Kreatives Schreiben. Oliver Ruf
erhält das Kreative Schreiben in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts an der staatlichen Universität von Iowa. Dort übernimmt 1930 Norman FoersterFoerster, Norman die Leitung der neu gegründeten School of LettersSchool of LettersSchool of LettersSchool of Letters,179 in der und für die er in den nachfolgenden 14 Jahren eine eigene Schreib-Schule aufbauen kann.180 Durch Foerster wird das Studium des Kreativen Schreibens neben demjenigen des Literary Criticism,181 d.h. der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft im US-amerikanischen Verständnis als dessen Senior-Partner, erstmalig eigenständig etabliert.182Foerster, Norman Für das Literaturstudium sollen beide komplementär sein; Literatur soll aus einer kreativen und einer kritischen Perspektive studierbar werden, d.h. diese vom ›Innern‹ her erschließen, sie mithin mit den Augen eines ›kreativen Künstlers‹ betrachten.183Foerster, Norman Kreatives Schreiben wird aufgefasst als der Versuch, aus den Bedingungen der literarischen Praxis zu einem tieferen, vor allem auch kritischen Verständnis literarischer Kunstwerke zu gelangen.184 Der Schreibende, so Foersters Überzeugung, benötige deshalb vor allem auch eines: Geist bzw. Seele, den Verstand des Kritikers.185Myers, D.G.
Kreatives Schreiben übernimmt auch hier eine bestimmte Art von Wissen durch bestimmte Verfahren der Praxis, aber es erweist sich nicht als Ausbildung für eine oberflächliche Weise der Lebensführung.186Foerster, Norman Kreatives Schreiben wird in Iowa als selbständiger ›Zweig‹ des Studiums von LiteraturEin »gründliches« Studium des Kreativen Schreibens entwickelt, um Angebote für alle Arten von ›Literatur-Studenten‹ bereit zu halten: für angehende [58]Kritiker wie für zukünftige SchriftstellerSchriftsteller, für zukünftige Wissenschaftler wie für angehende Lehrer.187Myers, D.G. Ein solches gründliches Studium des Kreativen Schreibens bedeutet für FoersterFoerster, Norman, eine ganze Reihe von Kompetenzen zu aktivieren: philologisches wie historisches Vermögen, künstlerische Einfühlungskraft wie ästhetisches Geschmacksurteil, kritisches Gespür wie Sicherheit im schriftlichen Ausdruck und ein ›Gefühl‹ für Sprache, Literatur und literarisches Leben.188 Kreatives Schreiben kann und soll curricular nicht von anderen künstlerischen Fächer losgelöst werden, zumal, wie Foerster feststellen muss, damalige Schriftsteller häufig zu undifferenziert, auch ungebildet und naiv mit der LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte umgegangen sind.189Foerster, Norman
Norman FoersterFoerster, Norman
wurde am 14. April 1887 in Pittsburgh (Pennsylvania) geboren und starb am 1. August 1972 in Palo Alto (Kalifornien). Mit akademischen Qualifikationen der Harvard University (1910), der University of Wisconsin (1912), der University of the South (1931), des Grinnell College (1946) und der University of North Carolina unterrichtete er Englisch u.a. in Wisconsin, North Carolina und vor allem Iowa. Dort war er lange Jahre Direktor der School of LettersSchool of Letters und reformierte in dieser Funktion grundlegend dessen Curriculum (vor allem im Hinblick auf die Integration des Kreativen Schreibens). Foerster gilt als einer der prominentesten Vertreter des so genannten New Humanism zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Werke u.a.: The Chief American Prose Writer (1916) – American Ideals (1917) – American Poetry and Prose (1925) – American Criticism (1928) – The American Scholar (1929).
