Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Группа авторов
in die Museologie, Darmstadt 2005; Vieregg, Hildegard, Museumswissenschaften. Eine Einführung, Paderborn 2006; Waidacher, Friedrich, Museologie – knapp gefasst, Wien / Köln / Weimar 2005.
1.1 Museologie und Museumsgeschichten
Monika Sommer
Bald ist es ein Vierteljahrhundert her, seit mit der 1989 von Peter Vergo herausgegebenen Aufsatzsammlung mit dem programmatischen Titel The New Museology ein wichtiger Markstein in der Erforschung einer äußerst heterogenen Museumslandschaft gesetzt wurde, und ein neuer Begriff die Veränderung der Frageperspektiven auf die in Museen stattfindenden, kulturelle Bedeutung generierenden Prozesse umschrieb. Der angekündigte Aufbruch implizierte eine Absage an eine Museumswissenschaft, die sich allzu sehr auf Fragen der Museumsverwaltung beschränkte und grundsätzliche Fragen zur Geschichte und Gegenwart der Museen aussparte: „[…] what is wrong with the ‚old‘ museology is that it is too much about museum methods, and too little about the purposes of museums.“ 2 Das Unbehagen rührte nicht nur aus der Unzufriedenheit mit der mangelnden theoretischen Auseinandersetzung, sondern auch aus einer Analyse der Praxis, die den (großen) Museen attestierte, gleich toten Fossilien zu sein, weshalb Vergo „a radical re-examination of the role of museums within society“ 3 forderte.
Wie sehr Museen mit der Gesellschaft verknüpft sind beziehungsweise sein sollen und wo die Grenzen zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sammlung zu ziehen sind, darüber lässt sich genauso trefflich streiten, wie über den Ursprung des Museums. Etymologisch gesehen, führt der Weg in die griechische Antike, als die den Musen geweihten Kulturstätten als museion bezeichnet wurden. Wird das Museum als ein Ort des systematischen Sammelns verstanden, kann das von Ptolemaios I. (305 – 283/2 v. Chr.) gegründete Institut in Alexandria, das eigentlich einer Akademie glich, als früheste Referenzinstitution gelten. Wer die Geschichte des Museums als Aufbewahrungs- und Präsentationsort von Sammlungen, als Ort des Ordnens, Kategorisierens und Erfassens mit den Kunst- und
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Naturalienkabinetten der Renaissance beginnen lassen möchte, für den oder die stellt das Jahr 1565 einen bedeutenden Einschnitt dar, in dem Samuel Quiccheberg sein Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi veröffentlichte, das früheste Handbuch der Museumskunde im deutschsprachigen Raum. Quiccheberg war am Münchner Hof mit der Ordnung und Klassifizierung der Kunstkammer von Herzog Albrecht V. betraut, der dem Vorbild der Medici in Florenz folgend, Kunstgegenstände zu sammeln begonnen hatte. Quicchebergs Traktat gibt den Idealplan einer Kunstkammer wieder, die er als Bildungsinstitution verstand, an der Theorie und Praxis verschränkt werden sollten. Zwischen diesem und dem nächsten hier nun vorgestellten museologischen Grundlagenwerk liegt eine fundamentale Bedeutungsverschiebung für die ausgestellten Artefakte und Naturafakte: Hatten die einzelnen Objekte im 16. Jahrhundert eine singuläre Position inne, wurden sie ab dem 18. Jahrhundert vermehrt in Serien angeordnet, austauschbar und vergleichbar; die ästhetische Anmutung geriet ins Hintertreffen. Auf seinen eigenen Erfahrungen und Recherchen in den Kunst- und Schatzkammern verschiedener europäischer Städte beruhte das Werk Museographia des Hamburger Kaufmanns Caspar Friedrich Neickelius, das 1727 erschien und den Gelehrten als Vermittler zwischen den „Curiositäten“ und den Büchern verstand. Nicht zufällig entstand es selbst nach den neuen Prinzipien der Beobachtung und des Vergleichens. Seine Publikation ist nicht zuletzt ein Hinweis darauf, dass die Macht und Prestige vermittelnden Kuriositätenkabinette im Verlauf des 17. Jahrhunderts bereits zunehmend wissenschaftlichen Charakter bekamen und zum Fixpunkt für Bildungsreisende wurden. Fast einer Handlungsanleitung gleich, schlägt er ein Ordnungssystem sowie richtige Verhaltensweisen und Umgangsformen mit den Objekten und den Menschen im Museum vor. Befördert von Carl von Linnés systema naturae, das 1735 erstmals erschien, verabschiedeten die empirischen Naturwissenschaften das kosmologische Weltbild der Einheit von Kunst und Natur.
