Bachelorarbeit in Psychologie. Margarete Imhof
in welcher Klasse die Schülerinnen und Schüler mehr lernen. Prinzipiell haben beide unterrichtliche Vorgehen Vor- und Nachteile: Schülerinnen und Schüler mögen es oftmals, wenn sie selbst experimentieren dürfen. Der Aufbau, die Durchführung und das Erklären der Experimente nehmen aber viel Zeit in Anspruch, die dann evtl. für das Lernen der Inhalte fehlt. Hält die Lehrkraft die Unterrichtsstunde und führt die Experimente nur vor, bleibt in der Regel mehr Zeit, um auf die theoretischen Inhalte einzugehen. Aber dafür entfällt auch die Erfahrung des eigenen Experimentierens, und Schülerinnen und Schüler nehmen den Unterricht möglicherweise als langweiliger wahr. Bei der einen Unterrichtsform ist also mehr Präsentation von inhaltlichem Wissen möglich, dafür dürfte die Motivation geringer sein; bei der anderen bleibt weniger Zeit für die Präsentation von Wissen bei hoher Motivation.
Auch hier die Frage an Sie: Was denken Sie, in welcher Klasse der Lernerfolg höher war? In welcher Klasse war die Motivation für Chemie höher? Gibt es einen Zusammenhang zwischen Motivation und Lernerfolg, ist der Lernerfolg bei höher motivierten Schülerinnen und Schülern besser? Was sind die Vor- und Nachteile am Versuchsaufbau von Tobias?
1.4.3 Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen
Lea
Lea interessierte sich in ihrer Bachelorarbeit dafür, als wie störend Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, verschiedene typische Störsituationen in der Schule wahrnehmen (ZBH, 2012). Sie entwickelte zur Untersuchung dieser Fragestellung einen Fragebogen mit Beispielen für Störsituationen, die verschiedenen Kategorien von Störungen zugeordnet werden konnten. Diesen Fragebogen veröffentlichte Lea online und schickte den Link an ihr bekannte Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer. Außerdem veröffentlichte sie den Link auf verschiedenen Webseiten und in sozialen Netzwerken wie z. B. facebook, damit eine möglichst große Anzahl von Personen den Fragebogen ausfüllte. Im Vergleich der Daten konnte Lea dann untersuchen, ob Schülerinnen und Schüler sich von Lehrerinnen und Lehrern in der Wahrnehmung der Störsituationen unterscheiden. Da sie noch einige zusätzliche Daten von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern abfragte, konnte sie zudem untersuchen, ob die Wahrnehmung der Störsituationen z. B. auch mit dem Alter, dem Geschlecht oder – im Falle der Lehrkräfte – mit der Dienstzeit zusammenhängt.
Haben Sie eine Idee, wie die Ergebnisse dieser Studie ausgefallen sein könnten? Wie kann man vorgehen, damit der Fragebogen relevante und typische Störsituationen abfragt? Wie würden Sie vorgehen, um die Daten aus dem Fragebogen auszuwerten? Welche Kritik üben Sie an Leas Vorgehensweise?
Auf die Details der drei Beispiel-Bachelorarbeiten werden wir in den nächsten Kapiteln nach und nach eingehen. Im nächsten Kapitel geht es zunächst um die Fragestellung als Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit.
Tipps zum Weiterlesen:
Beller, S. (2016). Empirisch forschen lernen: Konzepte, Methoden, Fallbeispiele, Tipps. (3., überarbeitete und erweiterte Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Franck, N. & Stary, J. (2013). Die Technik wissenschaftlichen Arbeitens. (17., überarbeitete Aufl.).
Trimmel, M. (2009). Wissenschaftliches Arbeiten in Psychologie und Medizin. Wien: facultas.
