Bachelorarbeit in Psychologie. Margarete Imhof
anderen Personen lernen und auch auf unseren stellvertretenden Erfahrungen, die wir über Medien wie z. B. TV und Bücher machen. Schauen wir uns die Sprichwörter noch einmal an, sieht man schnell, dass sich diese teilweise auch widersprechen: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ kontradiktiert z. B. das ebenfalls bekannte „Man lernt nie aus“. Als Quelle für Entscheidungen und Erklärungen dienen Alltagsweisheiten also nur bedingt. Auch unsere eigenen Erfahrungen – oder die unserer Eltern oder TV-Helden – müssen nicht unbedingt dem entsprechen, was typisch ist.
Stellen Sie sich z. B. vor, ein Mensch hat im Jugendalter schlechte Erfahrungen mit einer unfreundlichen Person aus dem Schwäbischen (oder aus dem Sächsischen, Friesischen, mit blauen/grünen/braunen Augen, schwarzen/roten/blonden Haaren …) gemacht. Aus dieser Erfahrung leitet er die Theorie ab, dass alle Schwaben unfreundliche Menschen sind, denen man besser nicht vertrauen sollte. Obwohl ein für ihn spannender Studiengang nur an der Universität Ulm angeboten wird, entscheidet er sich deshalb für ein anderes Studienfach, Personen mit schwäbischem Dialekt gegenüber verhält er sich sehr vorsichtig und reserviert (weshalb diese denken, er wäre ein komischer Eigenbrötler und ihm eher aus dem Weg gehen) und als ihm später ein lukrativer Job in Stuttgart angeboten wird, lehnt er lieber ab, da er nicht zwischen lauter Schwaben wohnen möchte. Wenn Sie selbst Schwabe bzw. Schwäbin sind oder schwäbische Freunde haben, werden Sie jetzt vielleicht gleich sagen: „Moment mal, was soll das denn, das ist ja alles falsch, und die Schwaben sind eigentlich total nett!“ Wahrscheinlich ist, dass die Schwaben weder netter noch weniger nett sind als Bayern, Friesen oder Sachsen. Aber nur aufgrund der schlechten Erfahrungen, die unser Beispielmensch gemacht hatte, und die er alltagspsychologisch als im Wesen der „gemeinen“ Schwaben an sich begründet erklärt hatte, nimmt er sich die Chance, ein spannendes Studienfach zu studieren und einen guten Job anzutreten. Er gibt sich nicht einmal die Chance, seinen schlechten ersten Eindruck durch den Kontakt mit anderen Schwaben zu revidieren.
Wir sehen also, die eigene Erfahrung und Einzelbeispiele sind nicht unbedingt die zuverlässigste Quelle für gesicherte Theorien. Die Erfahrungen täuschen uns häufig falsche Tatsachen vor, die Datenbasis ist sehr selektiv und lückenhaft, und bei Beobachtungen und Schlussfolgerungen können uns leicht Fehler unterlaufen. Die Erfahrung als Quelle für Erkenntnisse ist außerdem anfällig für Selbsttäuschungen. In dem Beispiel war der Mensch schon so voreingenommen, wenn ihm andere Schwaben begegneten, dass er sich ihnen gegenüber misstrauisch und wortkarg gezeigt hat. Sie bestätigten seine Vorurteile, indem sie irritiert oder reserviert auf sein Verhalten reagierten.
wissenschaftliche Psychologie
Im Gegensatz zur Alltagspsychologie, die Beispiele und Erfahrungen (mehr oder weniger) plausibel interpretiert, ist es die Aufgabe der wissenschaftlichen Psychologie, möglichst zuverlässige und gültige Erkenntnisse zum menschlichen Erleben und Verhalten, wie es sich verändert und wodurch es beeinflusst ist, zu gewinnen. Das geht durch die angemessene Beschreibung, durch das Absichern mit geplanten und geeigneten Messungen. Tabelle 1.1 fasst die wichtigsten Unterschiede zwischen der Alltagspsychologie, die wir alle täglich in unserem Leben verwenden, und der wissenschaftlichen Psychologie, die gesicherte Erkenntnisse gewinnen möchte, zusammen.
Tabelle 1.1
Die wichtigsten Unterschiede zwischen Alltagspsychologie und Wissenschaftlicher Psychologie
Alltagspsychologie | Wissenschaftliche Psychologie |
Datenbasis sind zufällige Ereignisse. | Datenbasis sind dokumentierte und wiederholbare Erhebungen. |
Theorien sind nicht oder nur schlecht überprüfbar und wiederholbar. | Theorien sind in der Realität mit wissenschaftlichen Methoden überprüfbar. |
Subjektiv geprägte und damit je nach „Alltagspsychologen“ unterschiedliche Interpretationen. | Objektive Aussagen: Bei gleichem Sachverhalt unter gleichen Bedingungen kommen verschiedene Forscher aufgrund wissenschaftlicher Regeln zur gleichen Erkenntnis. |
Dient der Orientierung, erlaubt rasche Entscheidungen in alltagsweltlichen Situationen und vermittelt Handlungs- und Verhaltenssicherheit. | Dient der Gewinnung von verallgemeinerbaren und gesicherten Kenntnissen über das menschliche Denken, Wahrnehmen und Verhalten. |
Im Online-Material können Sie Ihr Verständnis prüfen (Quiz 1).
