Postkoloniale Theologien. Stefan Silber

Postkoloniale Theologien - Stefan Silber


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untergeordneten und abgewerteten Kanaaniterinnen die bedrohliche Macht besitzen, auch den stärksten israelitischen Mann zu besiegen: „Jede Frau kann Israel seiner Mannheit berauben.“10 Auch hier wird also die vordergründige Dualität der Veranderung im Text selbst ironisch gebrochen.

      KimKim, Uriah kontextualisiert die Redaktion des Richterbuchs in einer deutlich späteren Epoche, in der von einer militärischen Eroberung des Landes gerade nicht mehr die Rede sein konnte, und deutet die Funktion des Othering im Text mit dem Wunsch, die eigene Gruppenidentität zu stärken und mögliche Abweichungen von dieser Identität zu verurteilen11. Die im Richterbuch erzählten Gewalttaten aufgrund des Otherings können daher – in der Interpretation Kims – gerade nicht binäre Veranderungsdiskurse in der Gegenwart und mit ihnen einhergehende Gewalt legitimieren. Eine Interpretation des Richterbuchs in der Gegenwart muss diese Kontextualisierung ebenso berücksichtigen wie die andauernde Realität des Othering in postkolonialen Gesellschaften. In kolonialen oder postkolonialen Kontexten kann der Text sonst eine Bedeutung erlangen, die der ursprünglichen Intention des biblischen Textes nicht entspricht. KimKim, Uriah demaskiert dadurch zugleich die oberflächliche Inanspruchnahme der Landnahmeerzählungen durch die nordamerikanischen ErobererInnen und die Auswirkungen dieser Aneignung bis in die Gegenwart.

      Uriah KimKim, Uriahs postkoloniale Interpretation des Richterbuchs ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Theorien und Werkzeuge der postkolonialen Studien dazu dienen können, biblische Texte und die Theologie im Allgemeinen kritisch anzufragen. So können Diskurspraktiken aufgedeckt werden, die in den biblischen und theologischen Texten bereits durchscheinen und zur Legitimation von Veranderung und anderen Formen der Sicherung von Herrschaftsansprüchen in der Gegenwart dienen. Ebenso kann aber auch gezeigt werden, inwiefern ein bestimmter Gebrauch biblischer Texte missbräuchlich ist und in erster Linie koloniale Interessen durchsetzen soll.

      Othering tritt überdies nicht nur in kolonialen Kontexten auf, sondern wird in vielen anderen Prozessen der Ausübung und Legitimation von Macht eingesetzt, etwa auch in rassistischen, sexistischen und klerikalen Settings. Postkoloniale Methoden können insofern auch in anderen Kontexten, in denen nicht auf den ersten Blick ein ausdrücklich kolonialer Hintergrund zu erkennen ist, erhellend und befreiend wirken.

      2.2 Die Versteinerung von Identitäten

      Die Erfindung des Anderen wird noch verschärft, wenn dem/der Anderen – und damit gewissermaßen spiegelbildlich auch dem Subjekt selbst – klar umgrenzte, statische und scheinbar unveränderliche Identitäten zugeschrieben werden. Die negative Bewertung und Unterordnung des/der (erfundenen) Anderen unter den eigenen Dominanzanspruch wird auf diese Weise verfestigt und versteinert. Der/die Andere erscheint minderwertig, einfach weil er/sie einer Gruppe von Menschen zuzugehören scheint, die als minderwertig konstruiert wurde, damit der Machtanspruch, der gegenüber dieser Gruppe erhoben wird, als legitim erscheinen kann. Diesen Vorgang nennt man in der postkolonialen Theorie ↗ EssentialisierungEssentialisierung oder Naturalisierung1. Die kulturell zugeschriebene ‚Identität‘ wird so verstanden, als wäre sie auf ‚natürliche‘ Weise oder ‚essenziell‘, also ‚wesenhaft‘, mit einer bestimmten Menschengruppe und den zugehörigen Individuen verbunden.

      Insbesondere Rassismus und Sexismus in ihren vielfältigen Spielarten arbeiten mit diesen Essentialisierungen. Menschen mit bestimmten phänotypischen Merkmalen wie Haut- oder Haarfarbe bzw. Menschen, die einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden, wird eine kulturell bestimmte Identitätsformation zugeschrieben, die scheinbar allen Individuen dieser Gruppe eigen ist. In rassistischen und sexistischen Diskursen werden dazu häufig auch noch ‚wissenschaftliche‘ Analysen, Systematisierungen und Begründungen erarbeitet, so dass diese versteinerten Identitätszuschreibungen auch akademisch untermauert gelehrt und verwendet werden.

