Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Konrad H. Jarausch

Aus der Asche. Eine neue Geschichte Europas im 20. Jahrhundert - Konrad H. Jarausch


Скачать книгу
ausübten, liberale Chefredakteure wie Luigi AlbertiniAlbertini, Luigi zu entlassen. Als ihm seine Verwicklung in den Matteotti-MordMatteotti, Giacomo nachgewiesen wurde, übernahm MussoliniMussolini, Benito in dramatischer Pose »die volle Verantwortung für alles, was geschehen ist« und behauptete, er allein könne Italien »Ruhe und Frieden« verschaffen. Anstatt ihn zu stürzen, markierte die Matteotti-Krise den Übergang zur offenen Diktatur.6

      Die diktatorische Herrschaft etablierte sich nach und nach, vorangetrieben einerseits von einem Faschismus, der Zwang ausübte, und andererseits von einer Öffentlichkeit, die ihn hinnahm. Die Machtergreifung wiederum war teils ein verfassungskonformer Akt – MussoliniMussolini, Benito wurde ja zum Premierminister ernannt –, teils ein Zugeständnis an den außerparlamentarischen Druck einer gewaltbereiten Massenbewegung. Die Kollaboration des Establishments trug Entscheidendes bei, denn die liberalen und nationalen Eliten kooperierten im guten Glauben, MussoliniMussolini, Benito lasse sich durch das Wundermittel des transformismo im Zaum halten. Eine unaufhörliche Propaganda mit Pressekampagnen und Massenversammlungen sorgte auf ihre Weise dafür, dass die Zustimmung zum nationalistischen coup d’état wuchs. Skeptische Politiker sahen bald keine Alternative mehr, wollten sie doch einer nationalen Erneuerung nicht im Wege stehen. Mit einer Mischung aus Anreizen und Repression spalteten die Faschisten die Front ihrer Gegner und blockierten sie; dies betraf die Vertreter der Arbeiterbewegung ebenso wie die demokratischen Intellektuellen, die sich von der Öffentlichkeit verlassen sahen. Mussolinis Regierung beruhte auf einem faulen Kompromiss zwischen bestimmten etablierten Institutionen – Monarchie, Kirche, Armee – und neu ins Leben gerufenen faschistischen Körperschaften wie der PFN, der Schwarzhemdenmiliz und der Geheimpolizei.7

      MussolinisMussolini, Benito erfolgreicher Griff nach der Macht elektrisierte die jugendlichen Anhänger der europäischen Rechten, denn sein Modell führte Tradition und Moderne in einer neuartigen Legierung zusammen. Geboren aus der Kameradschaft in den Schützengräben, versuchte Mussolinis aktionsorientierte Bewegung einerseits, konservative Werte wieder zur Geltung zu bringen, etwa Ordnung, Hierarchie, soziale Gemeinschaft und nationale Macht. Andererseits war der Faschismus zutiefst modern: er verehrte die Technik, bediente sich der elektronischen Medien und wandte sich an die Jugend. All dies verlieh ihm ein Image von Dynamik, das den Verteidigern der alten Ordnung fehlte. In ganz Europa, von Norwegen bis Frankreich, von Portugal bis Rumänien, fand die faschistische Ideologie bei den jungen Neokonservativen Anklang, denn sie suchten ja eine Alternative nicht nur zu den diskreditierten Autoritäten, sondern auch zu Marxismus und Liberalismus. Mit dem Faschismus schien sich ein Weg in eine bessere Zukunft zu öffnen.8 Obwohl die Bewegung viel von ihrem Charakter speziellen italienischen Zuständen schuldete, nämlich den dortigen Nachkriegswirren, stellten sich bald ausländische Bewunderer ein. Zu ihnen gehörte der rassistische Hetzer Adolf HitlerHitler, Adolf, der die erregende Neuartigkeit des Faschismus hinreichend durchschaute, um ein Jahr später einen Coup nach MussolinisMussolini, Benito Muster in MünchenMünchen zu wagen. Der Versuch ging als »Bürgerbräuputsch« oder »Marsch auf die Feldherrnhalle« in die Geschichte ein.

      Der faschistische Staat

      Obwohl sie viele traditionelle Elemente verwendete, unterschied sich die faschistische Diktatur von konventionellen autoritären Regimen dadurch, dass sie moderner war und stärker in sämtliche Lebensbereiche eingriff. MussoliniMussolini, Benito selbst behauptete mit der für ihn typischen Übertreibung: »Der Faschismus versteht den Staat als allumfassend; außerhalb seiner können menschliche oder geistige Werte nicht existieren, geschweige denn gelten. Insofern ist der Faschismus totalitär, und der faschistische Staat – eine Synthese und eine Einheit, die alle Werte umschließt – interpretiert, entwickelt und potenziert das ganze Leben des Volkes.« Mit dem Neologismus »totalitär« markiert MussoliniMussolini, Benito, dass der Faschismus mehr verlangt als den begrenzten Gehorsam, den Könige, Priester oder Generäle fordern. Sein Konzept geht weiter als bisherige Diktaturen, denn der Staat, den er plant, herrscht nicht nur politisch, sondern restrukturiert auch die Gesellschaft, bis in die Privatsphäre hinein.1 Der Faschismus will die Massen mobilisieren, um das Land fundamental zu transformieren sowie eine stolze und starke nationale Gemeinschaft zu schaffen, die in der Lage ist, Italien den ihm gebührenden Platz innerhalb der europäischen Nationen zu erkämpfen. So weit die Theorie. Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, musste Italien erst einmal gründlich faschisiert werden, und dafür setzte MussoliniMussolini, Benito ein ganzes Repertoire innovativer Maßnahmen ein.

