Kreatives Schreiben. Oliver Ruf
Beute und Schatten (1985) – Römische Sequenz (1993) – Das Element des Elephanten (1994) – Blauer Weg (1996) – Lo und Lu (2001) – Die geheimen Stunden der Nacht (2004) – Das Verlangen nach Liebe (2007) – Die Erfindung des Lebens (2009) – Die Moselreise (2010) – Das Kind, das nicht fragte (2012) – Die Berlinreise (2014).
Es ließe sich die Position Kaspar H. SpinnersSpinner, Kaspar H. hinzufügen, der gezeigt hat,
in welcher Weise die kreativen Verfahren auch literaturwissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln vermögen, so daß nicht von einem notwendigen Widerspruch zwischen der Freude am Spielerischen, der Entfaltung von Phantasie und der Kundgabe persönlicher Erlebnisse einerseits und der theoretischen Reflexion und der Analyse und InterpretationInterpretation von Texten andererseits ausgegangen werden muß.287Spinner, Kaspar H.
Damit steht das Creative Writing im Übrigen auch im Kontext des New HistoricismNew Historicism, indem es dazu anleitet, einen Text als »›Gewebe[84]‹ von ›Zitaten‹ aus dem Text der Kultur«288 aufzufassen: »Er verdichtet nicht Inneres, sondern etwas, das mit sozialer Energie präformiert und als Image konstruiert worden ist.«289 Auch dem Kreativen Schreiben kann dabei ein intimes Verhältnis zu KörperlichkeitKörperlichkeit und Identität zugesprochen werden. Denn dieses äußert sich ja explizit auf der Ebene der Ausführung in einer Bewegung oder GesteGeste, die einerseits ein haptisches Instrumentarium benötigt (zuallererst HändeHand oder FingerFinger, dann ein Instrumentarium, eine zu beschreibende Oberfläche etc.); andererseits können dessen Tätigkeiten sowohl als spezielle Manifestationen von Selbstpräsenz betrachtet werden als auch von Markierungen eines SelbstverlustesMarkierungen eines Selbstverlustes.290Stingelin, Martin Auch aus theoretischer Perspektive hilft der Akt des Kreatives Schreibens nicht nur bei der Orientierung oder der Gliederung von IdeenIdee; er manifestiert zudem geradezu die Erscheinungen und mithin Ergebnisse ästhetischer Literatur. Insbesondere die neuere Tendenz des Kreativen Schreibens lässt sich in diesem Zusammenhang dahingehend beschreiben, sich etablierten literarischen Gefügen zu entziehen und grenzüberschreitend übergriffig zu werden. Dieser Befund gewinnt angesichts der wiederum theoretischen Implikationen der so genannten Postmoderne291 vor der Folie von Autorschafts- und TextgewebetheorienAutorschafts- und Textgewebetheorien an Deutlichkeit;292Barthes, RolandAutorFoucault, Michel vor allem aber zeichnet sich hier eine neue Beschäftigung damit ab, was eine Theorie des Kreativen Schreibens überhaupt ist, was [85]es bedeutet, impliziert und welche Beziehungen es als literarische Praktik einzunehmen vermag.293Schreibprozess
3.1.1. PoetikPoetik und Kreatives Schreiben
Damit sind Fragen aufgeworfen, denen dadurch nachgespürt werden kann, indem die literaturpraktische und schreibreflexive ›Arbeit‹ mit Theorien explizit postmoderner Provenienz darstellend untersucht werden soll. Diese diskursive Konstellation ist ein Ausgangspunkt, der das Thema zum wiederholten Male im Kontext der PoetikPoetik sieht, zumal diese als ›DichtkunstDichtkunst‹ im Sinne einer ›Theorie der PoesiePoesie‹,294Meier, CordulaPoetik als »Reflexionen über Dichtung, über Voraussetzungen, Funktionen und Effekte dichterischer Texte, über poetische Gattungen, Darstellungsweisen und Kommunikationsformen«295 nach dem ›Wesen‹ der LiteraturDas ›Wesen‹ der Literatur und des Schreibens wie des Schreibens fragt. Die Forschung hat sich bislang intensiv mit ihrer Geschichte296Poetik auseinandergesetzt und einzelne ihrer Stationen intensiv betrachtet.297 Wird der Blick in einer solchen Perspektive auf die Literatur der Gegenwart gerichtet,298Gegenwartsliteratur werden zunehmend eine Reihe poetologischer Erscheinungsformen fokussiert, die eine »wichtige Rolle im LiteraturbetriebLiteraturbetrieb« spielen, namentlich »Poetikvorlesungen, Abhandlungen über das Schreiben, seine Bedingungen, Funktionen und Effekte, poetologisch-reflexive Schreibweisen sowie Strategien der Interaktion dichtungstheoretischer Begriffe und Konzepte in fiktionalen Werken«.299 Insbesondere der [86]erstgenannte Gegenstand dient oftmals dazu, den ›poetologischen Diskurs der Gegenwart‹Der ›poetologische Diskurs der Gegenwart‹ zu erklären.300
