Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Группа авторов
wurde die geläufige Berufsbezeichnung von MuseumspädagogInnen in KulturvermittlerInnen verändert. Damit fand eine Abgrenzung zum Begriff Pädagogik statt, der im Museumskontext vor allem die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen meint und nicht mehr ausreichend das vielfältige Tätigkeitsfeld fasste. Die Unterscheidung in mediale, personale und in den letzten Jahren vermehrt handlungsorientierte Vermittlung bietet Orientierung: Vermittlungsarbeit ist demnach immer eine Herstellung von Beziehung zwischen Inhalten, Personen und Dingen, die, so Gabriele Stöger (2003), ohne diese nicht zustande kommen würde. Eine wichtige Rolle für Professionalisierung und Entwicklung von Theorie und Praxis nahm im österreichischen Kontext das Büro für Kulturvermittlung ein.46 Dessen Tätigkeitsbericht (2003) formulierte den Auftrag, „professionelle Neuentwicklungen im Bereich der kulturbezogenen, partizipatorischen Vermittlungsarbeit zu initiieren und ihre Weiterentwicklung zu fördern“. Mit der Vermittlungsreihe Das Nützliche und das Fremde (1989 – 2004) wurden in der Zusammenarbeit von Kulturschaffenden, VermittlerInnen und BerufsschülerInnen neue Wege für eine Annäherung zwischen Museen und Ausstellungshäusern und einer „kunstfernen“ Berufs- und Lehrlingsausbildung beschritten.
<39|
1999 veröffentlichte der österreichische Verband gemeinsam mit den Verbänden aus Deutschland und der Schweiz einen Informationsfolder mit dem Titel Kommunikation, Museumspädagogik, Bildungsarbeit, Kulturvermittlung in Museen und Ausstellungen zur Darstellung des Tätigkeitsfelds. Er diente zur Spezifizierung der Anforderungen ebenso wie als Grundlage für Honorarverhandlungen für die meist freiberuflichen VermittlerInnen. Diese Zusammenarbeit wird in der Erarbeitung von Qualitätskriterien für Museen: Bildungs- und Vermittlungsarbeit (2008) sowie „Checklisten“ für Museen, politisch Verantwortliche und VermittlerInnen bis heute weitergeführt.
Abb 1 Kommunikation, Museumspädagogik, Bildungsarbeit, Kulturvermittlung in Museen und Ausstellungen
Parallel zu den Interessensvertretungen entstand in den 1990iger-Jahren ein wachsendes Angebot von LehrerInnenfortbildungs- und Universitätslehrgängen im Bereich Museumspädagogik und Vermittlung. Der Wendung in der Selbstbezeichnung folgend, wurde am Institut für Kulturwissenschaften in Wien (ikw) 1994 erstmals ein postgradualer Lehrgang mit einem Schwerpunkt auf Kommunikation im Museum eingerichtet.
<40|
Zwischen Dienstleistung und Kritik
Mit dem Bildungsauftrag, auch zeitgenössische Kunst allen zugänglich zu machen, etablierte sich eine Ausstellungspraxis, die vermehrt auf Vermittlung Wert legt. Ausgangspunkt der methodischen Überlegungen für die Praxis war das Szenario des „Erstkontaktes“ zwischen Kunst und BetrachterIn. Der freie, individuelle und assoziative Zugang zu den Inhalten und der Einsatz von alltäglichen Dingen als Werkzeug der Vermittlung hatten in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion. Damit sollten der Einstieg in die jeweiligen Ausstellungsinhalte erleichtert und ein Raum für eigene Meinungen geschaffen werden. Die BesucherInnen „dort abzuholen, wo sie stehen“, entwickelte sich dabei zu einem standardisierten Vermittlungsansatz. Doch wo stehen die Beteiligten, und welche – vielleicht konfliktreichen – Themen bleiben unausgesprochen? 47 Die Reflexion über die Herkunft und die Funktion der mitgebrachten Bilder und Klischees, die Stereotypen und Machtverhältnisse auch reproduzieren, wurde im Laufe der 1990er-Jahre wichtiger Bestandteil für eine kritische und reflexive Arbeit, die nicht mehr unabhängig von der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Verhältnissen stattfinden kann. Vereinzelt findet sich diese institutionskritische Setzung schon in der Namensgebung selbst. So haben die VermittlerInnen vom StörDienst (bis 1991 Kolibri flieg) mit ihrer Umbenennung die Unmöglichkeit des „Geliebt-Werdens“, in einer Institution zum Programm gemacht (Karin Schneider 2002). Die Künstlerin Andrea Fraser beschreibt diesen reflexiven Anspruch als kritisch, das „[…] heißt, dass er nicht darauf abzielt, einen Ort oder unser Verhältnis zu ihm zu affirmieren, zu erweitern oder zu bekräftigen, sondern ihn zu problematisieren und zu verändern“.48 Ab der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre intensivierte sich die Reflexionsarbeit darüber, welche Rolle die VermittlerInnen selbst in ihrer Praxis einnehmen. Vermehrt gerieten in einschlägigen Medien, Vernetzungstreffen und Ausbildungsangeboten die Kommunikationsprozesse im Museum in den Blick. Eva Sturm untersucht in ihrem Buch Im Engpass der Worte (1996) die Funktion von Sprache und die in der Vermittlung zugeschriebenen Rollen „als sprechende und zuhörende, als fragende, befragte und antwortende, als erklärende, belehrende
<41|
und belehrte Subjekte“.49 Sie spricht über die „Unmöglichkeit“ des Sprechens über Kunst und die unterschiedlichen Sprechweisen, die in der Vermittlung von Kunst im Museum zusammentreffen.
