Drei Brüder. Jörg H. Trauboth
gewählt.«
»Klingt überzeugend«, kommentiert Willi.
»Wir sieben Eagles sind wie immer über Funk verbunden. Sollte ich ausfallen, übernimmt Thomas.«
Thomas weiß bereits um diese Funktion. Trotzdem hofft er, dass es nicht dazu kommt. Dieser Auftrag ist seinem Freund Marc wie auf den Leib geschnitten.
»Das Zusammenspiel werden wir jetzt durchsprechen und danach in zwei unterschiedlichen Lagen realitätsnah üben, solange, bis wir mit allen Eventualitäten vertraut sind.«
Marc zeigt die Fotos von den Geiseln und vom Objekt. Dann zeichnet er die Skizze des Zugriffs mit den Positionen für die Kampfhubschrauber und den Trupp.
»Wenn wir der Aufklärung glauben können, gibt es im Haus keine Feindberührung, also keine Tangos, sondern nur die zwei bewaffneten Milizen vor dem Haus. Sie werden alle acht Stunden abgelöst. Wir setzen auf Überraschung, rechnen aber mit Gegenwehr der beiden Wachen. Das heißt: Ausschalten, reinstürmen, rausholen!«
Die Männer nicken. Genau darum geht es.
»Thomas, du sicherst uns von hier, hinter diesem kleinen Wall, und hältst dich für Feuerschutz bereit. Bleib‘ am besten an dieser Position, das heißt außerhalb der Feuerlinie der Hubschrauber. Wenn im Haus unerwartet Tangos sind und wir festsitzen, übernimmst du auf meine Anweisung oder je nach Lage selbstständig. Okay, Tom?«
»Verstanden!«
»Die Hubschrauberbesatzungen bleiben mit laufendem Motor abflugbereit. Die beiden Geiseln werden in Eagle Alpha verbracht. Dort können wir sie auf dem Flug auch notversorgen, wenn nötig. Ich möchte nach spätestens vier Minuten und dreißig Sekunden mit allen sieben Eagles und den zwei Geiseln in der Luft sein. Irgendwelche Fragen?«
In den Köpfen der Männer läuft das Szenario ab: Abseilen in stockfinsterer Nacht, zwanzig Meter vor dem Gebäude, zwei aufgeschreckte Dschihadisten, die erledigt werden müssen, bevor sie losballern, zwei Geiseln, die jetzt in Panik sind, drei Eagles, die Feuerschutz brauchen, in unmittelbarer Nähe ein Dorf, von dem niemand Genaues weiß. Es muss also extrem schnell gehen!
»Okay, dann zu Plan B, soll heißen: Es kommt alles ganz anders.«
Marc spielt nun den Fall durch, dass es unerwarteten Feindkontakt gibt. Sie werden es gleich im Detail üben.
»Und nun etwas Neues. Ich werde so verkabelt sein, dass meine Videobilder direkt in das Krisenreaktionszentrum nach Berlin gehen.«
Tim hing bisher scheinbar abwesend im Sessel. Doch jetzt ist er blitzwach.
»Wer hat sich denn den Quatsch ausgedacht?«
»Die Bundeskanzlerin persönlich! Also nehmt eure Schminke aus dem Kosmetikkoffer mit und übt schon mal vor dem Spiegel«, und mit Blick zu Eagle Three, »Tim, du kannst entspannen, mit deinem Zauselbart glaubt die Chefin dir eh nicht, dass du zu uns gehörst. Einfach keine Chance als Germany‘s next KSK-Model.«
Die Truppe schmunzelt. Man weiß, jetzt bekommt Marc einen auf die Glocke.
»Mag sein, großer Meister«, kontert Tim etwas spitz und krault genüsslich seinen schwarzen Kinnbart, »wenn du allerdings diesmal wieder dein Ein-Euro-Deo-Spray vergisst, oder dein Deo mit deinem Gel verwechselst, sitzt du allein in Eagle Alpha!«
Die Truppe brüllt vor Lachen. Es wurde Zeit, dass der schöne Marc mal Einen abkriegt.
»Okay, Bruder, 1:1.«
Während Eagle One fortfährt, schaut Brigadegeneral Wolf auf Marc, Thomas und Tim, das Herz der Operation.
Wolf hatte nach langem Überlegen zugestimmt, dass der vierte Mann entfällt. Denn zur Not müssen neun Menschen plus Ausrüstung in einem der beiden leichten Hubschrauber mit einem maximalen Abfluggewicht von 3,5 Tonnen zurückfliegen. Und nach der deutschen Gesetzeslage auch die zwei festgenommenen Wachen. Doch darüber wollte er besser nicht weiter nachdenken.
Zusammen mit seinen Offizieren im Kommando und dem Truppenpsychologen, Oberstleutnant Gerrit Hinrich, hatte er sich in Calw die Drei aus dem 2. Zug der 3. Kommandokompanie noch einmal intensiv unter die Lupe genommen und die Ausbildung sowie alle Einsätze Revue passieren lassen.
