Seelsorge: die Kunst der Künste. Группа авторов
vollzogen wurde, war das Priesterseminar St. Peter in Freiburg. Daraus kann man ablesen, dass die „Lebendige Seelsorge“ stark in Freiburg verwurzelt war und ihm auch verpflichtet blieb (Quisinsky). Die „Lebendige Seelsorge“ wechselte ab dem Jahrgang 2004 nach Würzburg. Der Leiter des Echter Verlages Thomas Häußner trug mir nach meinem Wechsel von Paderborn nach Würzburg die Schriftleitung der Zeitschrift an. Vorausgegangen war schon die Hineinnahme in das Herausgeberteam der im Echter-Verlag erscheinenden Reihe „Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge“ ab Bd. 37. Initiator der Reihe war mein akademischer Lehrer Prof. Dr. Konrad Baumgartner. Mit dieser Reihe und der Zeitschrift hat der Echter Verlag prägenden Einfluss auf den Seelsorgediskurs der vergangenen Jahrzehnte genommen – und nimmt ihn noch heute. In dieser Zeit haben sich die Rahmenbedingungen für die Seelsorge erheblich verändert. Dem sollte sowohl durch die neue Reihe als auch durch das neue Konzept der Zeitschrift Rechnung getragen werden.
Seelsorge – gestern und heute
Die Gründung der neuen Reihe und das Konzept und die neu entwickelte Heft-Dramaturgie der Zeitschrift sind zu verorten in den Veränderungsprozessen von Seelsorge und Pastoral in den letzten Jahrzehnten. Bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Situation tauchen stets die Begriffe Pluralisierung, Individualisierung und Erlebnisorientierung auf. Wie soll Seelsorge darauf reagieren und wie kann sie in solch dominanten Kontexten überhaupt noch agieren?
Zwei Programmschriften – die eine aus dem evangelischen, die andere aus dem katholischen Bereich – geben darauf folgende Antworten: Hans Ulrich Gehring hat in seiner Habilitationsschrift mit dem Titel „Seelsorge in der Mediengesellschaft“ den Befund der Pluralisierung erweitert zur „reflexiven Pluralisierung“, d. h. Pluralisierung wird nicht einfach als Fortschrittsvorgang verbucht, sondern das Schattige und Ambivalente von Pluralisierung wird durchaus gesehen und wahrgenommen.
Seelsorge benötigt auf diesem Hintergrund zwei Kompetenzen: zum einen die Fähigkeit, mit differenten Erfahrungen umzugehen; zu dieser Fähigkeit zur Differenz und zur Differenzierung muss sich immer mehr eine andere Kompetenz gesellen, nämlich die Fähigkeit zur Kohäsions-Arbeit, d. h. das Vermögen, Verknüpfungen herzustellen und Übergänge zwischen dem Differenten und Disparaten zu bilden.
Doris Nauer hat in ihrer Habilitationsschrift mit dem Titel „Seelsorge im Widerstreit“ den Versuch gemacht, die pluralen Konzepte von heutigen Seelsorgeansätzen zu bündeln und zu ordnen. Dabei unterscheidet sie drei Hauptrichtungen: Seelsorgekonzepte mit theologisch-biblischer, mit theologisch-psychologischer und mit theologisch-soziologischer Perspektivendominanz. Diesen Hauptperspektiven werden dann einzelne Seelsorgekonzepte zugeordnet. Auch wenn sich über die Zuordnungskriterien trefflich streiten ließe, ist doch ein Überblick über aktuelle Seelsorgekonzepte sowie eine inhaltliche Beschreibung über Zielsetzung und Relevanz von Seelsorge gelungen.
Entspricht also der Pluralisierung der Lebenswelt nach dem Motto „Jeder ist ein Sonderfall“ eine Pluralität von Seelsorgeansätzen und kann man unter diesen wie in einem Supermarkt auswählen? Die Neukonzeptionierung der Zeitschrift „Lebendige Seelsorge“ realisierte hier einen anderen Weg: es geht nicht um eine Addition von Ansätzen, sondern es geht um ein Gespräch und einen produktiven Streit zwischen den Ansätzen und vor allem um ihre Praktikabilität.
Seelsorge hat Zukunft
So hat gleich das erste Heft mit dem programmatischen Titel „Seelsorge hat Zukunft“ eine nachhaltige Kontroverse angestoßen. Die Frage lautete: Wird die Seelsorge in Zukunft mehr orts- und gemeindebezogen sein oder soll sie sich als Kommunikationspastoral, als Pastoral der Zwischenräume verstehen? Zwei dezidierte Positionen lagen dazu bereits vor: auf der einen Seite Jürgen Werbick mit seinem Buch „Warum die Kirche vor Ort bleiben muss“, das für eine Verörtlichung von Seelsorge plädiert. Auf der anderen Seite Michael N. Ebertz, der einer erweiterten Ort-Suche von Seelsorge das Wort redet. Das Erstaunliche war, dass beide noch nicht miteinander in das Gespräch und den Austausch getreten waren. Das ist das Konzept der neuen Lebendigen Seelsorge, solche Gespräche, solche in der Luft liegenden Kontroversen auszutragen, aufzugreifen, zu ermöglichen und ihnen einen Platz zu geben. Dabei sollen keine schnellen Antworten erreicht oder gar harmonisierende Vermittlungen erzwungen werden. Eher soll es um Suchbewegungen gehen, aber auch um die Formulierungen und Präzisierung der Konsequenzen, die sich ergeben, wenn man sich auf eines der Konzepte einlässt. Es geht also um die Frage: Welche Praxis folgt aus den jeweiligen spezifischen theoretischen Optionen von Seelsorge?
