Killerrache: Krimi Koffer 9 Romane. Alfred Bekker
die wässrig-blauen und alles in allem ziemlich kritischen Augen.
Die Mitvierzigerin lehnte sich etwas zurück. Es dauerte fast zwei volle Sekunden, ehe sich in ihrem Gesicht etwas veränderte.
Aber als es dann doch noch geschah, wusste ich, dass ich schon halb gewonnen hatte.
Ich ließ sie ruhig einen zweiten und dritten Blick auf die Marke werfen. "Schauen Sie nur ausführlich hin", meinte ich. "Ich verstehe, dass Sie vorsichtig sind, aber die Marke ist echt!"
Insgeheim betete ich dafür, dass sie mich nicht auch noch nach meinem Dienstausweis mit Passbild fragte. So etwas hätte ich jetzt nämlich nicht aus dem Ärmel schütteln können. Die Skepsis war noch nicht aus ihrem Gesicht gewichen, da entschied ich, dass Angriff jetzt die beste Verteidigung war. "Ich habe ein paar Fragen an Sie. Es geht um einen Mann, den einer Ihrer Wagen vor gut einer Stunde befördert hat."
Sie schien die Pille zu schlucken, die ich ihr untergejubelt hatte.
"Welcher Wagen?", fragte sie.
"Ich habe das Kennzeichen aufgeschrieben."
Ich gab ihr einen Zettel.
"Und was wollen Sie über den Fahrgast wissen?"
"Wo er hingefahren ist."
Sie zögerte.
Mit einer Hand war sie schon an ihrem Funkgerät, vermutlich um den Fahrer zu rufen. Aber dann hielt sie inne.
"Wie sah der Mann aus?"
"Graue Haare und eine sehr dicke Brille. Mitte fünfzig, würde ich sagen."
"Und Sie sind wirklich von der Polizei?"
Vielleicht wäre meine Polizisten-Nummer überzeugender gewesen, wenn ich mich vorher rasiert hätte. Ich spielte den Genervten und machte erst einmal große Geste.
"Glauben Sie, ich habe ewig Zeit? Der Kerl ist längst über alle Berge, ehe Sie begriffen haben, was hier gespielt wird!"
"Ach, ja?"
"Also gut!", grunzte ich und zog meinen letzten Trumpf aus dem Ärmel. Meinen allerletzten. Ich nannte ihr ein Polizeirevier, bei dem sie anrufen sollte. "Fragen Sie nach Borowski", sagte ich ihr. "Das bin nämlich ich."
Sie dachte nach.
Es war ein simpler Trick. Borowski existierte wirklich. Er war Streifenpolizist und hatte vor ein paar Wochen einen Unfall aufgenommen, in den ich verwickelt gewesen war. Ich hatte mir einfach seinen Namen und sein Revier gemerkt. Und wenn der dicke Drachen jetzt tatsächlich auf Nummer Sicher gehen wollte und dort anrief, dann konnte ich mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie gesagt bekam, Borowski sei nicht zu sprechen, weil er unterwegs sei, was den Drachen wiederum denken lassen würde, dass meine Märchen-Story der Wahrheit entsprach. Aber sie nahm den Hörer nicht ab, sondern rief statt dessen ihren Fahrer. Und eine Minute später wusste ich, dass der graue Mann mit den Flaschengläsern vor dem Hotel Maritim ausgestiegen war.
"Besten Dank", zischte ich dem Drachen zu.
"Was hat er denn verbrochen, der Kerl, dem Sie hinterherjagen?"
"Unterliegt alles dem Datenschutz", gab ich ihr zurück. "Angenommen, Sie wären in einen Mordfall verwickelt, dann wollten Sie doch auch nicht, dass das überall herumerzählt wird, oder?"
"Mord?"
Es war das erste Mal, dass ich so etwas wie Erstaunen in dem aufgeschwemmten Gesicht der Mitvierzigerin sah.
3
Eine Minute später saß ich wieder hinter dem Steuer des Volvo und dachte: Volltreffer! Wenn der Graue sich vor dem Hotel Maritim hatte absetzen lassen, dann wohnte er vielleicht dort. Und das hieß, dass ich eine reelle Chance hatte, mehr über ihn zu erfahren. Ich fuhr also zum Maritim, parkte den Wagen irgendwo in der Umgebung und beobachtete dann eine Weile den Eingang. Leute kamen und gingen. Meistens Herren ohne Begleitung. Geschäftsreisende. Eine Gruppe von Japanern war auch dabei. Das Personal hatte seine liebe Not mit ihnen, weil unter den Japanern niemand zu sein schien, der etwas anderes, als seine Muttersprache so beherrschte, dass es für eine Verständigung ausreichte.
Aber von dem Grauen sah ich keine Spur.
Vielleicht war er auch schon längst wieder unterwegs. Auch war es möglich, dass er hier nur in ein anderes Taxi oder die U-Bahn umgestiegen war, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Ich wagte mich schließlich ins Foyer. An der Rezeption stand ein schwitzender Portier, ziemlich dick und mit dunklem Schnauzbart. Er durfte auf keinen Fall zu heftig Luft holen, wenn er vermeiden wollte, dass ihm die Knöpfe von der viel zu engen Jacke sprangen.
Ich sah mich um. Aus einem Zeitungsständer nahm ich mir ein Hoteljournal, das hier gratis verteilt wurde und einen in drei Sprachen auf die Sehenswürdigkeiten der Umgebung aufmerksam machte. Im Notfall konnte ich so tun, als würde ich darin lesen. Notfall, das war, wenn der graue Mann mir hier plötzlich über den Weg laufen sollte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie er reagieren würde, aber es war sicher besser, wenn er nichts davon erfuhr, dass ich ihm nachspionierte. Ich wandte mich an den Portier und zog noch einmal meine Polizistennummer ab. Es klappte hervorragend.
"Ich möchte Sie bitten, keinerlei Aufsehen zu erregen", raunte ich ihm zu und steckte die Marke schnell wieder weg.
Er nickte. "In Ordnung", meinte er. Er machte ganz auf seriös. Um so besser. Ich gab ihm eine Kurzbeschreibung des grauen Mannes. "Hat sich bei Ihnen jemand einquartiert, der so aussieht?"
"Ein Foto haben Sie nicht zufällig?", fragte er.
"Nein, tut mir leid. Aber so dicke Brillengläser sind wirklich selten."
Er hob bedauernd die Hände.
"Ich glaube nicht, dass ich Ihnen da weiterhelfen kann", meinte er.
"Der Mann hat sich vor diesem Hotel mit einem Taxi absetzen lassen."
"Wann?"
"Vor einer guten Stunde."
"Ich mache seit heute Morgen hier Dienst. Und in dieser Zeit hat sich hier niemand einquartiert, auf den Ihre Beschreibung zutrifft, Herr Kommissar."
Herr Kommissar! Meine Güte, dachte ich. Wie schnell, man doch befördert werden konnte, wenn man es richtig anstellte.
Ich machte eine strenge Miene.
"Sie würden doch sicher nicht unsere Ermittlungen behindern, oder?"
"Nein, sicher nicht."
"Das würde ich Ihnen auch nicht geraten haben. Strafvereitlung nennt man so etwas. Schon mal davon gehört?"
"Also,