Bachelorarbeit
Für Ihre Bachelorarbeit können Sie aus diesem Vergleich ableiten, dass in der wissenschaftlichen Psychologie Meinungen und eigene Erfahrungen sowie der gesunde Menschenverstand und plausible Schlussfolgerungen weniger zählen. Wichtig ist es, systematisch Erkenntnisse zu gewinnen und aus diesen Theorien abzuleiten. Dies spiegelt sich auch in der Struktur der Bachelorarbeit wider, die wir im folgenden Abschnitt näher beleuchten.
1.3 Aufbau der Bachelorarbeit
DGPs und APA
In der Psychologie haben sich nicht nur für Forschungsarbeiten an sich, sondern auch für die schriftliche Präsentation dieser Arbeiten Normen herausgebildet. Nachlesen kann man diese z. B. im Publication Manual of the American Psychological Association (2020) und den daraus abgeleiteten Richtlinien für die Manuskriptgestaltung (Deutsche Gesellschaft für Psychologie, 2019). Mit Ihrer Bachelorarbeit in der Psychologie sollten Sie natürlich auch diesen Normen folgen. Deshalb gleicht der Aufbau einer empirischen psychologischen Bachelorarbeit in der Regel dem Aufbau eines Artikels in einer psychologischen Zeitschrift wie z. B. der Zeitschrift für Psychologie und Psychologie in Erziehung und Unterricht oder auch internationale Zeitschriften wie Learning and Instruction, Cognitive Science oder The Annual Review of Psychology. Da die Bachelorarbeit einem psychologischen Zeitschriftenartikel sehr ähnlich gestaltet ist, sind sie für Sie natürlich auch sehr gute Beispiele, an denen Sie sich orientieren können!
Wenn Sie in psychologische Zeitschriften hineinschauen, sehen Sie auch, dass es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten gibt, psychologische Erkenntnisse wissenschaftlich herzuleiten:
Herangehensweisen
1Empirische Arbeiten, also Primärstudien, berichten, auf welcher theoretischen Grundlage und mit welcher Methodik Daten zu einer bestimmten Fragestellung erhoben wurden und welchen Beitrag die Datenerhebung und -auswertung für Theorie und Praxis geleistet haben. Für eine empirische Bachelorarbeit untersuchen Sie eine wissenschaftliche Fragestellung mit empirischen Methoden. Dazu gehört, dass Sie die existierende Literatur, die mit dem Thema zusammenhängt, aufbereiten, eine oder mehrere präzise wissenschaftliche Forschungsfragen aus der Theorie ableiten und geeignete Methoden zur Untersuchung der Forschungsfragen einsetzen. Die Ergebnisse der Untersuchung werden zunächst wertfrei dargestellt und schließlich unter Einbezug der Theorie erklärt und diskutiert.
2Systematische oder narrative Reviews betrachten Primärstudien zu einer bestimmten Fragestellung und geben einen Überblick über die Ergebnisse, um neue Erkenntnisse abzuleiten. Bei einem systematischen Review werden mehrere Forschungsarbeiten zu einem Thema nach zuvor festgelegten Methoden ausgewählt, systematisch miteinander verglichen und bewertet. Diese Arbeiten stellen den Forschungsstand zu einem Thema zusammenfassend dar und identifizieren weiteren Forschungsbedarf (z. B. Sweller, Van Merriënboer & Paas, 2019). Zu den systematischen Reviews gehören auch Metaanalysen, die mehrere Primärstudien zusammenfassend mit statistischen Methoden untersuchen (z. B. Dignath, Büttner & Langfeldt, 2008; Hattie, 2011). Ein narrativer Review gibt einen Überblick über einen bestimmten Forschungsbereich, die Auswahl der herangezogenen Arbeiten erfolgt jedoch in der Regel unsystematischer.
In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen, die Bachelorarbeiten in Psychologie betreuen sowie durch eine Suche auf den Webseiten psychologischer Institute, zeigte sich, dass diese beiden Arten von Forschungsarbeiten am häufigsten angeboten und betreut werden. Etwas seltener werden auch zwei weitere Arten wissenschaftlicher Arbeiten angeboten und betreut:
3Projektdesigns schlagen empirische Methoden zur Erforschung einer Fragestellung vor, ohne diese tatsächlich umzusetzen. Sie haben ihre Entsprechung in wissenschaftlichen Forschungsanträgen (z. B. DFG-Anträgen).