Reflexivität und Wissensproduktion
In den 2000er-Jahren wurden vor allem Tagungen, Workshops und Publikationen, welche AkteurInnen aus den Bereichen Vermittlung, Kunst, Theorie und Aktivismus zusammenführen, wichtig für den Austausch über die jeweils eigenen Fragen. In der Debatte um die Positionierung und die damit verbundenen Strategien erhielt die Schnittstelle Vermittlung und Kunstproduktion eine wichtige Stellung. Die von Eva Sturm und Stella Rollig herausgegebene Tagungspublikation Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum (2002) befasst sich mit kollektiven, partizipatorischen und aktivistischen Arbeitsweisen in der Gegenwartskunst und ihren Überschneidungen mit Kultur- sowie Sozialarbeit und Kunstvermittlung. Die Vermittlung, davon wird ausgegangen, ist als besondere Form der Kommunikation für die Kunst zentral geworden und verändert sich damit selbst – sie kann selbst kunsthafte Züge entwickeln (Pierangelo Maset 2002). Die Grenzen zwischen vermittlerischer und künstlerischer Praxis, die in politische Verhältnisse eingreifen will, verschwinden und reichen über die Institution hinaus. Der gesellschaftspolitische Kontext wird in die Überlegungen zur Praxis einbezogen. Ein Projekt wie das Familienstudio Kotti 2001 von Kunstcoop© verbindet diese Ansätze und versucht, den durch Machtverhältnisse konstituierten sozialen Raum in „Un-Ordnung“ (Bill Masuch 2002) zu bringen. In diesem Zusammenhang gewinnt die eigene Positionierung im Verhältnis zu Museen und Ausstellungen als pädagogische Institutionen (Oliver Marchart 2005) an Bedeutung. Das heißt, die eigene Involviertheit in die Institution als Ort der Distinktion, Exklusion und Kanonisierung wird Thema. Mit dem 2005 erschienenen schnittpunkt-Sammelband Wer spricht? Autorität und Autorschaft in Ausstellungen werden schließlich in einer Zusammenschau von Theorie und Praxis die Definitionsmacht in Ausstellungen analysiert und die Möglichkeiten und Grenzen einer kritischen und emanzipatorischen Praxis reflektiert.
<42|
Und jetzt? Kunstvermittlung als kritische Praxis, Handlungsmacht und Veränderung
In der Auseinandersetzung mit Hierarchien in Bezug auf Sprechen, Zeigen, Handeln und den unterschiedlichen Facetten der Teilhabe kommen vertraute Verhältnisse ins Wanken. Partizipation, die über die bloße Teilnahme hinausgeht, wird ein oft zitiertes Postulat im Ausstellungsfeld. Vermehrt finden Vermittlungs- und Ausstellungsprojekte Platz, die nicht mehr nur über oder für jemanden gedacht sind, sondern mit den Beteiligten eine Veränderung der Bedingungen, der „Spielregeln“ selbst (Nora Sternfeld 2007), zulassen. Transdisziplinarität, kollaboratives Arbeiten sowie das Aushalten von Konflikten nimmt eine immer wichtigere Rolle für die Praxis ein, die nicht danach fragt, woher die AkteurInnen kommen, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit darauf richtet, welches Verhältnis sie zueinander haben und wie sich dieses in einer offenen Form der Wissensproduktion verortet. Die Frage nach Handlungsräumen wird zentral. Das Centre for Possible Studies – ein von Janna Graham geleiteter Vermittlungsraum der Serpentine Gallery im Londoner Viertel Edgware Road – involviert die lokale Nachbarschaft in interdisziplinäre Projekte. Es geht darum, die Stadt