Als Keimzelle des modernen Museums lässt sich das 1793 eröffnete Musée Français im Pariser Louvre festmachen, das sich der Revolution von 1789 und der Widmung des Louvres als „Nationalpalast“ verdankt, der Sitz des Königs, Museum und Bildungsinstitution sein sollte. Mit dem 1795 von Alexandre Lenoir begründeten Musée des Monuments Français, das allerdings 1816 bereits wieder geschlossen wurde, wurde erstmals nationale Geschichte ausgestellt: Durch in Sicherheit gebrachte Objekte aus aufgelassenen Kirchen, Klöstern und geplünderten Adelspalästen, „sah sich Frankreich endlich selbst in seiner Entwicklung“ 4, wie der Historiker Jules Michelet das Museum
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mit seiner chronologischen Objektanordnung beschrieb. Die Aktualisierung von historischen Ereignissen bei gleichzeitiger Historisierung wurde zu einer völlig neuen geschichtspolitischen Praxis. Mit der Revolution und der Möglichkeit, die Sammlungen des Louvre für sich in Anspruch zu nehmen, brachte das französische Volk seine Forderungen nach politischer Beteiligung und den Besitzanspruch der Allgemeinheit auf das nationale Erbe zum sichtbaren Ausdruck.5
Nach dem Bedeutungsverlust bisheriger religiöser und auf Tradition beruhender Machtkonzepte eignete sich das Museum als säkularer Bezugs- und Referenzpunkt für die „imagined communities“ (Benedict Anderson 1996) der aufkommenden Nationalstaaten, die neue Konzepte individueller und kollektiver Identitätskonstruktionen zur Verfügung stellten. Den Entstehungsbedingungen von Nationalmuseen – ein Museumsprinzip, das trotz zahlreicher Versuche, nationale Konzepte zu überwinden, bis heute die Vorstellungen von Museen zutiefst prägt – widmete die sammlungsgeschichtliche Forschung in jüngster Zeit ebenso vermehrt Aufmerksamkeit, wie den Kulturen des Sammelns und Ausstellens im 18. Jahrhundert.6 Als ein „Manifest der Museologie“ 7 beschrieb etwa Édouard Pommier (2006) die neue Hängung der kaiserlichen Gemäldegalerie im Wiener Schloss Belvedere nach „Schulen“, die Christian von Mechel 1780 für den Aufklärer Kaiser Joseph II. vornahm und die europaweit Nachahmer finden sollte. Der Wiener Präsentation lag die Idee von Fortschritt und Entwicklung zugrunde. Die Gemäldesammlungen verabschiedeten sich von den bisherigen dekorativen barocken Ordnungssystemen, um die Geschichte der Malerei in einem Raum-Zeit-Kontinuum begehbar zu machen. Viele Museumsbauten des 19. Jahrhunderts
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vermittelten hegemoniale Kunst- und Geschichtsbilder lehrhaft bereits durch die äußere Fassadengestaltung und die innere Ausstattung des neuen Bautypus. Das Konzept von der Linearität der Zeit und der Isolierung der Kunstgegenstände von den Kuriositäten und Naturalien wurde zu einer Signatur der Museumsarbeit im 19. Jahrhundert.
Befördert durch die kriegerischen und politischen Ereignisse der napoleonischen Ära, erlebten Museen als regionale Zentren der Nationalisierung und der Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Region enormen Aufwind: Als Schnittstelle zwischen historischer Aufarbeitung und Forum für die Auseinandersetzung mit den jüngsten Entwicklungen, die nicht zuletzt der Ökonomie dienten, fungierten die in der Habsburgermonarchie entstehenden Regionalmuseen, wie z. B. das 1811 in Graz gegründete Joanneum, das als ein Kristallisationspunkt bürgerlicher Identitätskonstruktion wirkte. Diese war auch Movens des 1852 als Reaktion auf die gescheiterte Revolution von 1848 ins Leben gerufenen Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Zentralistisch agierend, setzte es sich die Fundierung eines Narrativs von der Einheit des deutschen Reiches zum Ziel, die politisch erst 1871 Realität wurde. Berlin konnte im Gegensatz zu anderen Städten wie Wien, Paris oder Madrid kaum auf dynastische Sammlungen zurückgreifen, weshalb es durch den Ankauf von Privatsammlungen sowie eine intensive Bautätigkeit für die Museen versuchte, seine kulturelle Reputation in der sich steigernden europäischen Städtekonkurrenz zu erhöhen. Diese kulturpolitischen