      Rassismus und Sexismus wurden als wichtige Instrumente kolonialer Herrschaft eingesetzt und stellen auch in der Gegenwart zentrale Elemente postkolonialer kultureller Kontexte dar (vgl. Kapitel 2.3 und 2.6). Darüber hinaus bieten sich kulturelle, ethnische oder nationale Identitäten als Material für die Versteinerung an. Die Theologin → Namsoon KangKang, Namsoon, die aus Korea stammt und in den USA lehrt, zeigt etwa, dass in der Theologie ein essentialistisches Bild von Asien und asiatischen Theologien konstruiert wurde. Mit ausdrücklichem Bezug auf Edward SaidSaid, Edward schreibt sie:

      „Das Bild des Orients neigt dazu, unbeweglich, eingefroren, und auf ewig festgelegt zu sein; deshalb wird die Möglichkeit der Transformation und Entwicklung des Orients geleugnet.“2

      Essentialistische GegenstrategieDer kolonialistischen Abwertung Asiens und des (essentialisierten) Asiatischen entspricht dann eine von KangKang, Namsoon ebenfalls kritisierte essentialistische Gegenstrategie, in der die asiatische Theologie „glorifiziert, mystifiziert und idealisiert [wird] als die Weisheit des Ostens“3. Asiatische Theologie erscheint in dieser Gegenstrategie ebenso als festgelegt und vereinheitlicht: Bestimmte mystische oder weisheitliche Beispiele asiatischer Theologien werden als Paradigma oder als Wesen ‚der‘ asiatischen Theologie konstruiert und als ‚Anderes‘ des rationalen und diskursiven Europa festgelegt. Dies wird laut Kang „sowohl von den Menschen der westlichen Halbkugel als auch von den Asiaten selbst“4 so praktiziert.

      Asiatische TheologInnen, die nicht diesem westlich-mystischen Klischee entsprechen, sondern ‚westliche‘ theologische Methoden anwenden, können dann schnell als entfremdet oder kolonialisiert denunziert werden. Insbesondere der Feminismus kann so als etwas ‚Nichtasiatisches‘ ausgeschlossen werden, sowohl von ‚asiatischer‘ wie von ‚westlicher‘ Seite5. Hier bezieht KangKang, Namsoon sich ausdrücklich auf die feministisch-postkoloniale Theoretikerin Chandra Talpade MohantyMohanty, Chandra Talpade, die bereits 1984 darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es Menschen aus Asien gerade auch im akademischen Kontext schwer gemacht wird, im Westen oder dem Westen gegenüber eine Identität einzunehmen, die nicht mit der klischeehaften Vorstellung des Asiatischen übereinstimmt6.

      Aber auch in der ‚westlichen‘ Feministischen Theologie deckt KangKang, Namsoon essentialistische Herangehensweisen auf: Anhand einer Arbeit von Rosemary Radford RuetherRuether, Rosemary Radford aus dem Jahr 1998 zeigt Kang, wie Ruether „durch die Erwähnung verschiedener individueller feministischer TheologInnen im Westen“ „die Falle der Verallgemeinerung zu vermeiden sucht“7, dann aber bei der Darstellung der Feministischen Theologie des Globalen Südens genau in diese Falle tappt, indem sie die individuellen Theologinnen in den Kategorien Lateinamerika, Afrika und Asien namenlos verschwinden lässt.

      Innerhalb der Theologie in Asien selbst können Frauen und ihre gesellschaftliche Rolle ebenfalls essentialisiert erscheinen:

      „Im asiatischen theologischen Diskurs über die Frauen, zum Beispiel, werden die Frauen als reine Opfer oder sich befreiende Persönlichkeiten dargestellt, die über all den Schmerz und das Leid mit einer verblüffenden, erlösenden Kraft hinauswachsen.“8

      Frauen als Täterinnen, Frauen als Angehörige der Machtelite oder in anderen gesellschaftlichen Rollen kommen dagegen nicht in den Blick. Auch ihre kulturellen, ethnischen, nationalen und klassenbezogenen Differenzen und persönlichen, individuellen Eigenschaften bleiben unberücksichtigt: „Die asiatischen Frauen werden einseitig als Opfer betrachtet und jedwede historisch-kulturelle Eigenart wird ihnen aberkannt.“9 Dagegen müssten sowohl die interne Diversität der Gruppe ‚asiatische Frauen‘ als auch die Vielfältige Beziehungen von Ähnlichkeiten und Differenzenvielfältigen Beziehungen von Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen ‚asiatischen Frauen‘ einerseits und ‚nichtasiatischen Frauen‘ bzw. ‚asiatischen‘ und ‚nichtasiatischen Männern‘ andererseits Berücksichtigung finden.

      So kritisiert KangKang, Namsoon beispielsweise auch den Theologen Aloysius PierisPieris, Aloysius aus Sri Lanka, der die Erfahrung der Armut und die Vielfalt der Religionen als zwei gemeinsame Nenner der asiatischen Theologie ausmacht10. Andere Herausforderungen in asiatischen Kontexten, die sich nicht mit diesen beiden großen Kategorien in Verbindung bringen ließen, könnten so nicht Gegenstand einer ‚asiatischen Theologie‘ im Sinn dieser Definition sein.

      Das Aufgreifen einer essentialistischen Vorstellung von ‚der asiatischen Theologie‘ durch TheologInnen aus Asien wird dabei von KangKang, Namsoon ausdrücklich nicht verworfen,


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