Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Konrad H. Jarausch

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert - Konrad H. Jarausch


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Impulse zur Gründung diverser halbstaatlicher Firmen; u. a. rief er eine Gesellschaft für Erdölraffination ins Leben, die AGIP, sowie ein »Institut für den industriellen Wiederaufbau«, das IRI, das nichts anderes war als eine von der Regierung kontrollierte Investmentbank. Mit großem Trara veranstaltet, brachten diese propagandatriefenden Kampagnen wohl ein paar sichtbare Erträge ein, doch änderten sie wenig an der untergründig fortbestehenden Schwäche der italienischen Wirtschaft.4

      MussolinisMussolini, Benito größter Erfolg war die Aussöhnung Italiens mit der katholischen Kirche. An jener »Römischen Frage« hatten sich viele vorherige Regierungen vergeblich versucht – der DuceMussolini, Benito löste sie 1929. Seit 1871 vergiftete ein Zwist die Beziehungen zwischen dem Staat und dem Papsttum, doch die Entmachtung der Liberalen ebnete nun den Weg für einen Kompromiss. MussoliniMussolini, Benito selbst war zwar Atheist, aber er begriff die Notwendigkeit, die Katholiken ins faschistische Lager herüberzuziehen; Papst Pius XI. Pius XI.wiederum war nicht gerade entzückt vom Faschismus, aber Sozialisten und Kommunisten fürchtete er eben noch mehr. Freundliche Gesten seitens des Regimes wie die Rettung der Vatikanbank erleichterten ihm die Annäherung. Drei Jahre lang wurde verhandelt, dann standen die beiden sogenannten Lateranverträge. Der erste erkannte den Vatikan als souveränen Staat an und verfügte, dass dieser 1,75 Milliarden Lire als Entschädigung für den Verlust seiner weltlichen Besitztümer erhielt. Der zweite Vertrag erklärte den Katholizismus zur »einzigen Staatsreligion« Italiens. Die kirchliche Eheschließung besaß künftig – damit räumte man einen weiteren zentralen Streitpunkt aus – auch zivilrechtliche Geltung, der Religionsunterricht an staatlichen Schulen wurde obligatorisch, und die gesellschaftliche Aktivität katholischer Laienorganisationen wie der Azione Cattolica (der ›Katholischen Aktion‹) war nunmehr erlaubt.5 Dieses Konkordat hatte entscheidende Bedeutung für die Stabilität von Mussolinis Herrschaft, indem es den Eindruck festigte, er regiere mit dem Segen der Kirche.

      Die ideologische Indoktrination konzentrierte sich hauptsächlich auf die jungen Menschen; schließlich glaubte MussoliniMussolini, Benito fest, dass die Jugend den Schlüssel zur Zukunft in Händen halte, wie es in der Parteihymne »Giovinezza« feierlich hieß. 1926 gründeten die Faschisten ihre offizielle Jugendorganisation Opera Nazionale Balilla, kurz ONB. Aufgebaut nach dem Muster der Pfadfinder, kombinierte die ONB beliebte Freizeitaktivitäten mit Militarisierung und Propaganda. Jede Altersgruppe hatte eine eigene Stufe: Die Jungen begannen mit 6 Jahren als balilla, und wenn sie mit 21 junge Männer wurden, waren sie avanguardisti. Parallel wurden ähnliche Gruppen für Mädchen geschaffen. An der Universität konnten die Jungfaschisten dann in der Gioventù Universitaria Fascista (GUF) weitermachen, in der eine ähnliche Verschmelzung von ideologischer Indoktrination und sozialen Aktivitäten stattfand. Die staatlichen Schulen legten ebenfalls großen Wert auf politische Erziehung, denn jeder Schüler sollte nach seinem Abschluss ein stolzer, faschistisch gesinnter Italiener sein. Als man die Universitätsprofessoren zwang, einen Treueeid auf »das Vaterland und das faschistische Regime« zu leisten, verweigerten diesen nur zwölf von rund 1200, und jene zwölf wurden anschließend entlassen.6 All diese strammen Bemühungen hatten immerhin den Erfolg, dass die Jugend weitgehend faschistisch orientiert wirkte, jedenfalls nach außen hin; die Vagheit der Ideologie selbst indes verhinderte eine tiefergehende Beeinflussung.

      Für die Erwachsenen schufen die Faschisten neue Formen der Populärkultur und der Massenfreizeit; sie offerierten müden Arbeitern billige Erholungsmöglichkeiten, um so deren Loyalität zu gewinnen. MussoliniMussolini, Benito erkannte schon früh das propagandistische Potenzial des Rundfunks, der 1924 zwar einen recht bescheidenen Anfang genommen, sich dann aber schnell weiterentwickelt hatte: 1938 befanden sich eine Million Geräte im Einsatz, und es wurde eifrig gelauscht, ob daheim oder in der Trattoria. Ähnlich förderten die Faschisten den Sport; Großereignisse wie das Autorennen Mille Miglia, der Fahrradwettbewerb Giro d’Italia und die Fußballweltmeisterschaft, die Italien 1934 und 1938 gewann, wurden aufwendig in Szene gesetzt. Die wichtigste Institution war das Opera Nazionale Dopolavoro, ein Netzwerk von Freizeiteinrichtungen (dopo lavoro bedeutet ›nach der Arbeit‹), dessen Mitgliederschar 1939 auf vier Millionen wuchs. Das Angebot umfasste Bars, Büchereien, Sportplätze, Tanzlokale, vor allem aber billige Urlaubsreisen; manches konnte man dank öffentlicher Finanzierung sogar gratis nutzen. Diese Organisation, unterstützt von Staat und Geschäftswelt, war sehr populär, bot sie doch preiswerte Erholung, wie sie sich viele Durchschnittsitaliener sonst nicht leisten konnten. Zwar war jede dieser Offerten von einer politischen Botschaft begleitet, doch das ließ sich ertragen, wenn man zu so günstigen Bedingungen an bestimmten Aktivitäten teilhaben wollte.7 Der Faschismus verdankte viel von seiner Popularität solchen »sanften Stabilisatoren« seines Regimes.