»Meine Herren«, hatte er den Auswahlprozess eröffnet, »wir brauchen ein kleines Team für eine große Aufgabe! Was heißt das? Alle drei müssen sich intensiv kennen, schätzen und in den Grundfähigkeiten ersetzen können. Zwei müssen sich bedingungslos dem Leader anvertrauen. Wer könnte der Leader sein? Wir suchen einen Kämpfer mit hoher Einsatzerfahrung, einer, der führt und kämpfen kann, wie kein anderer.«
Er hätte gleich »Hauptmann Marc Anderson« sagen können. Die Entscheidung fiel sofort auf ihn. Mit seinen siebenundzwanzig Jahren und der strikten Ablehnung, truppendienstliche Karriere zu machen, hat er sich zu einer Art Vertrauensperson für viele entwickelt, die ein Problem haben, sei es mit dem Dienst, den Vorgesetzten oder den Frauen. Er zählt zu den wenigen Offizieren, die von den alten Hauptfeldwebel-Hasen als Truppführer hoch geschätzt werden.
»Marc«, sagte Hinrich, »ist der Inbegriff einer hochgezüchteten Rennmaschine. Zugegeben etwas eitel und sich seiner Fähigkeiten durchaus bewusst, aber nicht selbstgefällig. Sollte er einmal ausfallen, wird es mindestens fünf Jahre dauern, bis so ein Kaliber wieder verfügbar sein wird.«
»Okay, einverstanden. Wen brauchen wir als Zweiten? Ich nehme an einen Sprengstoffexperten und Scharfschützen. Ihr Vorschlag lautet: Hauptfeldwebel Thomas Heinrich. Warum gerade er?«, fragt er zum Psychologen schauend.
»Heinrich ist ein Allrounder, selbstbewusst und von Grund auf bescheiden. Er kommt aus einer frommen Freiburger Schlosserfamilie, war schon immer ein Fan von Waffen und Sprengstoff. Im Sportverein war er der beste Zehnkämpfer. Dann hörte er, dass die KSK-Leute immer die neuesten Waffen ausprobieren, bevor sie im Heer eingesetzt werden. Damit war sein Weg entschieden. Fachlich ist er spitze, und deswegen ist er auch bis zum Truppführer aufgestiegen. Eigentlich ein unauffälliger Typ, etwas introvertiert. Aber: was er anfasst, sitzt, als Mann im Team, aber auch als Führer.«
Die Offiziere nicken. Doch der General ist noch nicht zufrieden.
»Wenn er selbst Truppführer ist, wie verhält es sich mit seiner Fähigkeit, unter dem Eagle One Truppführer Anderson zu arbeiten?«
»Da ist tiefe Freundschaft und Respekt vor Marc. Mit ihm in den Einsatz zu gehen, ist für ihn, so abgedroschen das klingen mag, eine Frage der Ehre. Er kennt keinen Neid. Sein Verständnis von Freundschaft ist absolut ehrlich. Ich denke auch, in diesem kleinen Team ist er besonders wichtig. Es kann viel passieren, und Heinrich ist so etwas wie ein Fels in der Brandung. Wenn einer liegen bleibt, hebt er ihn auf und trägt ihn nach Hause. Er wird Marc gut ersetzen, wenn der ausfallen sollte.«
»Und seine Grenzen, wo sind die Grenzen dieses Felsens in der Brandung, wie Sie sagen?«
»Heinrich sucht Geborgenheit in einem System mit sehr festen hierarchischen und emotionalen Strukturen. Genau das bieten wir, mehr als jeder andere Truppenteil. Er ist sehr stark von Marc und Tim abhängig, kann beiden keinen Wunsch ausschlagen. Sein Bedürfnis nach Freundschaft ist ungewöhnlich tief. Er will nicht verlassen werden. Möglicherweise hat er homosexuelle Neigungen, weiß es aber nicht. Er ist wohl so etwas wie ein Kraftpaket mit Tiefen.«
Der Psychologe wusste nicht, wie Recht er mit seiner Analyse hatte. Thomas hatte an der Seite von Tim in Afghanistan eine Wohnung gesprengt, und anstelle von Terroristen einen durch den Sprengstoff schwer verletzten Hund vorgefunden. Der Hund kroch auf Thomas zu, leckte sein Sturmgewehr und starb dann winselnd in seinen Armen. Thomas war danach tagelang sehr ruhig. Zu ruhig. Tim erkannte, dass sich bei Thomas ein Problem entwickelte. Allmählich taute sein Freund etwas auf. Sie sprachen darüber, immer wieder. Es war eine Sache zwischen den beiden Männern.
Danach waren sie unzertrennlich, so unzertrennlich wie bei ihrem Rettungseinsatz der F-15-Piloten im Hindukusch.
Brigadegeneral Wolf hatte von der Sache mit dem Hund gehört. Er weiß, dass seine Elitesoldaten im besonderen Maße Trauma gefährdet sind. Dieses