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des Kolonialismus zu einer kulturell erfahrbaren Hegemonie im Sinn Gramscis, deren Selbstverständlichkeit man sich kaum entziehen kann. Auch nach Ende der politischen Kolonialherrschaft bleibt diese Hegemonie im kulturellen Sinn bestehen – sie wird zur ↗ ‚Kolonialität‘ Antonio QuijanosQuijano, Aníbal3.

      Der Hegemoniebegriff kann auch erklären, warum koloniale Werte und Abwertungen auch nach Erreichen der staatlichen Unabhängigkeit bestehen bleiben anstatt bekämpft zu werden. Die Koloniale Überzeugungen sind tief kulturell verankerttiefe kulturelle Verankerung der kolonialen Überzeugungen führt dazu, dass sie auch in postkolonialer Zeit hegemonial bleiben. Denn

      „die Zustimmung wird durch die Beeinflussung des kolonisierten Subjekts durch den imperialen Diskurs erreicht, so dass eurozentrische Werte, Annahmen, Überzeugungen und Haltungen wie selbstverständlich als die natürlichsten oder wertvollsten akzeptiert werden. Die unvermeidliche Folge einer solchen Beeinflussung ist, dass das kolonisierte Subjekt sich selbst als peripher zu diesen eurozentrischen Werten versteht, während es gleichzeitig deren Zentralität akzeptiert.“4

      Genau dieselbe Problematik findet sich nach NehringNehring, Andreas und WiesgicklWiesgickl, Simon auch in kirchlichen und theologischen Kontexten:

      „Für die Theologie ergeben sich hier wichtige Ansatzpunkte für die Frage, wie Menschen anderer Religionen und Kulturen ein missionarisches Christentum der Europäer für sich annehmen konnten, was sie davon übernommen haben und wo sie Formen entwickelt haben, in denen Widerstand gegenüber den westlichen Missionaren möglich gewesen ist.“5

      In den allermeisten Kolonialsystemen europäischer Provenienz waren Kirche und Mission zentrale Akteurinnen, die sich die koloniale Herrschaft zunutze machten und sie zugleich häufig legitimierten. Die zeitgenössische Theologie untermauerte dabei in der Regel die jeweilige Argumentation, wenngleich es natürlich auch theologischen Widerstand zu bestimmten Auswüchsen des Kolonialismus oder sogar zum kolonialen Projekt gab. So kritisiert → Musa DubeDube, Musa

      „die koloniale Ideologie der Unterdrückung, die ihre Opfer als Menschen charakterisiert, die aus ihrer eigenen schrecklichen Unzulänglichkeit errettet werden müssen. Dieses koloniale Konstrukt stellt den Westen weiterhin als Zentrum aller kulturellen Errungenschaften dar, ein Zentrum mit einem angeblich erlösenden Impuls, während es alle anderen Kulturen zu einem Projekt der Zivilisation, der Christianisierung, der Assimilation und der Entwicklung degradiert.“6

      Darüber hinaus lässt sich in der Theologie ein eigenes Interesse an einer eurozentrischen Hegemonie erkennen7. Gerade der katholische Zentralismus, der gleichzeitig zur Expansion des europäischen Kolonialismus aus verschiedenen Gründen strukturell vertieft und organisatorisch abgesichert wurde, schuf sich eigene Überzeugungssysteme von der Überlegenheit europäischer Wissenschaft allgemein und Theologie im Speziellen. Dieser ↗ Eurozentrismus überstand auch geisteswissenschaftliche Krisenzeiten wie den Humanismus, die Reformation, die Aufklärung und die Postmoderne weitgehend unbeschadet.

      So wird beispielsweise kritisch analysiert, dass Theologinnen und Theologen aus postkolonialen Kontexten, die einen eigenständigen Entwurf kontextueller Theologie vorlegen möchten, sich wie selbstverständlich mit den entsprechenden Diskursen in der europäischen Theologie befassen müssen, während es für die Theologie in Europa – auch in einer globalisierten Weltkirche – offenbar möglich zu sein scheint, theologische Diskurse, die als universal zu gelten beanspruchen ohne jede Bezugnahme zu den Theologien des Südens oder einen Dialog mit ihnen zu führen.

      Diese Selbstverständlichkeiten, die auf der eurozentrischen kolonialen Hegemonie beruhen, werden in der postkolonialen Kritik aufgelöst und dekonstruiert. Zur Entzauberung dieser Hegemonie tragen auch der Dialog mit anderen Wissenssystemen und Traditionen und das Aufgreifen kritischer und widerständiger ↗ Epistemologien bei. Während diese Formen des Widerstands und der Konstruktion alternativer Wissensformen Gegenstand des vierten und fünften Kapitels sein werden, steht im nächsten Kapitel die postkoloniale Kritik an den direkteren Formen der Unterdrückung und Ausbeutung im Vordergrund. Um die bekannte Formel von Antonio GramsciGramsci, Antonio aufzugreifen: „Staat = politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang“8. Ging es in diesem Kapitel vor allem um die Fragen der Hegemonie, so widmet sich das nächste eher dem Zwang.

