Im Zentrum der Spirale. Cecille Ravencraft

Im Zentrum der Spirale - Cecille Ravencraft


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braunen Locken und einem dümmlichen Grinsen im Gesicht, beide Kinder und saß glücklich vor sich hinsabbernd am gedeckten Tisch, einen gebratenen Unterschenkel auf dem Teller.

      Thomas war fasziniert und sah sich das Buch genauer an. Es war tatsächlich nicht von den Gebrüdern Grimm, sondern einer Autorin namens Cecille Ravencraft.

      ›Cecille Ravencraft? Wer zum Geier ist denn das?‹, fragte er sich. Und was war mit dem »Schweigen der Lämmer«? Buch und Video, beides in einem Karton. Pete hatte diesen Film jedenfalls nicht sehen dürfen, erinnerte er sich. Die Kassette oben im Zimmer war überspielt worden. Aber warum? Thomas musste zu seiner Enttäuschung zugeben, dass sein Aufenthalt im Keller sich als ziemlich nutzlos erwiesen hatte. Er hatte mehr Fragen als Antworten gefunden. Und all die Kleidung … sie konnte nicht allein Pete gehört haben. Die Jeans unterschieden sich in Stil und Größe. Ein Karton war voll mit Klamotten, die man in den Siebzigern getragen hatte.

      ›Fettie-Pete hätte sich nicht mal tot in so was erwischen lassen‹, dachte er und legte ein Paar Schlaghosen mit einem angewiderten Kopfschütteln zurück in den Karton.

      ›Das wird ja ein riesiger Flohmarkt.‹ Thomas zählte weit über zwanzig große Kartons. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und zuckte zusammen. Schnell verschloss er die Kartons und schob sie an ihre Plätze zurück. Er eilte gerade noch rechtzeitig zurück zu seinem Klappstuhl. Die Cops kamen gerade die Treppen herunter, und im Lärm der Schritte auf der Holztreppe konnte sich Thomas vorsichtig wieder setzen, ohne dass das Quietschen oben gehört wurde.

      Thomas entspannte sich mit einem langen Ausatmen. Oben begann höfliche Konversation. Mrs. M. weinte wegen dem lieben kleinen Mädchen, welches so süß gewesen sei. Mr. M. versuchte, mitfühlend zu klingen, als er erklärte, er könne sich vorstellen, wie schrecklich das für die Johansons sein musste.

      »Wir haben selbst Enkel, wissen Sie.« Und dann war die Show auch schon vorbei. Die Cops verabschiedeten sich, die M’s sagten artig: »Auf Wiedersehen« und die Tür wurde geschlossen.

       11

      Mr. M. kam wenige Minuten später zu ihm, um ihn abzuholen. Thomas’ Augen wurden zu Schlitzen, als das Tageslicht sie traf.

      »Nun gut, Tommy. Ich will dich in zehn Minuten im Schuppen sehen. Aber zuerst trägst du den Müll raus.«

      »Den Müll? Aber was ist mit den Bu… den Cops?«

      »Weg. Es war ein Unfall und die wissen das auch. Ich habe sie vor ein paar Minuten abfahren sehen. Mach dir keine Sorgen«, sagte er mit einem kalten Grinsen und sah mehr denn je wie ein Vampir aus. »Keine Sorgen mehr. Jetzt ist alles perfekt.«

      Tom produzierte ein scheues Lächeln, das sofort schwand, als Mr. M ins Wohnzimmer ging. Da war etwas in Mr. M’s Gesicht gewesen, das ihm überhaupt nicht gefiel. Etwas Bösartiges und Heimtückisches. Er sah in solchen Momenten Christopher Lee in den alten Hammer Filmen sehr ähnlich, wenn er sein Cape ausbreitete und die Fangzähne entblößte. Da fasste Thomas einen Entschluss. Er würde hier abhauen. Er wollte es zwar nicht, denn merkwürdig oder nicht, er mochte die beiden.

      ›Weiß nicht ob es verkehrt ist oder nicht, aber ich verziehe mich lieber‹, dachte er, während er zum Mülleimer ging. Er blinzelte irritiert als er den Deckel hob und das Vogelhäuschen darin liegen sah, das, was er mit Mr. M. zusammen gebaut hatte. Für eine Sekunde starrte Thomas es an, dann hob er die Schultern und stopfte den Müllbeutel in die Tonne. Offensichtlich hatte Mr. M. endlich die traurige Wahrheit akzeptiert: Dieses Vogelhäuschen war eine einzige Katastrophe.

      Thomas verschloss sorgfältig die Mülltonne und ging durch den Garten zurück zum Haus. Als er am Zaun vorbeikam, nahm er zwischen den Latten Bewegungen wahr. Geduckt schlich er sich näher heran und lugte vorsichtig hindurch. Mr. Johanson stand im wasserlosen Pool und zerschmetterte die Fliesen mit einem Hammer. Splitter flogen durch die Luft und streiften sein Gesicht, aber er bemerkte es nicht. Er drosch weiter mit dem Hammer auf sie ein. Er schluchzte.

