bisschen eifersüchtig ist, so wie du, als das mit Bert anfing. Mit diesem Typ amüsiere ich mich bombig. Vielleicht noch mehr als mit Bert, was ja ziemlich schwierig ist und was deine Theorie bestätigen würde, dass ich von jedem neuen Typen hingerissen bin und immer glaube, er sei tausendmal besser als der vorige, bis ich, nachdem ich ihn besser kenne, das Interesse verliere. Vielleicht stimmt das auch. Na und? Dieser ist ziemlich jung, und ich muss ihm erst alles beibringen: wie er sich hinlegen muss, was er bei mir machen soll, wie er mich lecken, wie er mich umarmen soll. Ich fühle mich als Beschützerin, so wie eine Mutter. Wie du siehst, kommt jetzt bei mir scheinbar der Mutterinstinkt durch. Er ist zart und stark wie ein Kalb und füllt mir den Mund wie niemand davor. Es muss eine Frage des Alters sein: so ein zartes Lämmchen . . . Möchtest du noch mehr von mir wissen? Hoffentlich nicht. Und was die Drohung betrifft, dich umzubringen, will ich dir noch eins sagen: Ich finde es völlig geschmacklos und wenig originell, und wenn du meinst, du müsstest mich genauso fies erpressen wie Toni, als ich ihn deinetwegen verlassen habe, so will ich dich doch daran erinnern, dass er wenigstens den Mumm hatte, die Drohung wahr zu machen, etwas, was ich mir bei dir kaum vorstellen kann. Nun zum Schluss, mein Lieber, in der Hoffnung, nie wieder von dir zu hören, sende ich dir nicht gerade überschwängliche Grüße

      C.«


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