Im Fokus stehen hier die in Theorien wie Poetologien verhandelten und ins Bild gesetzten Phänomenologien des allgemeinen literarischen Schreibens, die auf ihren konkreten AnwendungscharakterAnwendungscharakter im Kreativen Schreiben hin abgeklopft werden können – insbesondere im Hinblick auf eine PoetikPoetik der Literatur der Gegenwart. Hier geht es darum, die Funktion des Kreativen Schreibens als eine literarische ›Arbeit‹ mit Theorie bzw. genauer: insbesondere mit Medien-Theorie zu betrachten. Werden diese theoretischen, postmodernen Überlegungen gegen poetologische Positionen in Stellung gebracht und subvertieren sie somit einen seit dem 18. Jahrhundert vorherrschenden AutorAutor- bzw. Künstlermythos, so stellt sich insgesamt auch die Frage, welche literarischen und theoretischen Automatismen dadurch ins Wanken geraten. Diese Stoßrichtung ist für eine tiefer gehende Explikation des Kreativen Schreibens, wie sie im vorliegenden BuchBuch versucht werden soll, in zweifacher Hinsicht interessant: Zum einen kann damit jenen ›SpurenSpur‹ nachgegangen werden, die in der Rezeption von (Medien-)TheorienRezeption von (Medien-)Theorien innerhalb poetologischer Ausführungen auffindbar sind, nicht ohne die begriffliche Problematik eines solchen Projekts bewusst zu machen.301Spur Zum anderen ist es auf diese Weise möglich, der Funktion von Theorie für das Kreative Schreiben sowie ihrer Weiterentwicklung in der GegenwartsliteraturGegenwartsliteratur exemplarisch nachzugehen.302
[87]3.1.2. ›SpurenSpur‹ zum Kreativen Schreiben
Der Begriff der ›SpurSpur‹303SpurGrimm, Jacob taucht in der Philosophie des 20. Jahrhunderts an prominenter Stelle in BenjaminsBenjamin, Walter Passagen-WerkPassagen-WerkBenjaminsBenjamin, Walter Passagen- WerkPassagen-Werk auf; er wird darin dem Begriff der ›Aura‹ gegenüber gestellt:304Spur »Spur und Aura. Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.«305Benjamin, WalterPassagen-Werk ›Spur‹ und ›Aura‹ opponieren bei Benjamin, sind aber wenigstens in gleichem Maße aufeinander verwiesen;306 sie bilden eine »dialektische Einheit«, sofern Benjamin »hinter den Spuren und Zeugnissen des Vergangenen das Lebendige des Augenblicks gegenwärtig zu machen sucht«.307SpurBenjamin, Walter Der ›Spur‹-Begriff bei Benjamin bezieht sich, wie er in seinem Passagen-Werk weiter erläutert, auf etwas, das – als »Witterung einer Schwelle« oder eines »Tastbewußtseins«308Benjamin, WalterPassagen-Werk – nahe ist und gleichzeitig auf etwas Fernes verweist, von dem es herrührt; es handelt sich um die »Spur eines Abwesenden«,309 die »entziffert«310 werden muss. ›Spuren‹ sind, so Benjamin, »Winke und Weisungen«, die ein »Ort«, »schon rege geworden, sprachlos, geistlos gibt«; sie zeigen nicht auf etwas ihnen »Vorgängiges«, sondern wecken »eine erstaunliche Resonanz«.311Benjamin, WalterPassagen-Werk
Ob ›SpurenSpur‹ solchermaßen zu einem Anderen ihrer selbst führen312 oder ob darin, um eine Überlegung DerridasDerrida, Jacques aus La differánceDerridas La differánce aufzugreifen, der Ausdruck einer sich jeweils entziehenden bzw. niemals vollständig einholbaren ›Präsenz‹ zu sehen ist, ist [88]zu unterscheiden; Derrida spricht von etwas sich Aufschiebendem, von etwas aus Differenzen Gewebtem, das Repräsentanten entsendet, wobei keine Möglichkeit besteht, »daß der Vertretene ›selbst‹ irgendwo ›existiert‹, gegenwärtig ist, und noch weniger, daß er bewußt wird«: »Diese radikale Andersheit im Verhältnis zu jeder möglichen Gegenwart äußert sich in irrediziblen Effekten des Nachher, der Nachträglichkeit«.313Derrida, Jacques ›Spuren‹ können für Derrida »selbst nie auftreten, erscheinen und sich als solche in ihrem Phänomen offenbaren«:314
Da die SpurSpur kein Anwesen ist, sondern das Simulacrum eines Anwesens, das sich auflöst, verschiebt, verweist, eigentlich nicht stattfindet, gehört das Erlöschen zu ihrer Struktur. Nicht nur jenes Erlöschen, dem sie stets muß unterliegen können, sonst wäre sie nicht Spur, sondern unzerstörbare und monumentale Substanz, vielmehr jenes Erlöschen, welches sie von Anfang an als Spur konstituiert, als Ortsveränderung einführt und in ihrem Erscheinen verschwinden, in ihrer Position aus sich hinausgehen läßt. […] Paradox an einer solchen Struktur ist […]: das Anwesende