Damit unterscheidet sich FoerstersFoerster, Norman KonzeptSchreib-FormenForm und kulturelle Werte des Kreativen Schreibens von demjenigen MearnsMearns, Hughes’. Foerster steht äußerst feindselig solchen Vorstellungen gegenüber, die mittels Schreib-Lehre die Persönlichkeitsentwicklung bzw. das Ausdrucksvermögen des [59]›Selbst‹ fördern wollen; Schreiben zu lernen bedeutet für ihn stattdessen, Schreib-Formen ebenso zu erlernen wie tradierte kulturelle Werte: Jeder Student soll zwar die Chance haben, kreativ tätig werden zu können; er soll sich (nach Foerster) aber insbesondere für eine Ideengeschichte der Kritik und der Literatur engagieren.190Myers, D.G. Lehrende des Kreativen Schreibens können somit nicht ausschließlich etablierte SchriftstellerSchriftsteller sein; Kreatives Schreiben muss, so die Stoßrichtung der School of LettersSchool of Letters, von Wissenschaftlern gelehrt werden, speziell von solchen aus den Geschichtswissenschaften und den Philologien.191Myers, D.G. Am Ende sollten alle genannten Professionen – Kritiker, Historiker, Literaturwissenschaftler und Lehrer – ebenso wie professionelle Schreiber eine solide Grundlage für ihre späteren Berufe erhalten; Lernen von und Lernen durch LiteraturLernen von und Lernen durch Literatur ist Foersters großes Gesamtanliegen, das mit denjenigen WendellsWendell, Barret (im Hinblick auf dessen Konzentration auf persönliche Schreib-Erfahrung) sowie jenen Mearns’ (mit Blick auf dessen Überlegungen zum ›kreativen‹ Ausdruck des Selbst) die Geschichte des Kreativen Schreibens angestoßen hat.192 Die Etablierung »ästhetische[r] Sensibilisierung, des »Umgangs mit IdeenIdee« und der »Förderung der kritischen Fakultäten« in diesem disziplinären ›Werden‹ ist das wichtigste Verdienst Norman Foersters.193Glindemann, BarbaraFoerster, Norman Beflügelt durch die School of Letters befassen sich die Lehr- und Studienpläne des Kreativen Schreibens nun immer stärker mit Faktoren des SchreibprozessesSchreibprozess, der Essayform, der Recherche, dem expressiven Schreiben und dem kritischen Denken.194 Es entsteht ein »akademischer Raum«, um die »verschiedenen Schreibdiskurse« interdisziplinärInterdisziplinäre Integration verschiedener »Schreibdiskurse« zu integrieren: »technisches, wirtschaftsbezogenes und wissenschaftliches Schreiben, FeatureFeature Writing, journalistisches Schreiben, Literatur- und KulturkritikKulturkritik, [60]AutobiographieAutobiographie, BiographieBiographie, expositorisches [–] und literarisches Schreiben«.195Glindemann, Barbara
2.1.3. Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP)/National Writing ProjectNational Writing Project (NWP)
Es zeigt sich, dass die Grenzen zwischen ›Composition‹, dem ursprünglich expositorischen Schreiben, und ›Creative Writing‹, dem literarischen Schreiben, in den Vereinigten Staaten im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts immer mehr aufgelöst werden – eine Tendenz, die verschärft wird, als beide Bereiche in der Ende der 1960er Jahre aufkommenden Bewegung des Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC) (WAC)Writing Across the CurriculumWriting Across the Curriculum (WAC) (WAC) noch näher zusammengebracht werden sollen. GlindemannGlindemann, Barbara führt aus:
Von nun an kommen dieselben Methoden über die Kursgrenzen hinaus zum Einsatz. Kreatives Schreiben wird zum Leitbegriff einer auf persönliche Erfahrung der Studierenden ausgerichteten Pädagogik, die die schriftliche Geläufigkeit zunächst einmal generell fördert. Die zugrundeliegende These lautet, daß ein gutes schriftliches Ausdrucksvermögen dem Menschen in jedem künftigen BerufsfeldBerufsfeld zugute kommt. Zunächst wird das Lernen individualisiert. Die Studenten werden zum persönlich experimentellen Umgang mit dem Lehrmaterial angehalten. Die neue pädagogische Tendenz wendet sich ab vom faktisch-unpersönlichen Reproduzieren der Lehrinhalte als Leistungskontrolle und stellt die individuelle Verarbeitung des Fachwissens in den Vordergrund. Schriftliche Geläufigkeit verbessert die soziale Kommunikationsfähigkeit in umfassender Hinsicht.196
Der soziale Aspekt des Kreativen SchreibensDer soziale Aspekt des Kreativen Schreibens sei, so GlindemannGlindemann, Barbara weiter, hier rein methodologisch zu verstehen und nicht mehr an bestimmte Inhalte – schon gar nicht an literarische – gebunden; es zeige sich erneut diskursbildender Einfluss der Schriften DeweysDewey, John:
DeweyDewey, John betont das kognitive Moment der SchreiblehreSchreiblehre, das besagt, daß akademische Inhalte besser verinnerlicht werden können, wenn sich der Lernende ihrer schriftlichen Ausformulierung widmet. Der Student erlebt seine Erkenntnisaneignung als Prozeß und lernt Inhalte besser begreifen durch die persönliche Erfahrung der Verschriftlichung. Deweys umfassendes pädagogisches System stellt eine Theorie bereit, aus der zwei unterschiedliche Schienen des Kreativen Schreibens hervorgehen. Die themenübergreifenden, auf kreativen Selbstausdruck ausgerichteten Kurse verstehen Schreiben als Lernmedium [61]der sozialen Kommunikation. […] Die gleichen personalisierten Lehrmethoden kommen in den stärker literarisch, rhetorisch und kritisch orientierten Programmen zum Einsatz. Allerdings verschiebt sich hier die Zielsetzung in Richtung themenabhängiger literarischer Kommunikation.197
Schreib-Zentren (Writing CentreWriting Centres) werden jetzt immer häufiger an Universitäten gegründet, nicht zuletzt auch zu dem Zweck,