Postkoloniale Theologien. Stefan Silber

Postkoloniale Theologien - Stefan Silber


Скачать книгу
in einer Religionswissenschaft, die von solchen Voraussetzungen geprägt ist, der unmittelbare Vergleich zwischen dem Christentum und den ‚Religionen‘ der kolonisierten Völker in der Regel zugunsten der Religion der Kolonialherren ausging, mag da nicht mehr überraschen. Dieses Selbstverständnis der eigenen Überlegenheit deckt KwokKwok, Pui-lan Pui-Lan jedoch auch noch in der säkularisierten Religionswissenschaft und in der liberalen Religionstheologie, etwa bei John Hick, auf. Dessen Annahme, dass alle Religionen Antworten auf dieselbe transzendente Realität seien, verwischt nach ihrer Kritik die tatsächlichen Differenzen zwischen den Religionen und betrachtet sie wiederum aus einer scheinbar überlegenen westlichen Perspektive – nun des Pluralismus17.

      Ein solcher nivellierender Pluralismus wird den vielfältigen Differenzierungen in der Welt der ‚religiösen‘ Phänomene nicht gerecht: „Statt unser Denken auf das liberale Paradigma des religiösen Pluralismus zu bauen, müssen wir eine postkoloniale Theologie der religiösen Differenz in den Blick nehmen“18, schreibt KwokKwok, Pui-lan. In dieser Theologie stehen dann nicht mehr ‚Religionen‘ als essentialisierte und abgegrenzte Größen im Blickpunkt, sondern die Differenzen, die sich zwischen den Erfahrungen von Menschen aus unterschiedlichen kulturellen, weisheitlichen, lebensweltlichen und religiösen Kontexten ergeben.

      Zugleich richtet eine postkoloniale Theologie der Religionen ihren Blick nicht nur auf die Differenzen zwischen den religiösen Erfahrungen, Vorstellungen und Praktiken, sondern auch auf ihre Gemeinsamkeiten, Überlappungen und Komplementaritäten. So beschreibt der malaysische Jesuit Jojo FungFung, Jojo, der auf den Philippinen lehrt, die verschiedenen Erfahrungen des Geistes in der indigenen Welt, im Schamanismus, in der chinesischen Kultur, in der Bibel und in der säkularen Moderne und bezieht die unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander19. Auf diese Weise kann er herausstellen, dass es ungerecht und unzutreffend ist, dem Schamanismus und den indigenen Religionen Primitivität zu unterstellen und die säkulare Moderne (oder das Christentum) demgegenüber für fortschrittlich zu halten. Vielmehr zeigen sich für Fung in diesen verschiedenen Beschreibungen des ‚Geistes‘ unterschiedliche Ausdrucksformen der menschlichen Suche nach einer Beziehung mit dem in der Bibel beschriebenen Geist Gottes. Der Schamanismus muss daher aus christlicher Sicht für Fung respektiert und als Dialogpartner geschätzt werden.

      2.6 (Post-)Koloniale Genderbeziehungen

      Die bisher beschriebenen kolonialen Diskurspraktiken wirken auch im Bereich der Geschlechterverhältnisse, und sie werden insbesondere von der postkolonialen feministischen Theologie auch kritisch analysiert. ↗ Othering und ↗ Essentialisierung sind klassische Methoden, um aus der Perspektive einer männlichen Dominanz Frauen als das ‚andere‘ oder das ‚zweite‘ Geschlecht zu klassifizieren. Sie dienten auch zur Bestätigung europäischer Überlegenheit in kolonialen Kontexten.

      Auch binäre Geschlechtskonstruktionen tendieren dazu, dualistisch und zugleich exklusiv zu werden. Geschlechtliche Identitäten, die sich nicht in diesen Dualismus einordnen lassen, werden dann als abweichend oder unnatürlich, als Ausnahme oder schlichtweg als nicht existierend eingestuft. Die Beispiele in diesem Abschnitt kritisieren meistens eine patriarchal-dualistische Geschlechterkonstruktion ohne explizit auf die tiefere Problematik eines zweigeschlechtlichen Menschenbildes aufmerksam zu machen. Diese weiterführende Kritik wird von diesen feministischen Überlegungen jedoch mit angestoßen und muss immer im Blick bleiben1.

      Auch im Bereich der Kirchen und der Theologie Verschlechterte Beziehungen zwischen den Geschlechtern durch den Kolonialismushat der Kolonialismus die Beziehungen zwischen den Geschlechtern häufig grundlegend zum Schlechteren verändert. → Musa DubeDube, Musa, Theologin und Bibelwissenschaftlerin aus Botswana, zeigt, wie der Umgang der europäischen Missionare mit den vorkolonialen Gottesauffassungen in Botswana von patriarchalen und eurozentrischen Vorurteilen geprägt war und zu innerkulturellen Störungen der Beziehungen zwischen den Geschlechtern führen konnte2.

