Marketing. Richard Kühn
Artikel abzusetzen, sie ist jedoch an deren Entwicklung nicht beteiligt.12
In einem analogen Sinne sprechen wir auch dann von produktorientiertem Marketing,
wenn z.B. Unternehmen der Maschinenindustrie ohne Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse und der Marktsituation Produkte auf der Basis einer Technologie entwickeln, die sie beherrschen, oder
wenn z.B. Anbieter von professionellen Beratungsdienstleistungen ihre Angebote ohne Marktbezug am Know-how der vorhandenen Berater ausrichten.
Bedürfnisorientiertes Marketing kann umschrieben werden als Orientierung absatzmarktrelevanter Entscheide und Aktivitäten an den Kunden und ihren Bedürfnissen.
Hier wird davon ausgegangen, dass der Schlüssel zur Erreichung der Unternehmensziele in der Zufriedenheit des Kunden liegt. Alle wesentlichen Entscheide des Unternehmens haben deshalb die Gegebenheiten des Marktes, in erster Linie die Wünsche und Bedürfnisse der Käufer als wichtige Daten zu berücksichtigen. Das Primat des Marktes ist ein wichtiger Grundsatz der Unternehmenspolitik. Das Marketingdenken hat einzusetzen, bevor man sich mit produktionstechnischen Überlegungen befasst.13
Abbildung 1-5 enthält eine schematische Gegenüberstellung der Extrempositionen des produkt- und bedürfnisorientierten Marketing.
Abb. 1-5: Produkt- und bedürfnisorientiertes Marketing
b) Aktives und passives Marketing
Ungeachtet einer eher produkt- oder eher bedürfnisorientierten Grundeinstellung kann ein Unternehmen aktives oder passives Marketing betreiben.
Aktives Marketing liegt dann vor, wenn die Instrumente Werbung, Verkaufsförderung, Verkaufsgespräch und Preis häufig und intensiv eingesetzt werden.
Dagegen wird von passivem Marketing gesprochen, wenn diesen Instrumenten im Marketingmix keine offensive Bedeutung zukommt.
Auch aktives und passives Marketing basieren zumeist auf fest verankerten Denkmustern und Vorstellungen. So wird in Unternehmen mit schwachem Einsatz der Marktbearbeitungsinstrumente öfter argumentiert, Marketingmassnahmen seien wirkungslos oder nicht mit dem „Charakter“ der angebotenen Leistungen vereinbar (z.B. bei Kunstwerken oder staatlichen Dienstleistungen).
c) Raster möglicher Marketinggrundeinstellungen
Die obenstehenden Ausführungen könnten den Eindruck erwecken, es gäbe in der Praxis immer klar unterscheidbare, einander entgegengesetzte Marketinggrundeinstellungen, bzw. es liesse sich das Marketing eines Unternehmens eindeutig den Extremwerten der zwei Dimensionen zuordnen. Ein solcher Eindruck wäre jedoch falsch. Die beschriebenen Grundeinstellungen bezeichnen vielmehr Idealtypen, die in der Realität nur selten in reiner Form anzutreffen sind und neben denen eine Vielzahl von Mischtypen existiert.
Abbildung 1-6, welche die beiden Dimensionen zur Charakterisierung der Marketingorientierung als Koordinaten eines Beurteilungsrasters auffasst, soll dies veranschaulichen.
Abb. 1-6: Raster möglicher Marketinggrundhaltungen
Ein Unternehmen ist de facto nie oder doch fast nie extrem „produktorientiert“ oder „bedürfnisorientiert“, „aktiv“ oder „passiv“. Es ist im Allgemeinen nur „mehr oder weniger produktorientiert“, „mehr oder weniger bedürfnisorientiert“, „mehr oder weniger aktiv“, „mehr oder weniger passiv“ und zwar in Abhängigkeit von der Zahl und Bedeutung der Massnahmen und Einrichtungen, in denen sich die eine oder andere Grundeinstellung niederschlägt. Es existieren in der Realität immer eine Reihe von Symptomen, die in die eine oder andere Richtung deuten und die gemeinsam die Position eines Unternehmens auf den Kontinua der möglichen Marketingorientierungen bestimmen.14
Natürlich kann aufgrund eines einzelnen Symptoms nicht auf die Marketinggrundeinstellung des Unternehmens geschlossen werden. Erst eine sorgfältige und umfassende Analyse der absatzmarktrelevanten Entscheide, Verhaltensweisen und Massnahmen der verschiedenen organisatorischen Einheiten, die sich in ihrer Marketingorientierung unter Umständen wesentlich unterscheiden, erlaubt einen einigermassen fundierten Rückschluss auf die Marketinggrundhaltung der Gesamtunternehmung.
