Kreatives Schreiben. Oliver Ruf
ergänzen die Basiskurse in KompositionslehreKompositionslehre und Kreativem Schreiben; Organisationen und Konferenzen bauen ein Netzwerk auf, um die unterschiedlichen Interessen und neuen Erkenntnisse dieser Schreibförderungs-›Welle‹ auszutauschen und zu verbreiten – Gerd BräuerBräuer, Gerd hat dieses Gefüge näher beschrieben und festgestellt, wie neben der oben bereits erwähnten WAC-Bewegung auch universitäre WAC-Programme aufgekommen sind, die 1967 in der Dachorganisation Associated Writing ProgramsAssociated Writing Programs (AWP) (AWP, gegründet 1967) und 1974 im Lehrerfortbildungsinstitut National Writing ProjectNational Writing Project (NWP) (NWP) münden, die mit der jährlich stattfindenden Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC) (CCCC)Conference for College Composition and CommunicationConference for College Composition and Communication (CCCC) (CCCC) eine neue US-amerikanischer Schreibpädagogik auf den Weg gebracht haben.199Bräuer, Gerd
Daran wird der Fluchtpunkt der Geschichte des Kreativen Schreibens in den USA ersichtlich: Gestartet aus dem Bedürfnis, eine grundlegende Reform der LiteraturwissenschaftLiteraturwissenschaft zu erreichen, hat dieses eine wechselhafte Karriere in der dortigen Hochlandschaft hinter sich gebracht; das Schreiben für jedermann wurde ebenso sein Thema wie die literaturhistorisch fundierte Hervorbringung [62]von literarischen AutorenAutor; auf seiner Basis zudem ausgebildet haben sich letztendlich pädagogische Tendenzen, die ganz im Geiste DeweysDewey, John eine Lernforschung für die schulische und die universitäre Didaktik bedingen, zu der das Kreative Schreiben mitunter als Unterbereich hinzu gezählt wird – ein Unterbereich, der, so GlindemannGlindemann, Barbara mit BräuerBräuer, Gerd, ein breites Spektrum von Bildungsfunktionen therapeutischer NaturBildungsfunktionen (auch kunst- bzw. poesietherapeutischer Natur) umfasst:200Glindemann, BarbaraBräuer, GerdPoesie
Eine derartige didaktische Methodik minimiert den Unterschied zwischen kreativen und expositorischen Texten. Andere Bereiche, in denen die selben produktions- und erfahrungsorientierten personalisierten Methoden zum Einsatz kommen, sind z.B. Psychologie, Malen, Musik, Theater, PerformancePerformance und die übrigen bildenden und darstellenden Künste.201Glindemann, Barbara
Eine Konsequenz dieser Erfolgsgeschichte ist seit den 1960er und 1970er Jahren die Konstruktion solitärer Literaturseminare an Hochschuleinrichtungen in den USA, die ausschließlich literarische Schreibstudiengänge anbieten.202 An den Universitäten bildet sich dadurch auch eine neue literarische KulturLiterarische ZirkelLiterarische Zirkel und literarische Szene, indem SchriftstellerSchriftsteller und Publizisten Dozentenstellen und sogar Lehrstühle besetzen, die das künstlerische Moment des Kreativen Schreibens mit professionellen Ansprüchen und Forderungen in Hinsicht auf formale und adressatenorientierte Qualitäten präferieren.203 Literarische Zirkel und eine literarische Szene entfaltet sich und blüht [63]dort gleichsam bis heute, durch Lehraufträge und Lesungen wie durch so genannte poet in residence-Programme.204
Der professionelle Charakter dieser Studiengänge lässt sich mit der Gleichberechtigung von handwerklicher Schreib-Methodik, rhetorisch-stilistischen Techniken und literaturwissenschaftlicher Theorie auf den Punkt bringen. Wie GlindemannGlindemann, Barbara prognostiziert, muss dieses Gleichgewicht unbedingt gegeben sein, um literarischen Standards wie akademische Erwartungen in gleicher Weise zu entsprechen, mithin Literatur-Praktiker und Literatur-TheoretikerLiteratur-Praktiker und -Theoretiker versöhnen miteinander zu versöhnen; dies garantiere die Ausgewogenheit der Beschäftigung mit eigenen und fremden kreativen Texten im Studium,205Glindemann, Barbara was aber auch bedeutet, dass das Kreative Schreiben keine ›Spaß‹-Disziplin, sondern ein ernst zu nehmendes Studienfach mit ›harten‹ Studieninhalten geworden ist. Die, wie Greg KuzmaKuzma, Greg sie nennt, ›Katastrophe des Kreativen Schreibens‹206Kuzma, GregThe Catastroph of Creative Writing tritt dann ein, wenn es zu einem Ungleichgewicht zwischen den genannten ›Säulen‹ des Kreativen Schreib-Studiums kommt:
Die hastige Einrichtung von immer mehr Schreibprogrammen an allen möglichen Universitäten konfrontiert die Lehrenden mit administrativer Arbeitslast – sie verlieren Zeit für ihre eigene kreative Arbeit und den Kontakt zur außeruniversitären literarischen Welt. Die Studenten eines hastig eingerichteten Studiengangs driften in die Selbstreferentialität ab und sind vornehmlich an ihren eigenen Texten interessiert, ohne ein allgemeines Literaturverständnis zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, daß Lehrende und Studierende unter diesen ungünstigen Bedingungen sogenannte »workshop poetry« verfassen. Es handelt sich um selbstreferenzielle Texte, die den kreativen Akt thematisieren und die offenen Optionen, mit denen der Schreibende sich verzweifelt konfrontiert sieht. Solchen Texten fehlt jedoch die Essenz, die Literatur ausmacht, sie sind nicht an sich einzigartig, sondern formelhaft simpel und imitierbar. Die unmittelbare Reaktion des Lesers auf diese workshop poetry ist: »Das kann ich auch!«»Das kann ich auch!«.207Glindemann, Barbara
Jegliches Kreatives Schreiben bildet den Höhenkamm zwischen Kunst und Kitsch mit geradezu gefährlichem Risiko ab: Entweder [64]man erreicht als Könner die andere, die ›gute‹ Seite, – oder man stürzt unhaltbar ab.
