Jugendsprache. Eva Neuland
und wann sie aufhöre.
Jugendsprache wird in der Entwicklungsperspektive vielmehr sprachbiographisch als Teil sozialer Lebensgeschichte angesehen, wobei die Bedeutung eines besonderen Sprachgebrauchs für die SozialisationsphaseSozialisationsphase der Jugend und die mit ihr verbundene Bildung sozialer IdentitätIdentitätsoziale, insbesondere der Gruppen- und Geschlechtsrollenidentität interessiert. Die Bedeutsamkeit dieses sprachlichen Rollenhandelns spiegelt sich z.B. in den typologisierenden Bezeichnungen für Vertreter des jeweils anderen Geschlechts (wie z.B. Tussi, Macker) sowie anderer Jugendlicher (wie z.B. Aso, Proll, Spasti). Jugendliche selbst scheinen ein besonderes Gespür für den zeit- sowie lebensgeschichtlichen Wandel von Ausdrucksweisen zu haben, wenn sie sich sprachlich mit einem entsprechenden Hinweis abgrenzen: Der Ausdruck irres feeling z.B. sei peinlich teeniehaft2Neuland, Eva und nicht mehr zu gebrauchen.
Die Beschäftigung mit der Jugendsprache als einer SozialisationsphaseSozialisationsphase kann insbesondere über die funktionalen Effekte der Jugendsprache, d.h. über die Gründe für deren Bildung und Verwendung im sozialen Lebenslauf Aufschluss geben. Unter sprachbiographischer Perspektive erweist sich damit auch, dass Jugendsprache eine Passage in der individuellen SprachbiographieSprachbiographie darstellt, die mit dem Übertritt in weitere Sozialisationsphasen und -rollen (z.B.: Berufstätigkeit, Familiengründung) verblassen und abnehmen wird. Inzwischen wurden erste vergleichende Beobachtungen zu verschiedenen Lebensaltern (Häcki BuhoferHäcki Buhofer, Annelies (Hrsg.) 2003 und Sprechaltern (OBST 62/2001) vorgelegt.
Die beiden bislang angeführten Aspekte von Zeit- und Lebensgeschichte lassen sich unter dem Generationsbegriff miteinander verbinden, indem z.B. Ausdrucksformen Jugendlicher in verschiedenen historischen GenerationenGeneration miteinander verglichen werden. Dabei lassen sich auch Prozesse kulturellen WandelsWandelkultureller erfassen.3Neuland, Eva Androutsopulos demonstriert solche Veränderungen am Beispiel von WertungsausdrückenWertungsausdrücke Jugendlicher in verschiedenen Lebensphasen (Von fett zu fabelhaft 2001). Ein solcher Wandel hat auch zeitgeschichtliche Parallelen: Was in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fabelhaft war, entspricht zur Wende des 21. Jahrhunderts dem Wertungsausdruck fett.
4.3 Jugendsprache als Gruppenphänomen
Jugendsprache wird in der aktuellen Sprachforschung insbesondere als eine GruppenspracheGruppensprache, genauer gesagt: als Mittel gruppenspezifischer Kommunikation aufgefasst und ethnographisch und gesprächsanalytisch untersucht. Hier geht es um die Erfassung bestimmter SprechstileSprechstile1Schlobinski, Peter/Kohl, Gaby/Ludewigt, Irmgard, wie sie in bestimmten Situationen, oft auch an bevorzugten Orten von gewissen Jugendlichen gebraucht werden. Eine dieser Situationen ist beispielsweise das Zusammenstehen in der GruppeGruppe und die Beobachtung und Kommentierung anderer Leute (z.B. Besucher, Passanten)2Schwitalla, Johannes sowie das LästernLästern über andere Jugendliche (SchubertSchubert, Daniel 2008).
Solche SprechstileSprechstile sind keine Erfindung einzelner Personen; vielmehr bilden sie sich als gemeinsames Produkt einer kollektiven „Stil-BasteleiStil-Bastelei“ im Prozess der GruppenkommunikationGruppenkommunikation heraus. Die geteilte Erfahrungswelt und übereinstimmende Normen und Wertsetzungen der Gruppe bilden einen gemeinsamen Bedeutungskontext als Voraussetzung für das Funktionieren einer gruppenspezifischen Verständigungsweise, wie sie in der interaktionistischen Jugendsprachforschung erfasst wird (vgl. Kap. II.3.8). Nur so können im Gespräch Stichwörter aufgegriffen und AnspielungenAnspielung verstanden, SprachspieleSprachspiele mit neuen Runden fortgeführt und bisherige Gesprächsbeiträge von folgenden kompetitiv nach dem Topping-Prinzip übertroffen werden. In einem von DeppermannDeppermann, Arnulf/Schmidt, Axel/Schmidt (2001) aufgezeichneten Beispiel unterhalten sich die Jugendlichen J und D darüber, wie viele „shots“ M von der Zigarette, die sie beide rauchen, gerade abbekommen soll:
J: Markus krIEgt am End auch noch ana,
D: Ah, Markus [krIEgt]
J: [N ganz kleiner]
D: KrIEgt EInen kleinen mini-shot. J: Der KRiegt den KarTON.
