Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Группа авторов

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künstlerische Strategien in kunstfernen Feldern ihre Anwendung. So zum Beispiel in dem von 2009 – 2011 durchgeführten Projekt von trafo.K „Und was hat das mit mir zu tun?“ Transnationale Geschichtsbilder zur NS-Vergangenheit, das in den Kontexten Vermittlung, Schule, Sozialwissenschaften, Geschichtspolitik und Forschung agierte.

      Was tun?, eines der drei thematischen Leitmotive der documenta 12, erhob 2007 die Bedeutung von Kunstvermittlung für Bildung schließlich in den Stand einer kuratorischen Fragestellung (Carmen Mörsch 2009). Damit erhielt die Vermittlung eine deutliche Aufwertung. Erstmals gab es eine wissenschaftliche Begleitung der Kunstvermittlung. Es wurde auch ein Beirat aus BewohnerInnen Kassels eingerichtet, der das Großereignis an lokale AkteurInnen und Themen anbinden sollte. Die anlässlich der Vermittlungsarbeit publizierten Forschungsbände geben Einblick in die vielen Facetten und Erfahrungen, die sich mit Handlungsräumen einer kritischen Praxis und deren künstlerischen, performativen, politischen, aktivistischen und theoretischen Ansätzen auseinandersetzen. Die vier von Carmen Mörsch benannten Zugänge einer affirmativen, reproduktiven, dekonstruktiven und transformativen Vermittlung bieten eine wichtige Orientierung für die Reflexionsarbeit im Feld. Das aktuelle Modellprojekt Kunstvermittlung in Transformation vom Institute for Art Education legt einen Schwerpunkt auf eine „systematische Begleitforschung“, mit der eine Qualitätssteigerung in der Praxis erwirkt werden

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      Museen und Ausstellungen werden als Orte der Wissensproduktion und der Bildung neu gedacht. Partizipation, gemeint als die tatsächliche Bereitschaft, Strukturen aufzubrechen und Definitionsmacht und Ressourcen abzugeben, erfordert die Transformation der Institutionen und damit der Bedingungen für Wissensproduktion selbst. Irit Rogoff spricht in diesem Zusammenhang von einem „educational turn in ­curating“ (2011). Sie schlägt einen Perspektivenwechsel in Bezug auf die herkömmlichen Logiken der Wissensproduktion vor. Die Vermittlung nimmt unter diesem Aspekt einen völlig neuen Stellenwert ein. Die Verhandlung darüber, wer Wissen produziert und welche Bildungsentwürfe realisiert werden, waren auch virulente Fragestellungen in der von schnittpunkt initiierten Veranstaltungsreihe educational turn in Wien (2010/11). In der Ausstellung Utopie und Alltäglichkeit. Zwischen Kunst und Pädagogik (2009) von microsillons in Genf wurden die Bildungsprozesse an der Schnittstelle von Kunst, Bildung und Erziehung selbst zum Ausstellungsgegenstand.

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      Abb 2 „Und was hat das mit mir zu tun?“ Transnationale Geschichtsbilder zur NS-Vergangenheit, Wien, 2009 – 2011, Büro trafo.K, Ein Projekt durchgeführt im Rahmen des Förderprogramms Sparkling Science, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.

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      Abb 3 Utopie und Alltäglichkeit. Zwischen Kunst und Pädagogik, Centre d’ Art Contemporain Genève, 27.11.2009 – 14.2.2010.

      Angekommen oder immer noch Dazwischen?

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      zu Theorie, Praxis und Ausbildung die regen Debatten über die Rollen und Aufgaben von Kunst- und Kulturvermittlung wider.

      Die anfangs erwähnte Forderung, Vermittlungsarbeit in die Museums- und Ausstellungslandschaft als fixen Bestandteil zu integrieren, ist weitgehend erfüllt. In der Praxis selbst ist jedoch eine kritische Vermittlung weiterhin mit der Anforderung konfrontiert, BesucherInnenzahlen im Sinne der Institution zu steigern. Damit geht eine Kategorisierung von sogenannten Zielgruppen einher, die meist in marginalisierten Publikumsschichten und Positionen verortet werden. Kunst- und Kulturvermittlung wird oft als Instrument zur „Lösung“ von gesellschaftlichen „Konfliktfeldern“ imaginiert. Themenfelder wie Migration, soziale und strukturelle Diskriminierung von Gruppen und im Rahmen von Pisa-Studien konstatierte Bildungsschwächen werden als Aufgabenfeld an die VermittlerInnen herangetragen. Es bleibt die Frage nach den Auswirkungen dieser Konstellation auf die Handlungsräume einer reflexiven und kritischen Vermittlung, nach den Potenzialen der Transformation von Institutionen und den Verhältnissen selbst. Nimmt die kritische Vermittlungspraxis ihren Anspruch ernst, geht es weiterhin darum, im Beziehungsgeflecht von Bildung, Kunst, Kultur und Politik in Verhandlung zu bleiben; ein Prozess, der immer neue Fragen nach dem Handlungsfeld des „Dazwischen“ aufwirft – auf der Suche nach immer neuen Strategien für die Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnissen.

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      Aktuelle Literaturauswahl

      Mörsch, Carmen / Forschungsteam documenta 12 Vermittlung (Hg.), Kunstvermittlung 2, Zwischen kritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12, Zürich / Berlin 2009.

      Rollig, Stella / Sturm, Eva (Hg.), Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum, Art / Education / Cultural Work / Communities, Museum zum Quadrat Bd. 13, Wien 2002.

      schnittpunkt – Jaschke, Beatrice / Martinz-Turek, Charlotte / Sternfeld, Nora (Hg.), Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen, Wien 2005.

      schnittpunkt – Jaschke, Beatrice / Sternfeld, Nora (Hg.), Educational turn. Handlungsräume der Kunst- und Kulturvermittlung, Wien 2012.

      Seiter, Josef (Hg.), Auf dem Weg. Von der Museumspädagogik zur Kunst- und Kulturvermittlung, Schulheft 111, Wien 2003.

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      Anmerkungen