      3 Machtbeziehungen

      Wenn GramsciGramsci, Antonio den Staat als eine mit Zwang abgesicherte hegemoniale Herrschaft betrachtet, so können auch der Kolonialismus und die ihm folgenden postkolonialen Herrschaftsverhältnisse als diskursiv oder hegemonial gerechtfertigte und durch äußeren Zwang aufrechterhaltene Machtbeziehungen analysiert werden. Die kolonialen Machtbeziehungen, die meist militärisch und polizeilich gesichert wurden, transformierten sich dabei im Lauf der Zeit, insbesondere nach der jeweiligen formellen staatlichen Unabhängigkeit der Kolonialgebiete, in vielfältige andere Machtverhältnisse, die politischer und wirtschaftlicher Art, rassistisch oder geschlechtsbezogen waren. Auch kirchliche und missionarische Machtasymmetrien setzen bis in die Gegenwart die kolonialen Herrschaftsstrukturen fort.

      Diese Machtbeziehungen werden nicht selten diskursiv verschleiert. In dieser Hinsicht bestehen selbstverständlich enge Beziehungen zwischen den Themen und Analysen dieses Kapitels und denen des vorangegangenen. Überschneidungen lassen sich daher nicht immer vermeiden. In diesem Kapitel stehen aber die äußeren, strukturellen, institutionellen und rechtlichen Aspekte der Kritik an postkolonialen Herrschaftsbeziehungen im Vordergrund. Postkoloniales Denken setzt sich eben – entgegen einem verbreiteten Vorwurf – nicht nur mit kulturellen und diskursiven Aspekten von Herrschaft auseinander, sondern zielt auch auf gesellschaftliche Verhältnisse, die sich eher auf einer strukturellen Ebene befinden. Das Zusammenwirken von Analysen auf struktureller und auf diskursiver Ebene verschafft den postkolonialen Studien hingegen einen Vorteil beim Aufdecken der komplexen und vielgestaltigen Herrschaftsformen, die der Kolonialismus herausgebildet, hinterlassen und weiterentwickelt hat.

      Nach dem Ende des Kolonialismus haben diese Strukturen nicht einfach überlebt, sondern sich transformiert – gerade auch unter dem Einfluss des Widerstands und der Unabhängigkeitsbewegungen – und in vielfältiger Weise verformt. Die rein historische Erinnerung an die kolonialen Machtverhältnisse kann daher nur als ein Element ihrer Analyse dienen. Darüber hinaus nehmen die postkolonialen Studien auch weitere Methoden der Herrschaftsanalyse in Anspruch, um den komplexen und vielfach verschleierten Charakter der postkolonialen Machtstrukturen dekonstruieren zu können.

      Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden in diesem Kapitel verschiedene Aspekte und Perspektiven struktureller Machtausübung in postkolonialen KontextenAspekte und Perspektiven struktureller Machtausübung in postkolonialen Kontexten vorgestellt. Sie werden dabei wieder – wie schon im letzten Kapitel – mit Beispielen aus postkolonial-theologischen Arbeiten illustriert, um die Auswirkungen dieser Analysen auf theologische Methoden und Inhalte zu dokumentieren. Zugleich wird auch der Beitrag sichtbar, den kritische, postkoloniale Theologien für die Analyse von Herrschaftsbeziehungen und zugleich für den Widerstand gegen sie leisten.

      Neben offenen Herrschaftsbeziehungen, z. B. im politischen Bereich (3.1), finden sich strukturelle Abhängigkeiten auch in der Wirtschaft (3.2), in der Religion (3.3) und im Landbesitz (3.4). Fragen der Zugehörigkeit und der Exklusion weisen neben diskursiven auch strukturelle Aspekte auf (3.5). Weitere Perspektiven postkolonial-theologischer Analysen, die hier aufgezeigt werden, sind Gewalt gegen Frauen (3.6) und die Unsichtbarkeit in Unterdrückungsverhältnissen als Machtstrategie (3.7) Mit dem Begriff der Kolonialität der Macht (3.8) wird schließlich ein Zwischenfazit über die beiden eher analytisch und dekonstruktiv orientierten Kapitel 2 und 3 gezogen.

      Auch den Machtbeziehungen, die in diesem Kapitel nun im Mittelpunkt stehen, ist – ähnlich den im vorausgegangenen Kapitel untersuchten kulturellen und diskursiven Formen der hegemonialen Herrschaft – eine gewisse Selbstverständlichkeit oder sogar ‚Gottgegebenheit‘ eigen. Da die christliche Missionierung in der Regel ein wichtiges Element postkolonialer Kulturen darstellt, werden die bestehenden Machtverhältnisse nicht selten als religiös legitimiert oder sogar determiniert aufgefasst. Wie andere kulturell sanktionierte Strukturen anerkennt man sie jedoch wenigstens als natürlich oder historisch notwendig. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit


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