2.2. Creative Writing in Großbritannien
›Creative Writing‹ erscheint im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts als Schlüsselbegriff der praxisorientierten literarischen Studienfächer – hauptsächlich im anglo-amerikanischen Raum: Ab 1970 übernehmen die Universitäten von East Anglia und Lancaster in Großbritannien zum ersten Mal den diesem mittlerweile immanenten Grundzug als eigene, studierbare Disziplin; bis 1992 entstehen vereinzelt sechs weitere Masterstudiengänge und im Zusammenhang mit der Umformung der britischen polytechnischen Hochschulen zu Universitäten (was einen neuen Anwendungsschub bedeutet) werden noch mehr SchreibstudiengängeNoch mehr Schreibstudiengänge gegründet.208 Ihnen liegt die Einsicht zugrunde, den Literaturdiskurs in diejenigen der Pädagogik, Psychologie, Linguistik, RhetorikRhetorik und KompositionslehreKompositionslehre im Sinne der New RhetoricNew Rhetoric nochmals zu integrieren:209
Diese Neue RhetorikRhetorik erst erlaubt die Betrachtung von Creative Writing zugleich als repräsentative Kunstform und als Methode, soziale Strukturen und Agenten zu untersuchen. Sie ermöglicht eine SchreiblehreSchreiblehre, die sich auf den Schreibprozeß in allen seinen Aspekten bezieht. Creative Writing ist umfassender als die herkömmliche Schreiblehre, die eine korrekte Anwendung von GrammatikGrammatik und OrthographieOrthographie betont und auf Thesensätzen, Absätzen und dem Dreigestirn »unity, coherence, and emphasis« basiert […]. Die traditionelle Schreiblehre geht davon aus, daß lediglich StilStil, Organisation und »usage« lehrbar seien, während bestimmte Aspekte des Kompositionsprozesses mysteriös und daher nicht lehrbar seien. Diese Ansicht ist in den britischen Schreibstudiengängen überholt. Hier hat man erkannt, daß ein Schreibstudium neben dem akademisch-rationalen Lernen auch das personal-individuelle Lernen gezielt fördern muß. Neben der Intelligenz als praktisches Lerninstrument gelten auch Instinkt und Zweifel als Stimulus und Lernhilfe. Die kritisch-kreative Doppelnatur macht das Fach eklektisch, [65]sowohl im Hinblick auf die Lehrinhalte als auch auf die Ansätze und Methoden.210Glindemann, Barbara
In der Konsequenz wird in Großbritannien eine KompostionstechnikKompositionstechnikKompositionstechnik als Teil des Kreativen Schreibens als immanenter Teil des Kreativen Schreibens gelehrt; FormForm und Inhalt sollen dabei eine strukturelle Einheit bilden, bei der sich Bedeutung und Effekt der entstehenden Texte erst im Kompositionsprozess anhand des sprachlichen Ausdrucks herausbilden, in jedem Schreib-Stadium verändern, revidiert und neu in Form gebracht werden kann: »Das Zusammenwirken von kritischen und kreativen Fakultäten führt zur Annäherung von intendierter Bedeutung und sprachlichem Ausdruck.«211 GlindemannGlindemann, Barbara verweist auf David LodgeLodge, David, der hierfür das Bild einer ›chemischen‹ oder gar ›alchemistischen‹ Reaktion zwischen Form und Inhalt verwendet, die die Qualität eines Romans ausmache.212Lodge, David In dieser Privilegierung des SchreibprozessesSchreibprozess, der keinem Selbstzweck dient, sondern an dessen Ende ein literarischer bzw. literarisch ambitionierter Text steht, macht sich bemerkbar, wie sehr das Kreative Schreiben in Großbritannien von Anfang an sehr vehement die Professionalisierung im Hinblick auf den literarischen Markt in den Fokus genommen hat, ohne der Organisation in den einzelnen Lehrveranstaltungen ein all zu starres Korsett vorzugeben, ihnen Unabhängigkeit hinsichtlich der Lehrinhalte wie der Methodenwahl