Jugendsprache. Eva Neuland
oft virtuoser als manche Erwachsene. Dies zeigt der folgende Abschluss einer ChatChat-KommunikationChat-Kommunikation:1Neue Medien
Glykeia: Milo mal ganz dolle knuddelt […]
Milo23: hui freu, glyk mal n Schmatza geb[…]
Glykeia: cool
Glykeia: winkt zum Abschied. *fg*
Beispiel: „Chattertreffen“ (Originalorthographie) (Zit. nach Henn-Memmesheimer/HoferHenn-Memmersheimer, Beate/Hofer 2006, S. 198)
4.5 Jugendsprache als internationales Phänomen
Vielen sprachinteressierten und sprachbesorgten Laien ist unbekannt, dass die Bildung besonderer Sprechweisen Jugendlicher sich durchaus nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Jugendsprache ist auch ein internationales Phänomen. Ein vergleichender Blick über die Grenzen unserer Nationalsprache hinaus führt rasch zu der Erkenntnis, dass Jugendliche auch in den skandinavischen Ländern, im anglo-amerikanischen Sprachraum, in Frankreich, Spanien und Italien sowie in anderen, zum Teil noch weniger gut untersuchten Ländern einen besonderen, von der jeweiligen Standardsprache unterschiedlichen Sprachgebrauch ausgebildet haben.
Kontrastive Analysen1Zimmermann, Klaus haben ähnliche Strukturmerkmale von Jugendsprachen verschiedener Nationen herausgearbeitet, darunter: die Bildung von AbkürzungenAbkürzungen und neuartigen Zusammensetzungen, Prozesse von Bedeutungsveränderungen sowie EntlehnungenEntlehnungen. Dabei zeigt sich, dass der Einfluss des Englischen auch in anderen Nationalsprachen nachzuweisen ist (frz.: se shooter; span.: shootear; frz./engl./dt.: cool, trip). Auch die Vorliebe für bildliche Ausdrucksweisen, witzige Redensarten und SprachspieleSprachspiele (vor allem das französische VerlanVerlan) scheint sich als ein generelles Generationsspezifikum im Sprachgebrauch Jugendlicher zu erweisen. Ebenso wird deutlich, dass Jugendliche aus den verschiedenen Ländern in vergleichbaren Gegenstandsfeldern (z.B. Musik, Freizeit, Sozialkontakte) differenzierte Wortschatzregister ausgebildet haben.
Die vergleichende Perspektive auf jugendlichen Sprachgebrauch in anderen Ländern macht einerseits auf nationale Grenzen überschreitende allgemeine soziokulturelle Entwicklungen aufmerksam, die sich im Sprachgebrauch der Jugendlichen verschiedener Nationalitäten und Kulturen niederschlagen und zu deren globaler Verbreitung die MedienMedien entscheidend beitragen. NeulandNeuland, Eva 2007 (S. 12f.) stellt einige solcher Besonderheiten im Sprachgebrauch Jugendlicher verschiedener nationaler Herkunft vor, die vor allem aufgrund ihrer Gebrauchsfrequenzen als jugendtypisch gelten können:
Phonetik und Prosodiez.B. Apokopen, Synkopen, Kontraktionen (hass`e für hast du), InterjektionenInterjektionen (ey), Onomatopoetika als allgemeine Kennzeichen mündlichen Sprachgebrauchs
WortbildungWortbildungz.B. Derivation: Präfigierung: ab-, rum-, durchhängen; SuffigierungSuffigierung: dt. Schlaffi, Prolo, frz. prolo; KurzformenKurzformen: dt. Bib, Prof, frz. ado, sp. biblio, profe/profa, Komposition: dt. oberaffengeil
LexikLexikz.B. Neubildungen: Tussi, Proll; EntlehnungenEntlehnungen, nicht nur, aber vorwiegend aus dem Englischen: dt. (un)cool, trip, ausgeflippt, Null-, Durchchecker, frz. cool (coule), killer, killerie, span. flipar, flipadoWortfelder: Differenzierung typisierender Personenbezeichnungen und WertungsausdrückeWertungsausdrücke: cool, geil, krass, fett, Verwendung von Schimpfwörtern und Fäkalausdrücken
Semantik, v.a. BedeutungswandelBedeutungswandelz.B. Bedeutungserweiterung: dt. geil, krass, korrekt, frz. méchant, dt. Braut, Penner, Bedeutungsverengung: Schlampe
PhraseologiePhraseologie, MetaphorikMetaphorikz.B. tote Hose, total Banane sein, voll der Hammer
Stilistikz.B. Stilmittel der Intensivierung: dt. echt, HyperbolikHyperbolik, hyperbolisch: intern. mega, super, hyper, Zitierungen, AnspielungenAnspielung, SprachspieleSprachspiele
Stil- und SprachmischungenSprachmischungz.B. in BegrüßungsformelnBegrüßungsformeln: hadi ciao, hadi tschüss, hadi bye bye
PragmatikPragmatik (der Jugendsprache)PragmatikBegrüßungs- und VerabschiedungsformelnVerabschiedungsformeln, AnredeformenAnredeformen: dt. na, du Penner?, ey, AlterAlter!, frz. t`es prêt, champion? alors, trouduc, tu dors?