Jürgen Werbick kritisierte am Ansatz von Ebertz eine undurchschaute und latente Hierarchisierung von Kirche – das soziologische Design bei Ebertz verwische diesen ekklesiologischen Aspekt – sowie eine Virtualisierung von Seelsorge. „Gute Orte zum Ein-und Ausgehen, zum Bleiben und Ausruhen; Orte der einladenden und möglichst wenig ausschließenden, niederschwelligen Glaubenskommunikation; wenn man will: Stützpunkte und Treffpunkte, an denen Kirche sich antreffen und sich auch als ‚Stütze‘ in Anspruch nehmen lässt, an denen sie feiert, woraus und wofür sie lebt: Wer meint, diese Orte mehr und mehr virtualisieren zu können oder zu müssen, etwa weil die Problematik der Gemeindeleitung und des SeelsorgerInnenmangels unlösbar geworden scheinen, der gibt die Kirche als ‚Leib Christi‘ an der Basis auf.“ (Werbick 2004, 6)
Ebertz dagegen konstatierte bei Werbick einen Wohn-Territorialismus – wobei sich sehr schnell die Assonanz von Wohnort und Milieu-Terror einstelle. Er attestierte den meisten Gemeinden Milieuverengungen mit exkommunizierenden Tendenzen gegenüber anderen Milieus und ihrem Selbstverständnisstil. Viele Menschen finden das pastorale Angebot ihrer Gemeinden längst nicht mehr attraktiv. Es sei seiner Meinung nach an der Zeit, die Augen zu öffnen und wahrzunehmen, dass sich die meisten Menschen – trotz Wohnraumnähe – schon längst nicht mehr in die pfarrheimlich verlängerten Wohnzimmer begeben wollen und keine Lust auf die auf Frohsinn und Harmonie getrimmte Pfarrcommunio hätten (Ebertz 2004, 17).
Die Zeitschrift wählt also den Weg der „transversalen Vernunft“: sie bringt ins Gespräch, schürt dabei nicht die Kontroversen um der Kontroverse willen, sondern will durch das Gespräch Positionen klären und Theologie im Dialog betreiben. Dabei sollen auch einseitige Zitationskartelle aufgebrochen und einseitige theologische Richtungen oder Schulbildungen vermieden werden. Gab es früher ein Schisma zwischen den Zeitschriften „Diakonia“ und „Lebendige Seelsorge“, so schreiben in der neuen Lebendigen Seelsorge Autoren aller Richtungen und Positionen. Einzige Voraussetzung ist Kompetenz für ein bestimmtes Thema.
Albrecht Grözinger hat in seinem Survey über „Zehn Jahre Zeitschrift Pastoraltheologie“ (2003) festgestellt, dass in den theologischen Zeitschriften kaum noch gestritten werde, dass alles viel zu höflich – man könnte sogar friedhöflich sagen – zugehe. Mehr Streit würde er sich wünschen, denn die aktuellen Herausforderungen lohnen nicht nur den Streit, sie brauchen ihn auch.
Die Lebendige Seelsorge beherzigt das: in Gesprächen, Projektberichten und Praxisbeiträgen zeigt sie etwas vom Plural und den unterschiedlichen Realisationsformen von Seelsorge an verschiedenen Orten. Entwicklung in der Kirche geht ja nie linear: sie geht – so der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner – nach dem Prinzip der Echternacher Springprozession: „Man macht zwei Schritte nach vorn, aber dann braucht man zur Erholung wieder einen Schritt zurück. Dann kommen wieder zwei Schritte nach vorn … Auch auf diesem Weg gelangt man letztlich in eine Zukunft, die bleibt.“ (Zulehner 2004, 33; Garhammer 2016, 156)
Der Blick in die Geschichte (Wolf 2004) ist ein Beweis für diese Springprozession: im Jahre 1926 wurde das Priesterwerk „Amici Israel“ gegründet. Weltweit gehörten der Vereinigung 19 Kardinäle, 278 Bischöfe und an die 3000 Priester an. Angesichts der zunehmenden antisemitischen Agitation setzte sich die Vereinigung zum Ziel, die Karfreitagsbitten grundlegend zu ändern. Der Präsident, Benediktinerabt Gariador, stellte am 2. Januar 1928 bei der Ritenkongregation die Petition, die Begriffe „perfidus“ und „perfidia“ zu streichen. Ferner sollte auch die Kniebeuge eingeführt werden, um diesen Anti-Gestus der rituellen Verweigerung zu beenden. Die Kniebeuge entfiel ja deshalb, um nicht das Andenken an die Schmach zu erinnern, mit der die Juden um die neunte Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten. Der von der Ritenkongregation beauftragte Gutachter stellte sich voll hinter diese Anliegen. Die liturgische Kommission der