Die Zeit berühren. Walter Kaufmann

Die Zeit berühren - Walter  Kaufmann


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hatte rauchen sehen, die glimmende Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger in der hohlen Hand. Knast? hatte ich sie gefragt und erstaunt hatte sie zurückgefragt, woher ich das wisse. Ich hatte ihr geantwortet, daß so nur rauche, wer nicht dabei erwischt werden wollte, und dann hatte sie zugegeben, heute erst aus dem Werkhof entlassen worden zu sein, auch den Grund für ihre Maßregelung hatte sie gesagt – das Ansprechen von Männern auf Bahnhöfen.

      »Es muß an mir liegen, daß ich immer wieder an untypische Menschen in untypischen Umständen gerate«, sagte ich dem Verleger. »Da war dieses Mädchen auf dem Zug …«

      Aber er hörte nicht mehr hin. Ihn drängten Termine, und kurze Zeit später hatte ich mein Manuskript zurück und war auf dem Weg zum Rostocker Bahnhof.

      Suvastrand

      Fidschi 1954

      Weitab in der Sichel des Strandes war eine Gestalt erkennbar, ein Mann, der mit dem Rücken gegen den Stamm einer Palme lehnte. Still lehnte er dort und blickte hinaus aufs Meer, und verharrte still wie zuvor, nachdem er sich gesetzt hatte, die Arme um die Knie verschränkt. Beim Näherkommen dämpfte ich die Schritte. Er sah erst zu mir auf, als mein Schatten über ihn fiel. Nur seine hochgezogenen Brauen verrieten die Spur von Unwillen. Wir begrüßten uns und dann schwiegen wir. Er kam meiner Vorstellung von Jesus nah – ein Dreißigjähriger von schlankem Wuchs mit Haar, das bis zur Schulter reichte, die Stirn gewölbt und hoch, der Blick der Augen stetig und sinnlich der Mund. Wie er da nachsinnend saß, wölbten sich sanft die Lippen. Er war barfuß, zerschlissen die Jeans und rissig an den Knien, dem Khakihemd, das ihm offen über der Brust hing, fehlten die Ärmel.

      »Es wird Wind aufkommen und in der Nacht ein Sturm«, hörte ich ihn sagen.

      Da sah auch ich hinaus aufs Meer, das glatt war wie ein Spiegel, wolkenlos erstreckte sich der Himmel am Horizont, und schwach wie ein stehendes Gewässer floß das Meer über den Sand. Nicht ein Hauch bewegte die Palmblätter. Es war schwül schon am Morgen, jetzt war es schwüler, und die Sonne stach.

      »Joseph Conrad«, sagte ich.

      Er wiegte versonnen den Kopf und befragte die Bemerkung nicht.

      »Oft gibt es solche Prophezeiungen in Conrads Erzählungen – ein erfahrener Seemann«, fuhr ich fort.

      Dem stimmte er zu und wieder behauptete er, es würde stürmen in der Nacht. Ich wähnte, daß auch er ein erfahrener Seemann war.

      »Das ist lange her, zehn Jahre.«

      »Und seitdem nur noch ein Leben auf Suva?«

      »Die Inseln sind mein Leben«, sagte er.

      Mir wollte nicht in den Sinn, wie einer sich früh schon so entscheiden konnte.

      »Mit zwanzig bestimmte der Krieg mein Leben«, sagte ich ihm.

      »Das kommt vom Hingehen«, erwiderte er. »Ich ging nicht hin und werde es nie tun. Krieg ist Sünde, und was haben mir die Koreaner angetan, daß ich sie morde.«

      »Dort ist kein Krieg mehr«, erklärte ich ihm. »Der Waffenstillstand liegt schon ein Jahr zurück.«

      »Also ist Frieden.«

      Ich nickte. Da blickte er wieder zum Meer hinaus, das ruhig war noch immer, ein weites stilles Wasser unter der Sonne.

      »Und doch wird es stürmen heut Nacht.«

      Ich begriff, was er mir sagen wollte und warum er lebte, wie er lebte.

      Zirkus

      Köln 1932

      Schon die Anreise war voller Spannung, allein im D-Zug nach Köln, acht Jahre alt und mit dem Taschengeld von zwei Fünfmarkstücken im Brustbeutel. Um zwölf war ich am Duisburger Hauptbahnhof, obwohl ich nur eine Stunde zu fahren und erst spätnachmittags anzukommen brauchte – Sarrasani, Kindervorstellung im Zirkus, mit Tünnes und Schäl, mit Tigern, die durch brennende Reifen sprangen, wild brüllenden Löwen, rasanten Pferden und Elefanten, die nichts vergaßen und sich zu rächen verstanden für Unrecht, das Jahre zurücklag. Auf rollenden Rädern im Abteil durchlebte ich, was ich zu sehen erhoffte – den Mann, der Feuer spie und Schwerter schluckte, das Trio am fliegenden Trapez, die Menschenpyramide, den Seiltänzer und die Jongleure. Ich hörte die Zirkusmusik und das Knallen der Peitschen, das Hop-Hop der Artisten, wenn sie im Sägemehl Rad schlugen, und ich roch den Geruch unterm Zirkuszelt. Für das Erlebnis Zirkus wäre ich nicht bloß nach Köln, sondern quer durch Deutschland gereist.

