Medienwandel. Joseph Garncarz

Medienwandel - Joseph Garncarz


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handelt von kulturell differenzierten Filmpräferenzen im Europa der 1930er-Jahre. So unterscheiden sich die beim französischen, deutschen, britischen, niederländischen, österreichischen, tschechoslowakischen, polnischen bzw. norwegischen Publikum erfolgreichsten 30 Filme so stark voneinander, dass es so gut wie keine gemeinsamen Top-Filme gab. Die Zuschauer dieser Länder liebten vor allem Filme aus dem jeweils eigenen Land und sahen zudem diejenigen ausländischen Filme gerne, die optimal kulturkompatibel waren.

      Kapitel 9 widerspricht der weit verbreiteten Auffassung, dass Charles Chaplins Filme bei allen Menschen gleichermaßen populär waren. Die Studie zeigt, dass Chaplins Filme in der Weimarer Zeit nur bei bestimmten Teilen des Publikums erfolgreich waren. So wurden Chaplin-Filme stärker in Groß- als in Kleinstädten geschätzt. Von der großstädtischen Bevölkerung wiederum gehörten vor allem Intellektuelle und Arbeiter zum Stammpublikum Chaplins.

      [28]Die Vorlieben der Menschen für die angebotene Unterhaltung sind darüber hinaus auch hinsichtlich ihrer Persönlichkeit differenziert. Sogenannte High Sensation Seeker bevorzugen körperlich fordernde Unterhaltung (Gleitschirmfliegen, Bungeejumping, Achterbahnfahren), während Low Sensation Seeker eher rezeptive Unterhaltungsformen vorziehen (Fernsehen, Musikhören). In Bezug auf die Unterhaltungsformen, bei denen der Nutzer in der Rolle des Zuschauers bzw. -hörers ist, mögen High Sensation Seeker lieber Actionfilme und Rockmusik, während Low Sensation Seeker sich eher an Beziehungsdramen und klassischer Musik erfreuen.14

      Die Grundfunktionen der Medien treten oft in Kombination auf, wobei eine Funktion primär, eine andere sekundär ist. In einem Telefonat mit dem Partner mag es primär um den Austausch von Zärtlichkeiten gehen, was aber nicht ausschließt, dass dabei auch Neuigkeiten über die Erlebnisse des Tages mitgeteilt werden. Eine Unterhaltungssendung wie WER WIRD MILLIONÄR? will primär unterhalten, bildet aber ohne Zweifel auch. Wer hier nichts Neues erfährt, ist ein sicherer Gewinner der Million! Ein wissenschaftliches Buch vermittelt in erster Linie Wissen, kann dies aber in einer Art machen, die dem Lernenden Freude macht. Der Lernerfolg wird sogar umso größer sein, je mehr Vergnügen das Lernen macht.

      In Bezug auf die gegebene Bestimmung der Grundfunktionen der Medien können zwei Abgrenzungen vorgenommen werden. Die erste bezieht sich auf die Frage, ob Kunst eine eigenständige Grundfunktion der Medien ist, und die zweite grenzt die gegebene von der weit verbreiteten stark politisch motivierten Definition ab.

      Zu 1.: Mit Kunst kann man ohne Zweifel kommunizieren, aber auch bilden und unterhalten. Werke der Kunst vermitteln mitunter Ideen (wie die der religiösen Toleranz in Gotthold Ephraim Lessings NATHAN DER WEISE [1783 uraufgeführt]) oder eröffnen neue Sichtweisen (wie Literatur aus anderen Kulturen). Die Übertragung einer Opernaufführung im Fernsehen kann bilden (»eine große Inszenierung«, »ein bedeutendes Werk der Musikgeschichte«), aber auch unterhalten. Man kann den Unterhaltungswert von Kunst als ein distinguiertes Vergnügen von Kunstsinnigen definieren; Kunst lässt sich demnach also als eine Form der Unterhaltung für Gebildete verstehen. Dieses besondere Vergnügen setzt eine Kennerschaft voraus. Kennt man ein Theaterstück wie Lessings NATHAN DER WEISE oder ein Werk der Chormusik wie Giuseppe Verdis MESSA DA REQUIEM (1874 uraufgeführt), so wird man an einer bestimmten Aufführung ein besonderes Vergnügen (oder auch ein besonderes Missvergnügen) haben, das derjenige nicht hat, der mit den Werken nicht vertraut ist. Kunst oder ästhetische Kommunikation ist demnach keine eigenständige Grundfunktion, sondern hinreichend durch die drei genannten Grundfunktionen erfasst.

      [29]Zu 2.: In demokratischen Gesellschaften wird der Medienbegriff oft auf die sogenannten Massenmedien verkürzt und ihre Grundfunktionen dann so definiert, dass sie den Zielen der Demokratie entsprechen. Presse, Radio und Fernsehen sollen sachgerecht informieren, zur Meinungsbildung der Bürger beitragen und durch eine kritische Berichterstattung staatliche Entscheidungsträger kontrollieren.

