Postkoloniale Theologien. Stefan Silber

Postkoloniale Theologien - Stefan Silber


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mit einer bestimmten ‚Rasse‘ verbunden“ ist10.

      Auch Achille MbembeMbembe, Achille verbindet die Eroberung Amerikas, den Sklavenhandel, den europäischen Rassismus und die Entstehung der Moderne zu einer Einheit, die ihre Konsequenzen bis in die Gegenwart nach sich zieht:

      „In mehrfacher Hinsicht ist unsere Welt, auch wenn sie das nicht zugeben möchte, bis heute eine ‚Welt der Rassen‘ geblieben. Der Rassensignifikant ist immer noch die unumgängliche, wenngleich gelegentlich bestrittene Sprache der Darstellung des Selbst und der Welt, des Verhältnisses zum Anderen, zum Gedächtnis und zur Macht. Die Kritik der Moderne wird unabgeschlossen bleiben, solange wir nicht verstanden haben, dass ihre Entstehung mit dem Erscheinen des Rassenprinzips und der langsamen Umwandlung dieses Prinzips in die privilegierte Matrix der Herrschaftstechniken zusammenfällt.“11

      In der kolonialen Missionsgeschichte wurde diese rassistische Deutung der Welt aufgegriffen und durchzog die missionarische Praxis. Richard HölzlHölzl, Richard zeigt in einer missionsgeschichtlichen Untersuchung, wie deutsche AfrikamissionarInnen in verschiedenen Epochen des deutschen Kolonialismus zwar unterschiedlichen Gebrauch von rassistischen Vorurteilen machten, jedoch nie frei vom Rassismus waren12.

      Ein wesentliches Element spielte dabei über die Jahrhunderte hinweg eine Rassistische Interpretation der Noah-Geschichterassistische Interpretation der Noah-Geschichte: Weil Noah nach Gen 9,20-27Gen 9,20-27 seinen Enkel Kanaan (und mit diesem seinen Sohn Ham) verflucht und in Gen 10,6Gen 10,6 Ham zum Stammvater einiger afrikanischer Völker erklärt wird, argumentierten viele Theologen seit dem 16. Jahrhundert, dass der Fluch Noahs die Menschen Afrikas insgesamt getroffen habe.13

      HölzlHölzl, Richard zitiert einen Reisebericht des Spiritaner-Superiors Anton HornerHorner, Anton (1827–1880), der – aus heutiger Sicht – drastische Rassismen enthält:

      „Unter den fünf Welttheilen ist ohne Widerrede Afrika der unglücklichste und verlassenste. […] Von Cham, Noe’s zweitem Sohne bevölkert, liegt jener Welttheil noch heute unter dem schweren Druck des Vaterfluches.“14 „Die schwarze Farbe der Nachkommen Chanaan’s bezeugt noch, daß ihre Rasse schon im Anfang vom Zorn des Himmels getroffen worden.“15

      Durch die Mission und die erhoffte Taufe lassen sich nach Ansicht dieser Missionare die fatalen Folgen des biblischen Fluchs ‚erlösen‘, jedoch nicht die angenommene und behauptete Minderwertigkeit der Menschen Schwarzer Hautfarbe beseitigen.

      Späteren AkteurInnen attestiert HölzlHölzl, Richard zwar eine vorurteilsfreiere Annäherung durch ethnografische Untersuchungen. Der Rassismus nahm aber dann andere Formen an, indem beispielsweise Einzelbeobachtungen unter bestimmten afrikanischen Völkern generalisiert, essentialisiert und „aus der sozialen Interaktion von Beobachter und Beobachtetem gelöst und als zeitlose Andersartigkeit konstruiert“16 wurden.

      Auch scheinbar positive und wohlwollende Beschreibungen können dabei eine rassistische Schieflage beinhalten. HölzlHölzl, Richard zitiert den Reisebericht des Missionsbenediktiners Alfons AdamsAdams, Alfons von 1899:

      „Wenn ich bei Gelegenheit die Wahehe mit ihrem kühnen Gesichtsausdruck und ihren kräftigen Gestalten in fröhlicher Unterhaltung beim Feuer am Boden hockend oder auf der Kuhhaut liegend einen Krug Bier nach dem andern vertilgen sah, mußte ich unwillkürlich an unsere Heldenvorfahren, die Germanen, denken, die den zivilisierten Römern schon allein durch ihren gewaltigen Durst imponierten.“17

      Der Verweigerung der ZeitgenossenschaftVergleich mit den Germanen ist hier zwar schmeichelhaft gemeint, reproduziert jedoch nicht nur ein klassisches ↗ Othering, sondern verweigert durch die Parallelisierung mit ‚unseren Vorfahren‘ die Gleichwertigkeit durch Zeitgenossenschaft. Diese Praxis wird in der kritischen Ethnografie als „denial of coevalness“18, also Verweigerung der Zeitgenossenschaft, gekennzeichnet.