      Mit klopfendem Herzen, fürchtend, die besten Plätze könnten schon vergeben sein, stand ich Schlange vor der Kasse und empfand es als Triumph, als ich eine Logenkarte erstand. Lang vor der Zeit belegte ich meinen Platz. Als endlich die Lichter aufflammten und der Zirkusdirektor hoch auf weißem Roß in die Arena ritt, gab ich mich der Erfüllung meiner Träume hin. Ich jubelte mit Tünnes und Schäl, bangte für das Trio am Trapez, den Seiltänzer hoch überm Netz, und sah mich auf dem Rücken eines galoppierenden Pferdes, eines mächtigen Elefanten, und wenn der Löwe fauchend die Tatzen gegen den Dompteur hob, steigerte sich meine Bewunderung ins Grenzenlose.

      Sarrasani. Jene Vorstellung in Köln im achten Jahr meines Lebens übertraf alle Erwartungen. Ich hatte Löwen und Tiger erwartet, Pferde, Elefanten und Artisten, nur sie nicht, die Seejungfer Annabella mit den strahlenden Augen und dem langen dunklen Haar. Es faszinierte mich, daß sie von der Hüfte abwärts ein Fisch und keine Frau war. Wie ein Fisch würde sie durch das Becken gleiten, in das die Arena jetzt verwandelt war, und als sie sich von der Plattform in die Tiefe fallen ließ, ich sie anmutig ins Wasser tauchen sah, war ich bezaubert.

      Sie tauchte ein und schwamm im Kreis, und immer wenn sie lächelnd den Kopf hob, war mir, als täte sie das nur für mich. Weiß und lieblich zeichneten sich ihre Brüste unterm Wasser ab und ihr Haar floß überm Wasser wie ein Schleier. Nie würde ich sie vergessen können, und in jener Nacht noch und in den Nächten die folgten, glitt Annabella, die Seejungfer aus dem Zirkus in Köln, durch meine Träume.

      Flughafen

      San Francisco 1960

      Nie zuvor hatte irgendwer meine Schuhe geputzt, von Kind an besorgte ich das selbst – im Duisburger Elternhaus, im englischen Internat, im australischen Lager, in der australischen Armee und später auch sonstwo in der Welt. Ich war bekannt für gewienertes Leder, blankes Schuhwerk, und ich kam mir seltsam vor, sehr fehl am Platz, als ich an jenem Morgen, kurz nach der Landung in San Francisco, meiner ersten Berührung mit Amerika, auf hohem Stuhl sitzend, auf den Schwarzen herunterblickte, der für billiges Geld meine Stiefel bearbeitete. Es war sehr früh noch, erst sieben, und ich war wohl sein erster Kunde. Er ließ sich Zeit, und ich hatte Zeit, und während er mit Schuhcreme, Lappen und Bürsten zu Werke ging, ein wahrhafter Jongleur seines Fachs, stellte er Fragen.

      »Where are you from, Sir, and where are you headed?«

      Auch dieses Sir, das er untertänig wiederholte, gab mir ein ungutes Gefühl. Er war alt genug, mein Vater zu sein, ein ergrauter Mann in zerschlissener Kleidung, die ihm am Leibe schlotterte. Ich wünschte, er möge schneller zurande kommen, damit ich meiner Wege gehen konnte. Wie lange sollte ich hier noch vor aller Augen sitzen und mich von ihm bedienen lassen. Mir war bald, als säße ich am Pranger, und da meine Stiefel längst makellos glänzten, versuchte ich, ihm klarzumachen, daß es gut sei.

      »Leave off, it's fine!«

      Er aber werkelte weiter – helle Creme, braune Creme, heftiges Bürsten und noch heftigeres Wienern mit knallendem Lappen. Ja, er knallte die gefalteten Lappen über das Leder, und am Ende gab er noch einen Spritzer Wasser dazu. Das Morgenlicht spiegelte sich in meinen Stiefeln.

      »Leave off, it's fine!«

      Er betrachtete seine Leistung und gab mir Recht. Zu mir aufblickend hielt er die Hand hin und kassierte den Lohn.

      »Thank your, Sir.«

      Ich stieg vom Stuhl und setzte mich auf eine Bank nahbei, um die Zeit abzuwarten bis zur Weiterfahrt im Bus nach Squaw Valley. Lange saß ich dort,


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