Kreatives Schreiben. Oliver Ruf

Kreatives Schreiben - Oliver Ruf


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historischen und literaturkritischen Studiums. Nachdem seine Romane Emilia (1885) und Rankell’s Remains (1887) beim Publikum durchgefallen waren, konzentrierte er sich auf sein akademisches Engagement und konzipierte eine Fülle von disziplinären Neuerungen, die das literarische Schreiben als Bestandteil der KompositionslehreKompositionslehre zu einer Säule des US-amerikanischen Universitätssystem werden ließen. Zu seinen Schülern zählten u.a. George Rice Carpenter und Robert Herrick. Wendell starb am 8. Februar 1921 in Boston.

      Werke u.a.: The Duchess Emilia. A romance (1885) – Rankell’s Remains (1887) – English composition. Eight lectures given at the Lowell Institute (1891) – A literar history of America (1901) – The privileged classes (1908) – The mystery of education, and other academic performances (1909).

      Es ist also die Praxisfeindlichkeit der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft, die zur Ausformung, Institutionalisierung und Etablierung des Kreativen Schreibens führt; dessen Entstehung fungiert damit als Reflexionsinstanz der neueren Philologien, als Praxislehre, jedoch auch als Kritik: als Wissenschaftskritik. Die Vertreter curricularer SchreibvermittlungSchreibvermittlungCurriculare Schreibvermittlung versuchen, einen neuen Umgang mit Texten bereitzustellen, um deren ›Gemachtheit‹ zu unterstreichen. In der Nachfolge von WendellsWendell, Barret KompositionslehreKompositionslehre taucht der Begriff des Kreativen Schreibens zum ersten Mal Mitte der 1920er Jahre in den Schriften Hughes Mearns’Mearns, Hughes auf, der vor allem in zwei viel gelesenen [53]Büchern163 seine Schreib-Lehre an der New Yorker Lincoln School exemplifiziert. Mearns entwirft ein Programm für die systematisierende Schulung von Persönlichkeitsentwicklung, Selbstverwirklichung und eigenem künstlerischen Ausdrucksvermögen mittels Schreiben (und nicht für die Ausbildung von Berufs-Schriftstellern).164 Darin wird noch einmal deutlich, wie sehr sich die Anfänge des Kreativen Schreibens in den USA an die reformpädagogischen Überlegungen John DeweysDewey, John anlehnen,165Dewey, John dem Mearns auch sein BuchBuch Creative Youth widmet. Deweys Pädagogik liefert der Entwicklung des Kreativen Schreibens nicht nur den Ansatz; bis heute verläuft die Formfindung des institutionalisierten Kreativen [54]Schreibens in den Vereinigten Staaten in permanenter und auffälliger Auseinandersetzung mit dessen Konzepten.166Glindemann, Barbara

      John DeweyDewey, John

      war einer der wichtigsten US-amerikanischen Philosophen und Pädagogen des 19. und 20. Jahrhunderts. Geboren am 20. Oktober 1859 in Burlington (Vermont) graduierte er 1879 an der dortigen Universität und arbeitete zwei Jahre als High School-Lehrer, bevor er 1884 an der John Hopkins University promovierte. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten der Begründer der experimentellen Psychologie, Granville Stanley Hall, sowie der Begründer der modernen SemiotikSemiotik, Charles Sanders Peirce. Dewey unterrichtete Philosophie in Michigan und Minnesota und wurde 1894 Vorsitzender der Abteilung für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an der University of Chicago. Von 1904 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1930 war er Professor an der Columbia University in New York. Philosophisch vertrat er einen empiristischen Ansatz, der den gesellschaftlich gewordenen Menschen zum Gegenstand hat; pädagogisch wurde er durch seine Theorie der demokratischen Erziehung mit ihrem starken Handlungsbezug bekannt, bei dem das Lernen ganz und gar auf Erfahrung aufgebaut ist. Dewey starb am 1. Juni 1952 in New York.

      Der erzieherische Wert von Literatur liegt dabei darin, dass diese als adäquates Mittel erscheint, das eigene Leben zu bedenken und zu verstehen. Wenn dem so ist, kann Literatur nur in ihrem ›Innern‹ erkannt und eigenständig praktiziert werden. Derjenige, der Literatur studiert, muss, wie MearnsMearns, Hughes ausführt, eine ›literarische Persönlichkeit‹Literarische Persönlichkeiten sein, jemand, der Literatur ›macht‹.167Mearns, Hughes Grundlage ist die Überzeugung des Learning by doing im Sinne DeweysDewey, John,168Dewey, John dass Lernen nur mittels eigener Anwendung, Ausführung und Erfahrung funktionieren kann. Studierende des Kreativen Schreibens lernen nicht ausschließlich von Lehrenden, nicht durch genaues [55]Studium oder vielfältiges Lesen; sie lernen durch die kontinuierliche Erfahrung, sich zu jenen ›literarischen Persönlichkeiten‹ und ›Machern‹ von Literatur zu entwickeln, von denen Mearns spricht.169Myers, D.G. Kreatives Schreiben erscheint damit als Indikator, zu erkennen, wofür literarische Werke nützlich bzw. geeignet sind, und außerdem warum sie hierfür nützlich bzw. geeignet sind, d.h. als Mittel, ihre ästhetische Qualität – »the text’s greatness«170 – zu verstehen. Kreatives Schreiben ist ein Instrument literarischer Kanonisierung,171 wenngleich man (nach D.G. MyersMyers, D.G.) besser von ›Nützlichkeit‹ und ›Tauglichkeit‹ statt von Kanonizität sprechen sollte.172Myers, D.G.