      Da die Doktrin des Faschismus verschwommen blieb und er in der praktischen Politik seine Positionen geschmeidig variierte, versteht man ihn vielleicht am besten als politisches Theater, als Selbstinszenierung, bei der öfter einmal das Programm wechselte, aber die Regie besorgte immer MussoliniMussolini, Benito. Den Kern bildete der Kult um il duce del fascismo, den faschistischen Führer, dessen sorgfältig erschauspielertes Charisma eine ganze Nation ermuntern sollte, ihm zu folgen. Weil MussoliniMussolini, Benito klein von Gestalt war, reckte er das Kinn vor, blähte die Brust, stieß die Arme in die Hüften, machte große Schritte und nahm dramatische Posen ein. Bilder zeigten ihn beispielsweise auf einem Pferd oder am Steuer eines Flugzeugs, um seine exorbitante Stärke und seinen außergewöhnlichen Weitblick zu unterstreichen. Wenn die Kolonnen der Schwarzhemden vor ihm paradierten, streckte er die Faust in die Luft – so ging damals der Römische Gruß –, um seine Autorität über seine Gefolgsleute zu demonstrieren. Manchmal mimte er auch den großen Staatsmann und präsentierte sich im eleganten Smoking, umgeben von ihn anhimmelnden Frauen – so betonte er seinen machismo. Bei besonderen Anlässen erschien er auf einem Balkon des Palazzo Venezia und richtete erbauliche Worte an die Menschenmenge, die er mit ausladender Gestik unterstützte. Propagandisten sorgten dafür, dass möglichst alle Schulen ein Porträt des DuceMussolini, Benito besaßen, und versäumten keine Gelegenheit, seine Heldentaten auf Zelluloid zu bannen und in Wochenschauen zu verbreiten, damit das gemeine Volk nur ja lernte: »MussoliniMussolini, Benito hat immer recht«.2

      Der Faschismus führte auch neue syndikalistische und korporatistische Institutionen ein, um das Arbeitsleben zu disziplinieren und bei Entscheidungen darüber das Parlament zu umgehen. Die Syndikate erinnerten entfernt an Gewerkschaften; sie ersetzten die einschlägigen marxistischen Organisationen. Jene Verbände handelten Verträge mit den Unternehmern aus und vertraten die Interessen der Arbeiter, die sie gleichzeitig aber unter Kontrolle hatten. Als die wirtschaftliche Lage sich entspannte, gelang es den Syndikaten sogar, bescheidene Verbesserungen bei den Löhnen, bei den Freizeitbeschäftigungen und beim Kindergeld durchzusetzen. Das bekannte System der Korporationen war grundsätzlich nichts Neues, da der Faschismus es teils aus hierarchischen Partien der katholischen Soziallehre, teils aus der Geschichte übernommen hatte. Schon im Mittelalter hatte es ähnliche Organisationen gegeben, in denen Beschäftigende und Beschäftigte sich an einen Tisch setzten, verhandelten und ihre Interessen zum Ausgleich brachten; so ließen sich Klassenkonflikte vermeiden. Erste korporative Strukturen entstanden 1926; vier Jahre später expandierten sie zu einem Nationalrat der Korporationen, den man dann schließlich in 22 verschiedene Fachgruppen unterteilte. 1939 wurde das Parlament ersetzt durch die Camera dei Fasci e delle Corporazioni [›Kammer der Bünde und der Korporationen‹]; die Legislative war nun eine rein faschistische Beratungs- und Beschlusskörperschaft.3 Unter dem Vorwand, eine Alternative zum Kapitalismus wie zum Kommunismus zu bieten, diente diese korporative Struktur den Faschisten als Werkzeug, um das Land zu beherrschen und MussolinisMussolini, Benito Politik einen glatten Durchmarsch zu sichern.

      Die Bemühungen der Faschisten, Italien zu transformieren, gipfelten in wiederholten Kampagnen zur Modernisierung der Ökonomie und zur Revitalisierung der Gesellschaft. Zwar hatte der Freihandel für einen Anfangsboom gesorgt; doch der Kollaps der Lira zwang MussoliniMussolini, Benito 1925 zu einer drastischen Aufwertung, bei der immerhin die hohen Zölle hilfreich waren. Als Reaktion auf die exorbitanten Preise importierten Getreides entfesselte er die »Weizenschlacht«: Er ließ die einheimische Landwirtschaft so fördern, dass sie reichere Ernten erzielte, um in diesem Sektor Autarkie zu gewinnen. Ferner suchte das Regime die Flucht in die Städte einzudämmen; ein Werbefeldzug glorifizierte die Vorzüge des Landlebens. Zudem wollte MussoliniMussolini, Benito die sinkende Geburtenrate bekämpfen: Frauen, die viele Kinder gebaren, erhielten Auszeichnungen und spezielle Hilfen; Junggesellen hingegen mussten höhere Steuern zahlen! Ein gewaltiges öffentliches Arbeitsprogramm widmete


Скачать книгу