      Denn vor der Ankunft der MissionarInnen kannte die einheimische Bevölkerung ein System von höheren und niederen Gottheiten, die sie sich als genderneutral vorstellte. Auch die AhnInnen, die in diese spirituelle Struktur eingebunden waren, wurden mit einem geschlechtsneutralen Plural bezeichnet. Die „Priesterfiguren“3, die es in der Setswana-Kultur gab, konnten sowohl männlich als auch weiblich sein; Frauen hatten in der religiösen Tradition der ethnischen Gruppe der Batswana die Möglichkeit, ihre spirituellen Fähigkeiten in die Gemeinschaft einzubringen und sich mit göttlichen Wesen zu identifizieren und in Beziehung zu setzen.

      Durch die Mission und die Einführung einer ins Setswana übersetzten Bibel wurde Modimo, die ehemals geschlechtsneutrale höchste Gottheit, vermännlicht und mit dem biblischen Vatergott identifiziert. Die niederen Gottheiten wurden zu Dämonen erklärt, und die priesterlichen Rollen und Funktionen, die vorher beiden Geschlechtern offenstanden, in die Nähe eines Hexenkultes gerückt. Auf diese Weise veränderte der Kolonialismus die Geschlechterbeziehungen auf drastische Weise:

      „Der koloniale Prozess entfremdete die Batswana von ihren kulturellen Machtsymbolen und drängte ganz besonders die eingeborenen Frauen an den Rand; die Männer konnten sich zumindest mit Modimo, dem Gottvater identifizieren, und mit seinem Sohn, der das Oberhaupt der Kirche ist, so wie die Männer die Oberhäupter der Familie sind (Eph 5,22Eph 5,22 ).“4

      Diese theologisch-biblische Unterordnung von (männlichem) Gott und Dämonen, Männern und Frauen, Ehemännern und Ehefrauen wurde in der kolonialen Praxis durch Bildungs- und Verwaltungseinrichtungen, Wirtschaftsstrukturen und Handelssysteme, die nach europäischem Vorbild patriarchal organisiert waren, verstärkt. Auf diese Weise paarte sich die essentialistische Gottesauffassung eurozentrischer Theologie mit einem hierarchischen Geschlechterdualismus und der patriarchalen Organisation des Alltags zu einer fatalen ↗ epistemischen Gewalt, deren Opfer vor allem Frauen waren.

      → KwokKwok, Pui-lan Pui-lan nennt weitere Beispiele aus Asien und Afrika dafür, wie gesellschaftliche und kulturelle Geschlechterverhältnisse durch den Kolonialismus verschlechtert wurden5. Die von ihr zitierte philippinische Ordensfrau und Theologin Mary John MananzanMananzan, Mary John beschreibt die drastischen Auswirkungen der katholischen spanischen Mission auf den Philippinen für die Rolle der Frauen in der Gesellschaft und ihr Selbstverständnis:

      „Im 16. Jahrhundert brachte Spanien das Christentum und die westliche Zivilisation mit ihrer patriarchalen Prägung in die Philippinen. Die gleiche frauenfeindliche Grundstimmung, die in der westlichen Kirche herrschte, wurde auf die Inseln mitgebracht.“6

      Während Frauen auf den Philippinen vor der Ankunft der MissionarInnen weitgehend gleiche Rechte und gesellschaftliches Ansehen genossen wie Männer, wurden ihre Aufgaben durch den Kolonialismus auf den Bereich des familiären Haushalts beschränkt und ihre gesellschaftliche Teilhabe massiv beschnitten. Die Begründungen mit biblischen und theologischen Argumenten lagen der europäischen Kultur der Zeit entsprechend auf der Hand.

      Für die bolivianische Theologin Cecilia TitizanoTitizano, Cecilia „haben indigene Frauen unter der kolonialen Zivilisationsmission furchtbare Gewalt erlitten“7, da koloniale Ausbeutung und sexuelle Gewalt mit einer Dämonisierung indigener Kosmovision einherging, die weibliche Gottheiten sowie Lebenserfahrungen und Weisheit von Frauen gleichermaßen abwertete. Der Einsatz für die Würde und die Rechte der Frauen erfordert es für Titizano daher, Herausforderung des patriarchalen christlichen Vatergottesdas patriarchale christliche Gottesbild des Vatergottes herauszufordern.

      Stattdessen verweist sie auf die vorkoloniale weibliche Gottheit der Mama Pacha (oder Pachamama) als einer Identifikationsfigur sowohl für weibliche als auch für indigene Erfahrungswelt. Als ‚Erd-Mutter‘ (eine mögliche Übersetzung des andinen ‚Mama Pacha‘) integriert sie auch agrarische und ökologische Welt- und Schöpfungserfahrung. TitizanoTitizano, Cecilia beansprucht nicht, den christlichen Vatergott durch Pachamama zu ersetzen, sondern macht auf die Chancen eines ganzheitlicheren Gottesbildes aufmerksam und beschreibt die Zerstörungen, die durch die koloniale Mission angerichtet wurden.

      Eine andere postkoloniale Strategie der Wiederaneignung der weiblichen Aspekte der Gottheit beschreibt der peruanisch-mexikanische Theologe und Anthropologe Héctor LaportaLaporta, Héctor. Seine Feldforschungen in verschiedenen Marienwallfahrtsorten Lateinamerikas zeigten, dass die


Скачать книгу