      MearnsMearns, Hughes Absicht ist es daher nicht, Kreatives Schreiben isoliert vom Studium literarischer Texte zu vermitteln;173Mearns, Hughes er ist davon überzeugt, einen geradezu ›alten‹ Weg, Literatur zu lehren, wiederentdeckt und handhabbar gemacht zu haben, eine Methode, die er Creative ReadingCreative ReadingCreative ReadingCreative Reading nennt – »a new term for a very old art.«174 Kreatives Schreiben – und das gilt auch für dessen weitere Ausformung in jüngerer und jüngster Zeit – erfasst deswegen, wie R.V. Cassill sagen würde, reading as a writer.175

      Hughes MearnsMearns, Hughes

      (1875–1965) wurde 1920 als Leiter der Lincolm School an die Columbia University in New York berufen, die AbrahamAbraham, Ulf Flexner gegründet hatte und sich in erster Linie der Lehrerausbildung widmete. Hier konnte er bis 1925 durchsetzen, dass Creative Writing Bestandteil des Curriculums wurde. Nicht nur als Schreiblehrer, auch als einflussreicher Publizist konnte er – nach einer Reihe erfolgloser literarischer Werke – das Literaturstudium in Amerika maßgeblich reformieren. Seine Vorstellungen sind vornehmlich in zwei Büchern ausformuliert, die zu den meist gelesenen Lehrwerken des eingehenden 20. Jahrhunderts zählen: Creative Youth (1925) und Creative Power (1929). In erstgenanntem taucht zu ersten Mal der Begriff ›Creative Writing‹ auf. Seinen Universitätsabschluss erhielt Mearns an den Universitäten von Harvard und Pennsylvania. Ab 1905 lehrte er als Professor an der Philadelphia School of Pedagogy. Für seine Studentinnen und Studenten konzipierte er einen Studiengang, der nicht auf historische Analyse oder grammatikalische Besonderheiten abhebt, sondern auf Selbstverwirklichung, Persönlichkeitsentwicklung und Ausdrucksvermögen.

      Werke u.a.: Vinegar Saint (1919) – I Ride in My Coach (1923) – Lions in the Way (1927) – Creative Youth. How a School Environment Set Free the Creative Spirit (1928) – Creative Power. The Education of Youth in the Creative Arts (1958).

      Unter dem Einfluss von MearnsMearns, Hughes avanciert das Kreative Schreiben zu einem integrativen akademischen Ansatz, angesiedelt zwischen dem stark LektüreLektüre geleiteten Literaturstudium und der Praktizierung von Schreibübungen, die durchaus literarischen Charakter aufweisen, diesen jedoch keineswegs forcieren. Durch das selbständige Schreiben von Literatur, insbesondere in lyrischer FormForm, soll weniger SchreibkompetenzSchreibkompetenz vermittelt werden als ein VerständnisVerstehen, was »gute« Literatur ist dafür, was einen literarischen Text ›gut‹ macht; Ziel war nicht die Ausbildung von professionell Schreibenden, sondern von profunden Lesern.176Myers, D.G. Das enorme Interesse seitens der US-amerikanischen Studierenden gibt diesem Bestreben Recht: [56]Bis 1900 werden an zwölf Universitäten in den USA eigenständige Schreibstudiengänge für die Bereiche Dichtung, Short StoryStory und Drama gegründet; gleichzeitig erscheinen erste Lehrbücher – auch mit schriftstellerischem Erfolg: heute berühmte AutorenAutor wie Thomas WolfeWolfe, Thomas oder Eugene O’Neill zählen in Harvard ebenso zu den frühen Schreibstudenten wie F. Scott FitzgeraldFitzgerald, F. ScottThomas Wolfe und F. Scott Fitzgerald als frühe Schreibstudenten in Princeton.177 Bis 1931 haben schließlich bereits 41 Colleges und Universitäten in den Vereinigten Staaten ›Elemente‹ als formale wie inhaltliche Facetten des Kreativen Schreibens in ihre Curricula aufgenommen, wenn auch damals die entsprechenden Kurse noch zur Hälfte aus Kompostionslehre und zur Hälfte aus Selbstfindungsgründen bestehen[57]; MyersMyers, D.G. sagt dazu, dass die ›Form‹ dieser Kurse von WendellWendell, Barret, ihr Inhalt aber von Mearns geprägt sei.178Myers, D.G.

      2.1.2. Norman FoersterFoerster, Norman


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