      »Sie haben das Türchen von dem Zaun nicht zugemacht.« Mrs. M’s Stimme flüsterte in Toms Ohr. Er glaubte, sein Herz spränge ihm vor Schreck aus der Brust. Wieso zur Hölle mussten die sich immer so anschleichen?

      »Sie haben das Türchen aufgelassen, und das kleine Mädchen ist ins Wasser gefallen. Das hat die Polizei herausgefunden. Komm jetzt, Tommy. Lass dem armen Mann seine Privatsphäre.« Thomas folgte ihr, aber Mr. Johanson ging ihm nicht aus dem Kopf.

      Betroffen ging er zum Schuppen hinüber, wo Mr. M. ihn mit einem neuen Projekt erwartete. Zum Glück war es kein weiteres Vogelhäuschen, sondern ein kleines Schmuckkästchen. Thomas seufzte gequält auf. Der Alte hatte doch überhaupt keine Ahnung vom Schreinern, warum sammelte er nicht einfach Briefmarken? Dabei musste man auch mit niemandem reden oder gar lächeln.

      Er brauchte Thomas heute nicht mal. Geschickter, als Tom es je hätte vermuten können, fertigte der alte Mann das Kästchen ganz allein. Tom sollte ihm lediglich die Werkzeuge reichen und am Ende wieder einmal fegen. Thomas musste eingestehen, dass das Kästchen wirklich gut gelungen war und Mr. M. es erstaunlich schnell zusammengezimmert hatte.

      ›Ein Vogelhäuschen kriegt er nicht hin, braucht über eine Woche, das blöde Ding zusammenzukloppen, es sieht aus wie ein Haufen Scheiße, aber ein perfektes Schmuckkästchen kriegt er in vier Stunden hin?‹

      Perplex sah er dabei zu, wie Mr. M. ein Symbol in den Deckel schnitzte, das er schon einmal gesehen hatte. Es war eine Spirale. Thomas hatte keine Lust, ihn zu fragen, was das zu bedeuten hatte. Er würde Mrs. M. danach fragen. Und er würde Samstag in der Nacht hier verschwinden, entschied er. Samstags waren die Straßen nicht so leer. Er konnte vielleicht jemanden finden, der ihn mitnahm, bevor die M’s überhaupt merkten, dass er nicht mehr da war.

      Allerdings hielten die M’s ihn bis dahin ziemlich auf Trab. Tom war schon ein bisschen angepisst deswegen. Das Schmuckkästchen wurde liebevoll eingeölt, poliert und von Mr. M. feierlich in den Keller getragen. Er hielt es so ehrfurchtsvoll, als seien die Kronjuwelen von England drinnen. Dann befahl er Thomas, ihm bei der Beseitigung von etwas Schimmel im Bad zu helfen. Die Verandatür hing nur noch an einer Angel und musste repariert werden. Dann bauten sie noch ein Regal, das aussah wie der noch schiefere Turm von Pisa. Für die Videokassetten in seinem Zimmer, wie Mr. M. Thomas erklärte. Der fand kaum noch Zeit, überhaupt über seine Flucht nachzudenken.

      Es war schon Freitag, als Mr. M. mit einem geliehenen Anhänger ankam und Thomas und seiner Frau erklärte, dass ein großer Flohmarkt am Sonntag stattfinden sollte.

      »Ich weiß, dass du nicht mitkommen und uns beim Verkaufen helfen kannst«, murrte er in Richtung Thomas, »aber du wirst mir doch wohl helfen, die Kartons in den Anhänger zu verladen, oder?«

      »Klar«, mampfte Thomas und wandte sich wieder seinen Koteletts zu. Die Portionen waren wieder größer geworden, und er konnte sich einfach nicht dazu durchringen, das Essen verkommen zu lassen. Seit er bei den Ringers gelebt hatte, war es ihm einfach unmöglich »Nein« zu den köstlichen Mahlzeiten zu sagen, die Mrs. M. für ihn zubereitete. Jedes Mal, wenn er Fleisch, Käsekuchen oder die übersüßte Limonade hinunterschluckte, schienen Kellys vorwurfsvolle Augen zu verblassen.

      Sein voller Magen gab ihm ein Gefühl der Sicherheit, und Mrs. M’s Kühlschrank ließ ihn nie im Stich. Die Speckrollen, die ihm erst hier gewachsen und dann während seiner langen Krankheit beinahe vollständig wieder verschwunden waren, kamen zurück. Seine T-Shirts spannten über der Wampe, die sich immer weiter nach vorne schob. Mrs. M. war entzückt darüber, dass Thomas in wenigen Wochen über sieben Kilo zugelegt hatte.

      »Es wird genügen«, frohlockte sie, und sah dabei wie eine glückliche kleine Eule aus. Thomas fand eher, dass er langsam wie Pete auszusehen begann, aber es grauste ihm bei dem Gedanken, mit Mrs. M. darüber zu reden.

      ›Nächste Woche bin ich ja sowieso nicht mehr hier‹, dachte er und verschlang die Eiscreme, die Mrs. M. zum Nachtisch servierte. Sie lächelte zufrieden und bot ihm noch mehr Sahne an, und Thomas wagte nicht abzulehnen.

      Den ganzen


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