Tabelle 1-2 enthält Beispiele derartiger Symptome für die wichtigere und im Allgemeinen auch weniger leicht beurteilbare Dimension des „produkt- bzw. bedürfnisorientierten Marketing“. Konkrete Merkmale der Marketingpraxis sind als Ansatzpunkte zur Beurteilung der Marketinggrundeinstellung auch deshalb wichtig, weil direkte Fragen nach der Einstellung zu den Kunden häufig keine verlässlichen Ergebnisse liefern. Es gehört heute zum Selbstverständnis der Unternehmenspraxis, dass man Kundennähe und Kundenorientierung zu einem der obersten Leitsätze des Mitarbeiterverhaltens erklärt und deshalb auch für sich in Anspruch nimmt, kundenorientiert zu sein. Ob es sich dabei um ein Lippenbekenntnis handelt oder ob tatsächlich eine kunden- bzw. bedürfnisorientierte Grundeinstellung vorherrscht, kann nur eine eingehende Analyse der Marketingpraxis zeigen.
Bereiche, Instrumente, Funktionen | Symptome für Produktorientierung | Symptome für Bedürfnisorientierung |
Leistungsprogramm, | Spezifisch, an bestimmten technischen Fähigkeiten orientiertes Sortiment; | An Problemen und Bedürfnissen eines Marktes orientiertes Sortiment; |
Sortiment | Motto: verkaufen, was man produzieren kann. | Motto: „produzieren“, was sich verkaufen lässt. |
Marktdaten, Kundendaten | Nicht oder nur spärlich vorhanden; man ist jedoch überzeugt, die Kunden und ihre Bedürfnisse zu kennen. | Ausgebaute Marktforschung; quantitative und qualitative Daten; evtl. Glaube, dass Marktforschung alles beantwortet. |
Organisation | „Techniker“ dominieren die Geschäftsleitung; Marketing als Stabsstelle; Verkauf nicht dem Marketing unterstellt; Produktentwicklung ohne Beizug der Marketingfachleute. | Marketingspezialisten und Verkäufer mit „Fronterfahrung“ dominieren die Geschäftsleitung; Marketing als Linienabteilung, welcher der Verkauf unterstellt ist; Marketing dominiert Produktentwicklung. |
Marketing-kommunikation | Produkttechnische Argumente dominieren. | Problemlösungen für Kunden und Kundennutzen dominieren. |
Kundendienst | Nur soviel wie absolut nötig; Reklamationen als Störfaktor. | Ausgebauter Kundendienst als Basis für Kundenbindung; Reklamationen als Chance nutzen. |
Kundenempfang, äussere Merkmale | Parkplätze eher für Geschäftsleitung als für Kunden reserviert; im Extremfall unfreundlicher, ineffizienter Empfang; Kunde wirkt fast störend. | Parkplätze, Anschriften, Empfangshalle, Telefondienst etc. sind auf Kundenempfang ausgerichtet; Kunde soll sich als König fühlen. |
Tab. 1-2: Beispiele von Symptomen für produkt- und bedürfnisorientiertes Marketing15
Die Erfassung der Marketinggrundeinstellung aufgrund von „Symptomen“, die sich im Verhalten, in konkreten Massnahmen, eingesetzten Instrumenten und Sachmitteln äussern, entspricht einem Vorgehen, wie es zur Bestimmung der Dimensionen der Organisations- bzw. Unternehmenskultur empfohlen wird. Die Symptome entsprechen den (äusserlichen) Kulturartefakten, von denen auf die nicht direkt messbaren Kulturdimensionen (kulturrelevante Einstellungen und Denkmuster) geschlossen wird.16 Es wird deshalb auch vorgeschlagen, die Marketinggrundeinstellung als Dimension der Unternehmenskultur zu interpretieren und wissenschaftlich zu untersuchen.17
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es natürlich