D: MArkus kriegt so einen normalen zug reingeshottet.
Beispiel: „Shots“
(Zit. n. DeppermannDeppermann, Arnulf/Schmidt, Axel/Schmidt 2001, S. 35)
Ein Verständnis von Jugendsprache als GruppenspracheGruppensprache öffnet den Blick sowohl für die Vielfalt jugendlicher Sprechweisen als auch für die Fähigkeit der Jugendlichen, in verschiedenen Situationen (z.B. informell-formell, vertraut-unvertraut) flexibel zwischen verschiedenen Sprechweisen zu wechseln. In dieser Hinsicht zeigen sich auch deutlich die Grenzen des FremdverstehensFremdverstehen, vor allem von Erwachsenen. Als „Angehörige fremder Welten“ bleibt ihnen der Zugang zu solchen gruppenspezifischen Kommunikationsprozessen oft versperrt.
Eine neue Perspektive ergibt sich im Bereich der digitalen Kommunikation mit virtuellen GruppenGruppevirtuelle in sozialen MedienMediensoziale, die nicht durch Kopräsenz der Mitglieder, aber doch durch auf gemeinsame Interessenschwerpunkte gerichtete Interaktionen und gemeinsam geteilte thematische Wissensbestände gekennzeichnet sind. Dies zeigt AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis (2003) am Beispiel von Online-GemeinschaftenOnline-Gemeinschaft als selbstdefinierte NetzwerkeNetzwerke im virtuellen Raum. Sie zeichnen sich durch bestimmte thematische und stilistisch Präferenzen aus, wie das folgende Beispiel eines Eintrags in das Gästebuch eines HipHop-Portals mit typischen Mündlichkeitseinflüssen und subkulturtypischen Fachwortanteilen veranschaulicht:
hey ho leudde!
na wie gehts euch so suche ma n paar leudde die bock ham mit mir n paar freestyleparts zu kicken. also wenn ihr bcok habt mal gegen n mädel zu battln und zu
verliern schreibt ma.
also bsi dann
Beispiel: Eintrag auf dem Gästebuch eines HipHop-Portals
(Zit. n. AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis 2003, S. 173.
4.4 Jugendsprache als Medienphänomen
Bereits einleitend wurde darauf hingewiesen, dass populärwissenschaftliche Lexika und Szenewörterbücher entscheidend zu dem Vorurteil beitragen, dass Jugendsprache aus einer Ansammlung besonderer Wörter und Wendungen bestehe. Die Jugendsprachforschung setzt sich kritisch mit diesem von den Medien konstruierten Bild von Jugendsprache in der Öffentlichkeit auseinander und analysiert das komplexe Wechselverhältnis von Jugendsprache und Medien. Medienkonsum und Medienwissen bilden ihrerseits eine wesentliche RessourceRessource für jugendlichen Sprachgebrauch. Jugendliche nehmen in spielerischer, oft kritisch-ironisierender Weise auf ihre Medienerfahrungen Bezug. AnspielungenAnspielung und Zitate z.B. aus Songtexten, Kultfilmen, Jugendmagazinen, aber auch aus Werbe- und Familiensendungen im Fernsehen werden kreativ in den eigenen Sprachgebrauch eingearbeitet.
So wird in einem von Schlobinski u.a. (1993, S. 59f.) präsentierten Beispiel nach WachauWachau, Susanne eine assoziative Verkettung im Gespräch von Jugendlichen (und simone hat schon wieder ’n neuen freund?) analysiert, die von der Figur eines Griechen aus der Fernsehserie „Lindenstraße“ ausgehend Assoziationen zum Schlager „Griechischer Wein“ folgt, einen Phraseologismus aus der Drogenszene verwendet und schließlich zu einem Schlüsselwort aus dem Film „Das Leben des Bryan“ kommt.
I: | Und Simone hat schon wieder ’n neuen Freund? |
M: | Einen Griechen. |
A: |
Ey!
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