      In einer späteren Epoche identifiziert HölzlHölzl, Richard bei den MissionarInnen einen selbstkritischeren und verdeckten „Rassismus hinter vorgehaltener Hand“19 nach einem Konzept von Homi BhabhaBhabha, Homi, in dem die Abwertung afrikanischer Menschen nicht mehr offen ausgesprochen oder gar theologisch begründet wurde, sondern „mit den Mitteln des Unausgesprochenen, der Ironie und der Beiläufigkeit“20 so in den Diskurs eingebracht wurde, dass Vorurteile und Stereotypen nicht mehr explizit benannt werden mussten, sondern als bekannt vorausgesetzt und so indirekt abgerufen werden konnten. Äußerst aufschlussreich für diesen Aspekt sind die Analysen einiger Fotografien aus missionarisch-kolonialen Kontexten des 20. Jahrhunderts, mittels derer HölzlHölzl, Richard die in den Bildkompositionen erkennbaren rassistischen Beziehungen und Vorstellungen aufdeckt21.

      Der Begriff des Rassismus ist in der Gegenwart einigen Erweiterungen und Präzisierungen unterworfen. Fabian LehrLehr, Fabian, deutsch-österreichischer Marxist, macht in einer kritischen Analyse etwa darauf aufmerksam, dass gerade in Europa Rassismus sich nicht nur im Verhalten Schwarzen Menschen gegenüber äußert22.

      Dies ist eine wichtige Ergänzung zu den antirassistischen Überlegungen im Postkolonialismus, da diese sich häufig an den Beziehungen zwischen Menschen aus Europa und aus Afrika und den anderen Kolonialstaaten orientieren sowie Menschen gegenüber, die durch den internationalen SklavInnenhandel in andere Regionen und Kulturkreise entführt wurden. Lehr zeigt hingegen, dass daneben ein kulturell tief verwurzelter Rassismus in den westeuropäischen Staaten besteht, der sich gegen Menschen aus Osteuropa richtet, und der seine Ursprünge mindestens bereits im Mittelalter habe. Rassistische Vorurteile gegenüber Menschen aus dem ehemaligen ‚Ostblock‘ (auch dieser Begriff enthält eine essentialistische Veranderung) weist er bis in die Gegenwart nach.

      Gleichgültig, ob man mit Lehr diese Erweiterung der Rassismuskonzeption vornehmen möchte, verweist sie doch darauf, dass eine einseitige Festlegung des Rassismusbegriffs auf Beziehungen zwischen Menschen bestimmter Hautfarbe ebenfalls essentialisierende Züge annimmt und in der Gefahr ist, selbst rassistische Positionen zu besetzen. Antirassistische Analysen aus postkolonialen Studien und Theologien können insofern auch die Beziehungen zwischen anderen Menschen, die essentialistisch verschiedenen sozialen Gruppen zugeordnet wurden, erhellen. Sie machen an ihrer Wurzel häufig auf das Problem der Konstruktionen europäischer Überlegenheit aufmerksam.

      2.4 Konstruktionen europäischer Überlegenheit

      Die Erfindung der Anderen und die ↗ Essentialisierung ihrer Identitäten standen im Zeitalter des europäischen Kolonialismus häufig im Dienst der Konstruktion europäischer Überlegenheitsansprüche in zahlreichen kulturellen Bereichen. Gerade auch europäische Wissenschaften und Rationalität galten als überlegen im Vergleich zu denjenigen außereuropäischer Kulturen1.

      Ein solcher Überlegenheitsanspruch lässt sich auch heute noch identifizieren. Inzwischen wird er selten in einem geografischen Sinn auf Europa bezogen. Jedoch gelten in einem kulturellen und historischen Sinn auch heute noch europäische Denktraditionen, von der Antike über die Renaissance und die Aufklärung bis in die Postmoderne als universal wegweisend. Häufig wird dieses europäische Denken immer noch für weiter fortgeschritten, rationaler, kritischer und effizienter als die Denktraditionen anderer geografisch-kultureller Räume gehalten.

      Es tritt zudem mit dem Anspruch der Universalität auf. Die genannten europäischen Denktraditionen werden nicht mehr als europäisch im Sinn einer regionalen kulturellen Prägung, sondern als universell, der Menschheit gehörig und der Realität angemessen eingestuft2. Ihre europäische Herkunft wird dabei – in einem historischen Sinn – oft nicht geleugnet, dient aber nicht ihrer kulturellen Kontextualisierung, sondern in einem Zirkelschluss als Ausweis der europäischen Überlegenheit, da diese scheinbar universale Rationalität eben ihre historischen Wurzeln in Europa besitze.

      Als Beispiel für einen solchen Zirkelschluss führt der aus Deutschland stammende und in den USA lehrende Theologe → Jörg RiegerRieger, Jörg eine Überlegung von Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich an, der die politische Überlegenheit der Europäer in den Kolonien als Beleg für die bessere Entwicklung ihrer Kultur und für die Richtigkeit ihrer Religion wertete: Angesichts der gewaltigen Überlegenheit der christlichen NationenÜberlegenheit der christlichen Nationen in Hinblick auf Zivilisation und Macht benötigten die zeitgenössischen Missionare nach


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