2 Die Fragestellung: Dreh- und Angelpunkt der Bachelorarbeit
Quellen für Forschung
Der Anstoß für Forschung ist die Neugier. Am Anfang jeder wissenschaftlichen Fragestellung und Forschungsarbeit steht deshalb ein Problem. Dieses Problem kann sich unterschiedlich entwickelt haben: zum Beispiel einfach aus der Feststellung der Forscherin, dass ihr zu einer Frage, einem Phänomen, einer Beobachtung Wissen fehlt, sie sich also etwas nicht erklären kann. Oder aber die Fragestellung entwickelt sich aus Ungereimtheiten, die sich aus widersprüchlichen Erklärungen und Befunden in der Literatur ergeben haben. Manchmal wird das Problem auch von außen an die Forscherin herangetragen, z. B. als Forschungsauftrag (das kann auch die Aufgabe sein, die Ihnen Ihre Betreuerin bzw. ihr Betreuer stellt). Gerade in der Psychologie sind Alltagsbeobachtungen ein interessanter Ausgangspunkt für Forschungsarbeiten. So können Beobachtungen, die sich ein Forscher bzw. eine Forscherin zunächst nicht erklären kann, zu der Frage führen: Warum verhalten sich Menschen in bestimmten Situationen so, wie sie sich verhalten? Wie erleben Menschen bestimmte Phänomene, wie ist ihre Wahrnehmung? Was denken sie dabei?
Insgesamt gibt es also viele mögliche Quellen für die Forschungsfragen, mit denen Sie sich in Ihrer Bachelorarbeit beschäftigen. Diese Forschungsfrage(n) zu finden und festzulegen, ist von zentraler Wichtigkeit, denn mit der Forschungsfrage bestimmen Sie, worüber Sie schreiben. In die Bachelorarbeit gehören nur Informationen, die zu dieser Fragestellung passen, sie ist das Leitmotiv für Ihre schriftliche Ausarbeitung. Die einzelnen Kapitel Ihrer Bachelorarbeit organisieren sich genau um die Fragestellung herum. Aus diesem Grund ist es elementar wichtig, dass Sie Ihre Forschungsfrage und damit Ihr Thema ganz klar in Zusammenarbeit mit Ihrer Betreuerin bzw. Ihrem Betreuer herausarbeiten und immer im Blick behalten.
Nach diesem Kapitel können Sie…
…die Bedeutung der Forschungsfrage für Ihre Bachelorarbeit erklären.
…den Unterschied zwischen Forschungsfragen und Hypothesen erkennen.
…Hypothesen für Ihre Bachelorarbeit formulieren.
2.1 Die Bedeutung der Forschungsfrage für die Bachelorarbeit
Sanduhr-Struktur des Textes
Warum ist die Forschungsfrage für Ihre Arbeit so wichtig? Zunächst einmal hilft Ihnen eine präzise formulierte Forschungsfrage, das Thema Ihrer Arbeit einzugrenzen. Aus der Forschungsfrage können Sie auch ableiten, wie Sie Ihre empirische Studie oder Ihren Review planen müssen, damit Sie eine Antwort auf Ihre Forschungsfrage finden können. Bem (2003) beschreibt die Forschungsfrage als Dreh- und Angelpunkt einer wissenschaftlichen Arbeit in der Psychologie. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Planung und Durchführung der Forschungsarbeit, sondern gerade auch auf die schriftliche Ausarbeitung. Der gesamte Text muss nach Bem (2003) um die Forschungsfrage herum organisiert werden. Er bedient sich zur Veranschaulichung der Metapher einer Sanduhr (siehe Abbildung 2.1). Der Text beginnt inhaltlich allgemein und breit, engt sich aber immer mehr ein und wird dann wieder breiter und allgemeiner bzw. verallgemeinernder.
Abbildung 2.1 Das Sanduhrmodell für die Struktur eines wissenschaftlichen Textes in Anlehnung an Bem (2003)
An der engsten Stelle einer Sanduhr muss der Sand hindurchlaufen. Diese engste Stelle Ihrer Bachelorarbeit entspricht Ihren Forschungsfragen und Hypothesen. Die Textabschnitte vor der Forschungsfrage müssen auf diese enge Stelle zulaufen, der Text nach den Forschungsfragen leitet sich aus der Forschungsfrage ab. Das bedeutet, die Theorien und Verweise auf frühere Forschungsarbeiten zum gleichen Thema strukturieren Sie so, dass Sie Ihre Leserinnen und Leser zu Ihrer Forschungsfrage hinleiten und dass sich Ihre Annahmen bzw. Hypothesen logisch daraus ableiten (siehe auch Kapitel 3). Aus der Forschungsfrage leiten sich außerdem die Vorgehensweise der Arbeit (siehe Kapitel 4) und die Auswertung (siehe Kapitel 5) ab. Schließlich erweitern Sie in der Diskussion die Perspektive wieder, wenn Sie Ihre Ergebnisse unter Einbezug der Theorien und anderer Forschungsarbeiten genauer beleuchten und im Vergleich mit anderen Arbeiten interpretieren (siehe