      »Die Massenmedien sollen so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren, damit ihre Nutzerinnen und Nutzer in der Lage sind, das öffentliche Geschehen zu verfolgen. Mit ihren Informationen sollen sie dafür sorgen, daß die einzelnen Bürgerinnen und Bürger die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge begreifen, die demokratische Verfassungsordnung verstehen, ihre Interessenlage erkennen und über die Absichten und Handlungen aller am politischen Prozeß Beteiligten so unterrichtet sind, daß sie selbst aktiv daran teilnehmen können – als Wählende, als Mitglieder einer Partei oder auch einer Bürgerinitiative. […] Im parlamentarischen Regierungssystem obliegt in erster Linie der Opposition die Aufgabe der Kritik und Kontrolle. Diese wird unterstützt und ergänzt durch die Kritik- und Kontrollfunktion der Medien.«15

      Als Grundfunktionen der Medien gelten in diesem Sinn also Information, Meinungsbildung und Kontrolle. Die Idee dabei ist, Menschen zu mündigen Bürgern zu machen, die bei der Wahl der politischen Vertretungen ihre Stimme entsprechend ihren Überzeugungen abgeben, und die Gewählten zugleich durch eine kritische Beobachtung zu kontrollieren. Dabei werden die Medien als vierte Macht im Staat neben Exekutive, Legislative und Judikative begriffen. Im Unterschied zu dieser politisch motivierten Definition verengt die oben gegebene die Medien nicht auf Presse, Rundfunk und Fernsehen und orientiert sich an den beobachtbaren und nicht an den gewünschten Funktionen der Medien.

      Wie soll man Medien nennen, die der Kommunikation, der Orientierung bzw. der Unterhaltung dienen? Medien, die der Kommunikation dienen (wie Telefon oder E-Mail), werden als Kommunikationsmedien bezeichnet. Medien, die nicht der persönlichen Kommunikation dienen, werden oft Massenmedien genannt. Der Begriff Massenmedium wird unterschiedlich verwendet: Zum einen gilt als Massenmedium ein Medium, das sich an ein Publikum richtet, dessen Zuhörer bzw. Zuschauer sich nicht kennen, und zwar unabhängig von der Frage, wie groß die Reichweite dieses Mediums ist. Zum anderen wird der Begriff gerade in Bezug auf die Reichweite verwendet, wobei ein Medium erst dann als Massenmedium gilt, wenn es von sehr vielen Menschen (eines Landes, einer bestimmten sozialen Schicht, eines Alters etc.) genutzt wird. Der Begriff ist zudem oft negativ besetzt, insofern der Begriff der Masse mit Anonymität und Unbildung verknüpft wird.

      [30]Aufgrund der Bedeutungs- und Wertungsambivalenz scheint es sinnvoll zu sein, auf die Verwendung dieses Begriffs zu verzichten und stattdessen Begriffe wie Wissens- und Unterhaltungsmedien zu wählen. Wissensmedien sind Medien, die der Vermittlung von Wissen dienen. Sie sind in aller Regel Speichermedien wie Buch oder Computer. Unterhaltungsmedien sind alle Medien, die primär dazu benutzt werden, Menschen zu unterhalten. Film und Fernsehen sind in diesem Sinn Unterhaltungsmedien – nicht aufgrund der verwendeten Technologien als solcher, sondern aufgrund der dominanten Verwendungsweise dieser Medientechnologien (denn der Film hätte auch primär für Bildungszwecke, das Fernsehen zur Überwachung von Objekten oder Menschen eingesetzt werden können). Was als primär gilt, kann das sein, was objektiv vorherrschend ist, kann aber auch nur das sein, was als vorherrschend wahrgenommen wird – etwa weil sich die Forschung überwiegend auf diesen Aspekt konzentriert hat.

      Der Begriff Programmmedien ist als eine Spezifizierung des Begriffs Unterhaltungsmedien sinnvoll. Alle Programmmedien sind de facto primär Unterhaltungsmedien, aber nicht alle Unterhaltungsmedien sind auch Programmmedien. Als Programmmedien werden alle Medien verstanden, die ein Programm bieten wie das Kino, das Radio oder das Fernsehen. Programme bestehen grundsätzlich aus mehreren Angebotsteilen, die von den Veranstaltern in einer vorab festgelegten Abfolge dem Publikum dargeboten werden. Medieninstitutionen entwickeln bestimmte Programmschemata, die die Orientierung der Zuschauer bzw. -hörer erleichtern. So zeigte das Kino vor der Etablierung des Fernsehens typischerweise eine Wochenschau, Werbung (für Waren wie für die Filme, die »demnächst in diesem Theater« zu sehen waren), einen Kulturfilm und als eigens beworbene Hauptattraktion einen abendfüllenden Spielfilm. Radio und Fernsehen entwickelten nach Wochentagen differenzierte Programmschemata (freitags läuft seit 1969 um 20:15 Uhr im ZDF ein Krimi, angefangen mit DER KOMMISSAR über DERRICK, DER ALTE bis hin zu DER KRIMINALIST, sonntags ist seit 1970 um 20:15 Uhr in der ARD unter anderem der TATORT zu sehen). Video on Demand (VoD), DVD oder Blu-Ray sind Beispiele für Unterhaltungsmedien, die keine Programmmedien im definierten Sinn sind, da mit ihnen kein vom Veranstalter festgelegtes Programm angeboten wird. Der Nutzer wählt mit diesen Speichermedien selbst, was er zu welcher Zeit sehen oder hören möchte. Oft bieten VoD-Anbieter Flatrates an, die es den privaten Mediennutzern erlauben,


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