      Als Diktator wollte MussoliniMussolini, Benito aber nicht nur geliebt, sondern auch gefürchtet werden, denn er glaubte, dass die Affekte der Massen, wie die der Frauen, grundsätzlich wankelmütig seien. Mochte seine Popularität bis 1936 steigen – die Macht des Faschismus beruhte nichtsdestoweniger auch auf Zwang und Repression: eine dunkle Kehrseite, die ausländische Beobachter oft übersahen. Der Weg zu dieser Macht war schon mit den Opfern der von den squadristi ausgeübten Gewalt gepflastert, denn seinen Erfolg hatte der Faschismus nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass er seine Feinde misshandeln oder ermorden ließ. Die Bewegung besaß eine eigene Geheimpolizei, genannt »Organisation für Überwachung und Unterdrückung des Antifaschismus«, kurz OVRA. 1926 wurde sie neu organisiert und politisiert, damit sie Oppositionelle effektiver jagen und zur Strecke bringen konnte. Viele Führungsleute konkurrierender Parteien, so der Katholik Don SturzoSturzo, Luigi, der Liberale Gaetano SalveminiSalvemini, Gaetano und der Sozialist Pietro Nenni,Nenni, Pietro wurden ins Exil getrieben. Aber selbst dort waren sie nicht sicher – Carlo RosselliRosselli, Carlo etwa, ein besonders entschiedener Gegner des Faschismus, wurde in der Normandie ermordet. Andere, wie der Historiker Luigi AlbertiniAlbertini, Luigi, mussten jahrelang in faschistischen Gefängnissen schmachten. In einem solchen saß auch der kommunistische Intellektuelle Antonio GramsciGramsci, Antonio und schrieb seine bahnbrechenden politischen Notizen, bevor er 1937 starb.8 Die italienischen Faschisten haben zwar weniger Menschen umgebracht als die Nazis oder die sowjetischen Kommunisten, doch den Bestand ihrer Diktatur verdankten sie – zumindest auch – skrupelloser Unterdrückung.

      Prestige und Imperium

      Die Stärkung der Nation diente einem übergeordneten Ziel: Italiens Expansion durch den Hinzugewinn von Territorien. Die glorreichen Zeiten des römischen Imperiums sollten wieder aufleben. Die zentrale Lage des Landes bot mehrere Ansatzmöglichkeiten: an den unmittelbaren Grenzen, in der BalkanregionBalkan und auf dem afrikanischen Kontinent. Aber Italiens begrenzte Ressourcen machten eine sorgfältige Suche nach Verbündeten notwendig, und diesbezüglich erwiesen sich MussolinisMussolini, Benito Mangel an internationaler Erfahrung und sein impulsives Temperament als Störfaktoren bei der Steigerung des italienischen Prestiges. In seiner Außenpolitik erlebte man den DuceMussolini, Benito daher schwankend: Bald spielte er den Staatsmann und bezauberte seine ausländischen Gäste, bald gab er den polternden und drohenden Diktator, namentlich, wenn er Unterlegene vor sich zu haben glaubte. Der Faschismus war als Protestbewegung gegen für Italien nachteilige Friedensregelungen entstanden; getreu diesem alten Ziel arbeitete er nun, seit er an der Macht war, auf eine Revision der Versailler Verträge hin. Das verärgerte die Franzosen. Gleichzeitig versuchte MussoliniMussolini, Benito, Italien in den Rang einer führenden Regionalmacht zu erheben, weshalb er 1923 KorfuKorfu bombardieren ließ. Das verdross wiederum die Briten. Und dann erlag er auch noch dem süßen Lockruf des Imperialismus – jedoch die »Befriedung« LibyensLibyen erwies sich als kostspielig und zog sich bis 1932 hin.1

      Solange er freilich eine zentrale Rolle spielen durfte, zeigte MussoliniMussolini, Benito sich willens, Europa zu stabilisieren. 1933 schlug er zu diesem Zweck einen Viererpakt vor: Wenn Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland sich zu einem Direktorium zusammenschlössen, ließe sich der im Westen so gefürchteten Bedrohung durch die soeben an die Macht gekommenen Nazis Herr werden. Erfreut darüber, dass HitlerHitler, Adolf bei der ›Machtergreifung‹ in Deutschland seinem eigenen Beispiel gefolgt war, versuchte der DuceMussolini, Benito, die internationale Situation zu entschärfen, indem er nahelegte, die führenden kontinentalen Länder sollten doch außerhalb des Völkerbundes direkt miteinander verhandeln und so ihre


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