Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis. Группа авторов
Gordon Fyfe (2006) die Gründungswelle von zahlreichen Museen seit den 1970er-Jahren sowie die Bedeutungszunahme des kulturellen Feldes Museum in zahlreichen Disziplinen.13
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Sharon Macdonald (2006) machte drei Punkte fest, die sich in der museologischen Forschung seit der Verabschiedung der „Old Museology“ verändert haben. Erstens verschob sich die einst als inhärent verstandene Bedeutung der Objekte hin zu einer kontextabhängigen. Zweitens wurden nun auch ökonomierelevante Fragestellungen wie Kommerzialisierung und Unterhaltung Teil der wissenschaftlichen Reflexionen des Museumswesens, was den Blick für die Strategien jenes Bereichs öffnete, den Tony Bennett, mit den Theorien Michel Foucaults arbeitend, als The Exhibitionary Complex (1988) beschrieb: Weltausstellungen, Warenhäuser mit ihren Schaufenstern, Galerien, Ausstellungen und andere Orte des Aus- und Darstellens, ohne die das moderne Museum undenkbar wäre und in denen sich sowohl eine neue Form von Öffentlichkeit herstellte als auch eine Hegemonie des Seh-Sinns ausbildete, die bis heute das Museum prägt. Drittens differenzierten sich die Methoden zur Auseinandersetzung mit den „Techniken des Betrachters“ (Jonathan Crary 1996) und zur Erforschung der Rezeption der Museen durch das Publikum: Die Soziologie entdeckte das Museum als Forschungsfeld für sich; besonders einfluss-, aufschluss- und folgenreich erwiesen sich Pierre Bourdieus Studien zum Geschmack und zur Liebe zur Kunst (2006). „Collectively, then, these three areas of emphasis demonstrate a shift to seeing the museum and the meaning of its contents not as fixed and bounded, but as contextual and contingent.”14 Diese Neuerungen waren Teil einer breiten Entwicklung in vielen kulturwissenschaftlichen Disziplinen, die in den 1980er-Jahren Grundsatzfragen an die Repräsentation stellten: Wer repräsentiert wann wen warum und wofür? Diese Prozesse leiteten den reflexive turn ein, der dazu führte, dass sich Museen nicht mehr als objektiv und außerhalb der Zeit stehend verstanden, sondern als Teil eines kulturellen Systems der Produktion von Sichtbarkeit, Wissen und Identität. Postkoloniale und feministische Kritik führte zu heftigen Debatten zu Fragen des Ausstellens und der Beteiligung beziehungsweise Teilhabe von bislang nicht repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen an der Museumsarbeit. Die theoretischen Debatten verschränkten sich in ambitionierten Museen mit der Museumspraxis. Beide Seiten, die Museum Studies wie die Museumslandschaft, differenzierten ihre Methoden und sind lebendige, oft auch friktionsreiche Felder der Auseinandersetzung über Kultur, Bildung und Öffentlichkeit: Außer Frage steht die bedeutende Rolle der Museen in und für verschiedene Gesellschaften. Wie sie diese spielen sollen, bleibt in Theorie und Praxis ein umkämpftes Terrain.
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Aktuelle Literaturauswahl
Graf, Bernhard / Möbius, Hanno (Hg.), Zur Geschichte der Museen im 19. Jahrhundert 1789 – 1918, Berlin 2006.
Hartung, Olaf, Kleine deutsche Museumsgeschichte. Von der Aufklärung bis zum frühen 20. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2010.
Kratz-Kessemeier, Kristina / Meyer, Andrea / Savoy, Bénédicte (Hg.), Museumsgeschichte. Kommentierte Quellentexte 1750 – 1950, Berlin 2010.
Macdonald, Sharon (Hg.), A Companion to Museum Studies, Oxford 2006.
MacGregor, Arthur, Curiosity and enlightenment. Collectors and collections from the sixteenth to the nineteenth century, New Haven / London 2007.
Savoy, Bénédicte (Hg.), Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701 – 1815, Mainz 2006.
Te Heesen, Anke, Theorien des Museums zur Einführung, Hamburg 2012.
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Anmerkungen
2 Vergo, Peter, Introduction, in: ders. (Hg.), The New Museology, London 1989, S. 1 – 5, S. 3.
3 Ebenda, S. 3.
4 Desvallés, André, Konvergenzen und Divergenzen am Ursprung der französischen Museen, in: Gottfried Fliedl (Hg.), Die Erfindung des Museums. Anfänge der bürgerlichen Museumsidee in der Französischen Revolution, Wien 1996, S. 65 – 130, S. 108 (zitiert nach: Michelet, Jules, Historie de la Révolution française, Livre XII, chapitre 7).
5 Dazu: Fliedl (Hg.), Die Erfindung des Museums, 1996; MacClellan, Andrew, Inventing the Louvre. Art, Politics, and the Origins of the Modern Museum in Eighteenth-Century Paris, Berkeley / Los Angeles / Paris 1999.
6 Dazu: MacGregor, Arthur, Curiosity and enlightenment. Collectors and collections from the sixteenth to the nineteenth century, New Haven / London 2007; Pomian, Krzysztof, Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 2001; Stafford, Barbara Maria, Kunstvolle Wissenschaft. Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung, Amsterdam 1998; te Heesen, Anke / Spary, E. C. (Hg.), Sammeln als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, Göttingen 2001.
7 Pommier, Édouard, Wien 1780 – Paris 1793: Welches der beiden Museen war wohl das revolutionärste?, in: Bénédicte Savoy (Hg.), Tempel der Kunst. Die Geburt des öffentlichen Museums in Deutschland 1701 – 1815, Mainz 2006, S. 55 – 65, S. 61.
8 Möbius, Hanno, Konturen des Museums im 19. Jahrhundert (1789 – 1918), in: Bernhard Graf / Hanno Möbius (Hg.), Zur Geschichte der Museen im 19. Jahrhundert 1789 – 1918, Berlin 2006, S. 11 – 22, insbes. S. 12.
9 Haupt, Herbert, Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring. Hundert Jahre im Spiegel historischer Ereignisse, Wien 1991, S. 198f.
10 Offe, Sabine, Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich, Berlin / Wien 2000.
11 Vgl. auch Bezzola, Tobia / Kurzmeyer, Roman (Hg.), Harald Szeemann – with by through because towards despite. Catalogue of all Exhibitions 1957 – 2005, Wien / New York 2007.
12 Savoy, Bénédicte, Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2000.
13 Fyfe, Gordon, Sociology and the Social Aspect of Museums, in: Macdonald, Sharon (Hg.), A Companion to Museum Studies, Oxford 2006, S. 33 – 49.
14 Macdonald, Sharon, Expanding Museum Studies: An Introduction, in: dies. (Hg.), A Companion to Museum Studies, 2006, S. 1 – 12, S. 3.
1.2 Ausstellungsgeschichten. Ansätze der Historisierung im Kunstfeld
Luisa Ziaja
Die systematische Historisierung des Kuratierens und Ausstellens ist ein relativ rezentes Phänomen (kunst-)wissenschaftlicher Forschung. Noch in den späten 1990er-Jahren spricht Mary Anne Staniszewski in ihrer wichtigen Analyse moderner Ausstellungspraktiken mit dem Titel The Power of Display. A History of Exhibition