Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
Tina.
"Nichts."
"Ach komm schon, irgendetwas ist los. Das sehe ich dir doch an."
Wir waren immerhin schon lange genug zusammen, um uns gegenseitig solche Dinge an den Nasenspitzen ablesen zu können. Tina war Anfang zwanzig und ziemlich hübsch, wie ich fand. Ihre schulterlangen Haare hatte sie immer irgendwie zusammengesteckt, das gab ihr etwas Praktisches, Patentes.
Und genau so war sie auch. Sie wusste immer, was zu tun war.
Ihre Augen waren grün-grau.
Ein Paar Augen, das mir etwas bedeutete.
"So geht das nicht weiter mit dir", meinte sie. "Du hängst den ganzen Tag nur 'rum."
Ich atmete erst einmal tief durch und sagte gar nichts.
Meine Gedanken waren noch immer meilenweit entfernt. Ich überlegte, was ich mit dem Angebot machen sollte, das der graue Mann mir gemacht hatte. Eine halbe Million... Mir ging das einfach nicht aus dem Kopf. Jeder Mensch hat seinen Preis, ich bin überzeugt davon. Und vielleicht war das meiner. Ich dachte an die Abfindung, die ich vom französischen Staat für meine Dienste in der Legion bekommen hatte. Fast verbraucht. Irgendwie hatte ich nie eine besonders glückliche Hand gehabt, was Geld anging. Wie lange es wohl dauern würde, eine halbe Million Franken durchzubringen? Aber das war schon eine Summe, die selbst mich eine Weile über Wasser halten würde. Vermutlich sogar mehr als das.
"Was hältst du von etwas ganz Bürgerlichem?", meinte Tina.
"Häh?", machte ich. Ich schaute sie an, sie schaute zurück.
Ihre grauen Augen musterten mich. "Wovon sprichst du?", fragte ich.
"Von Arbeit. Einem Job. Ich meine damit allerdings nicht diese zwielichtigen Angelegenheiten, die du Geschäfte nennst."
"Lassen wir das Thema", winkte ich ab.
"Lassen wir das Thema", machte sie mich nach. "Das sagst du jedes Mal." Sie verschränkte die Arme unter ihrer Brust.
"Nächsten Monat wird die Miete steigen."
Ich hob die Augenbrauen.
"Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt."
"Na, dann erzähle ich es dir eben jetzt." Sie seufzte. "Ich erzähle es dir deshalb, weil ich finde, dass du langsam auch etwas beitragen könntest. Wir wohnen hier schließlich zusammen. Und soviel verdiene ich auch nicht, dass ich damit Bäume ausreißen könnte."
"Na gut", sagte ich. "Wie viel brauchst du?"
"So war das nicht gemeint."
Es war schon ziemlich lange her, dass sie mich um Geld gefragt hatte. Sie hasste so etwas, das wusste ich. Also war es wirklich dringend.
"Okay", sagte ich. "Tausend?"
"Hör mal..."
"Zweitausend?"
Ich langte in die Jackettinnentasche, holte zwei Scheine aus dem Umschlag und legte sie auf den Tisch. "Es ist in Ordnung", meinte ich dazu. "Das Geld steht dir zu." Sie starrte auf die beiden Tausender, als hätte sie noch nie so einen Schein gesehen. Dann schaute sie mich auf dieselbe Weise an.
"Woher hast du das?", fragte sie.
"Ist doch gleichgültig, oder?"
"Ich will's aber wissen."
"Frage ich dich vielleicht, woher dein Geld kommt?"
"Das ist kein Geheimnis."
"Ich frage dich aber nicht. Also frag' du mich auch nicht!"
Das war vielleicht ein bisschen schroff. Schroffer, als ich beabsichtigt hatte. Aber was hätte ich tun sollen? Ihr sagen, dass es sich um die Anzahlung für einen Mordauftrag handelte? Dann wäre es mit ziemlicher Sicherheit aus zwischen uns gewesen. Dafür hätte sie kein Verständnis gehabt.
Sollte sie also ruhig denken, dass ich irgendeine kleine Gaunerei durchgezogen hatte. Das war besser als die Wahrheit.
Sie nahm schließlich das Geld und steckte es weg. Dann lächelte sie ein wenig verlegen, aber auf ihre ganz besondere, unnachahmliche Weise. Vermutlich war es dieses Lächeln, wofür ich sie liebte. Ich erwiderte es.
2
Drei Tage später traf ich den grauen Mann mit der dicken Brille wieder. Es war morgens, so gegen neun, als er vor der Tür stand. Tina war schon weg. Zum Glück. Sie arbeitete in einem Cafe mit Konditorei und hatte heute Frühschicht. Ich sah wohl ziemlich verschlafen aus, als ich dem Grauen öffnete. Er lächelte flüchtig.
"Ich hatte schon befürchtet, es wären die Zeugen Jehovas", meinte ich flapsig.
Er fand das offenbar nicht sehr witzig.
"Haben Sie sich die Sache überlegt?", fragte er, ohne auf meine Bemerkung einzugehen.
Ich nickte knapp.
"Ja."
"Und?"
"Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich noch nicht genug über die Sache weiß.
"Natürlich nicht." Er machte eine unbestimmte Geste. "Kann ich hereinkommen?"
"Sicher."
Wir gingen den schmalen Flur entlang ins Wohnzimmer. Er setzte sich in einen der viel zu klobigen Sessel.
"Sie werden einen Vorschuss bekommen", erklärte er, so als hätte ich schon zugesagt. Er schien ein guter Menschenkenner zu sein. Jedenfalls wusste er, dass ich angebissen hatte und an seiner Angel hing. Ich hatte seinen Köder gefressen und es hatte wahrscheinlich wenig Sinn, das weiter leugnen zu wollen. Ich beschloss, es zu akzeptieren. Als Tatsache.
"Wie viel?", fragte ich.
"Hunderttausend. Richten Sie sich ein Schweizer Bankkonto ein. Wir überweisen dann."
"Ich will zweihunderttausend."
Der Graue verzog ein wenig den dünnlippigen, blutleer wirkenden Mund.
"Zum Handeln besteht keinerlei Spielraum. Merken Sie sich das." Er hob die Hände. "Ich finde mein Angebot außerdem sehr großzügig."
"Also gut", sagte ich. Eigentlich sollte man bei großzügigen Angeboten ja immer besonders misstrauisch sein. Ich war es leider nicht. Aber wahrscheinlich hätte es auch nichts genutzt, wenn ich es gewesen wäre.
"Wer sagt Ihnen eigentlich, dass ich nicht die hunderttausend nehme und damit verschwinde - ohne dafür etwas zu leisten?"
"Das werden Sie