kommunikative HandlungsmusterHandlungsmusterFrotzeln, LästernLästern, Dissen.Dissen
Andererseits werden aber auch kulturspezifische Bedingungen historisch-gesellschaftlicher Entwicklungen sichtbar. So spiegelt sich der politische Wandel in den baltischen Staaten auch im sprachlichen Wandel am Beispiel von Entlehungsprozessen aus dem Russischen, aus dem Englischen und Deutschen wider.2Tidrike, Laura
4.6 Jugendsprache als Sprachkontaktphänomen
In der jüngsten Zeit wird eine neue Perspektive von der Jugendsprachforschung in den Blick genommen, und zwar die des „gemischten Sprechens“ vor allem von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. „SprachmischungenSprachmischung“ sind, wie eben erwähnt, ein historisches Phänomen, das schon in der deutschen StudentenspracheStudentensprache des 17. bis 19. Jahrhunderts nachgewiesen werden kann.1 Die GebersprachenGebersprache haben sich allerdings heute verändert: es sind nicht mehr die klassischen BildungssprachenBildungssprache Latein, Griechisch und späterhin Französisch. Vielmehr bilden heute die nichtdeutschen Muttersprachen Türkisch, Russisch und Polnisch eine wichtige Quelle des Sprachkontakts für Jugendliche in Deutschland, vor allem in multikulturellen Schulklassen.2Mehrsprachigkeit Das gemischte Sprechengemischtes Sprechen, das aus einer Außensicht oft als „doppelte Halbsprachigkeitdoppelte Halbsprachigkeit“ angesehen wird, bringt dabei eine besondere, oft bikulturell geprägte IdentitätIdentität dieser Jugendlichen zum Ausdruck3 (Hinnenkamp 2000, 2003; KeimKeim, Inken/Cindark, Ibrahim/Cindark 2003; OBST 65/2003).
O: Indim, Selda’yı arıyom bakıyom.
Bin ausgestiegen, bin los nach Selda schauen
Bi baktım Matthias’ı diyor hey kannsch du mi mitnehmen?
Auf einmal seh ich Matthias, sagt er
Is isn Freund von mir, mit dem ich früher inner Sch eh Klasse war.
He, kannschte mi mitnehmen diyo, eh i hab niemand diyo sonst muss
sagt er sagt er
ich mit mitm Dings (.) mitm Bus oder mit der U-Bahn
A: Bus fahren
O: Augsburg’a gelmem lazım diyo (.) I˙yi dedim, gel (.) baktım
muss ich nach Augsburg fahren, sagt er. Gut hab ich gesagt, komm (.) hab ich geschaut
Selda da geldi, Selda’yı da aldım (.) Und dann hab I gsehn
und Selda ist auch gekommen, Selda hab ich auch mitgenommen
Veli kommt auch (.)
Beispiel: „Matthias taucht auf“
Deutsche ÜbersetzungÜbersetzung hier in normaler Type (Zit. n. HinnenkampHinnenkamp, Volker 2003, S. 400)
Besonderes öffentliches Aufsehen haben die Arbeiten zum „KiezdeutschKiezdeutsch“ von WieseWiese, Heike und ihrem Team (2012 u.a.) gefunden. Sie vertreten die These, dass es sich dabei um einen neuen multiethnischen DialektDialekt des Deutschen handele, der im Zusammenhang mit KontaktsprachenKontaktsprachen und Jugendsprachen entstanden ist und der keine Fehlentwicklung, sondern eine Bereicherung des Deutschen darstelle.
KiezdeutschKiezdeutsch als