Europäische Regionalgeschichte. Martin Knoll
sich mit Region als Konzept und historischem Gegenstand beschäftigt, wird in Quellensprache und Forschungsliteratur des deutschsprachigen Raumes vor allem auf zwei Begriffe stoßen: Land und Region. Der lateinische Regionsbegriff wurde schon in der Antike in Bezug auf geografische Einheiten verwendet und bedeutete „Richtung“, „Lage“, „Grenze“, „Gegend“, „Landschaft“ oder auch „Stadtbezirk“ (Stauber 2009, 858; Stowasser 1997, 434). Zunächst wurde der Terminus insbesondere auf die Stadtviertel Roms bezogen, dann auf die Binnenlandschaften Italiens. Als Beispiel für eine solche geografische Verwendung heißt es bei Julius Caesar (100 v. Chr.– 44 v. Chr.) etwa:
Auximo Caesar progressus omnem agrum Picenum percurrit. cunctae earum regionum praefecturae libentissimis animis eum recipient exercitumque eius omnibus rebus iuvant. […] item ex finitimis regionibus quas potest contrahit cohortes ex dilectibus Pompeianis (Caesar 2014, Liber I, 15, 26–29).2
Řezník weist in seinen Reflexionen zu Regionalität als historischer Kategorie darauf hin, dass die Frequenz des Regionsbegriffs in der deutschen Sprache einer bemerkenswerten Entwicklungskurve folgt.
Das „Digitale Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart“ (DWDS) ist ein für Historikerinnen und Historiker immens hilfreiches Tool aus den digitalen Geisteswissenschaften bzw. Digital Humanities. Im Falle des Suchwortes „Region“ zeigt es den interessanten Befund auf, dass der Begriff im Deutschen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein keine Rolle spielt, dass seine Verwendung Mitte des 19. Jahrhunderts einen ersten Peak erreicht und dass die eigentliche Karriere des Substantivs „Region“ im Deutschen mit dem Zweiten Weltkrieg beginnt.
Abb. 3 Wortverlaufskurve „Region“ im DWDS (Quelle: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache 2020, dwds.de)
Um diese quantifizierende Feststellung durch einen qualifizierendhermeneutischen Zugang zu ergänzen, um ins 18. Jahrhundert, also die Zeit des ersten merklichen Aufkommens des Begriffs, vorzustoßen, bieten sich die monumentalen enzyklopädischen Werke der Zeit an, in denen immense Bestände zeitgenössischen Wissens gesammelt und dokumentiert wurden.
Historische Lexika als Quellen
Wenn solche Nachschlagewerke herangezogen werden, ergeben sich unterschiedliche Befunde. Johann Heinrich Zedlers (1706–1751) Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste (Johann Heinrich Zedlers Universal-Lexicon Online, zedler-lexikon.de), ein Mammutwerk, zwischen 1731 und 1754 in mehr als 60 Bänden verlegt, widmet der Kategorie „Region“ keinen eigenen Artikel. Aber im 1737 erschienenen sechzehnten Band wird dem Begriff „Land“ ein Beitrag gewidmet. Land wird hier sowohl mit dem lateinischen terra als auch regio übersetzt.
Land – Regio – Terra
Dominant ist in diesem Lemma eine geografische Definition im Sinne geomorphologischer und klimatischer Bedingungen, die bestimmte Landnutzungen erlauben. Allerdings nimmt der Artikel eine Zweiteilung vor. Er unterscheidet zwischen dem natürlichen und dem politischen Status eines Landes. Ersterer beinhaltet die bereits genannten „natürlichen“ Bedingungen, Letzterer Faktoren wie den Bevölkerungsreichtum, Lage und Ausstattung von Siedlungen sowie Militärisches.
Ein weiteres, breit rezipiertes lexikalisches Großunternehmen des deutschen Sprachraumes wurde von Johann Georg Krünitz (1728–1796) begründet und erschien zwischen 1773 und 1858 in 242 Bänden (Oeconomische Encyclopädie Online, kruenitz1.uni-trier.de). Die Oekonomische Encyclopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft widmet dem Regionsbegriff ein eigenes, wenngleich sehr kurzes, Lemma (Bd.121/1812, 646).
Naturwissenschaftlicher Regionsbegriff
Region wird hier naturwissenschaftlich konzipiert als „1) Kreis, als Luftregion; 2) eine gewisse Gegend, der Erde, des Himmels, wie auch des menschlichen Körpers“ (Ebd.). Auf verschiedene Zusammenhänge (Atmosphäre, Erdoberfläche, Körper) angewendet, wird hier also vor allem der partikulare Charakter der Kategorie greifbar. Wesentlich ergiebiger ist auch im Krünitz das Lemma „Land“ (Bd. 59/1793, 396–404).
Land als Festland
Land wird definitorisch zunächst in drei Grundkategorien differenziert: Erstens Land als Festland im Gegensatz zu dem mit Wasser bedeckten Teil der Erdoberfläche im Sinne von lateinisch aridum, littus, terra, aber auch continens, im Französischen terre, continent. Zweitens als Festlands-Erdoberfläche in Abhängigkeit von der Landnutzung.
Landnutzung
Hier werden landwirtschaftlich nutzbares und ackerbaulich fruchtbares Land (lat. ager, arvum, fundus, solum; franz. terre), das Land im Gegensatz zur Stadt (lat. ager, campus, rus; franz. campagne, pays) sowie flaches Land im Gegensatz zum Gebirge unterschieden.
Herrschaft
Die dritte Grundkategorie repräsentiert einen politischen Landesbegriff, den eines durch herrschaftliches Wirken abgegrenzten Teils der Erdoberfläche. Land wird hier verstanden als ein „von einer ganzen großen Völkerschaft bewohnter und einem Ober=Herrn unterworfener Theil der Erdfläche, Lat. Provincia, Regio, Principatus, Regnum, Territorium; Fr. Contrée, Païs, Terre“ (Ebd., 398). Für die Leserinnen und Leser unserer Einführung ist der Befund nicht ohne Ironie, dass der Regionsbegriff in Form der lateinischen regio just hier erscheint, Region mithin einen politischen Landesbegriff repräsentiert, der die Kategorie Herrschaft (regio, regnum, rex, regis) in den Vordergrund rückt. Gerade die Regionalgeschichte, die nach eigenem Selbstverständnis Regionalität bevorzugt nach sozioökonomischen, sozialökologischen und kulturellen Kriterien konzipiert, verwendet einen Begriff, der dem Politischen entspringt.
Wie dem auch sei, das Lemma „Land“ der Krünitz’schen Enzyklopädie bietet interessante Lesefrüchte und es schließt mit einem Merkspruch für das Land, der auch für die Definition von Regionalität dienlich ist. Die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Land, sind in folgende Zeilen zusammengebracht:
Wo der Schiffer fährt ans Land, littus.
Wo zum Feldbau fettes Land, solum.
Wo der Bauer baut sein Land, agrum.
Wo der Bürger liebt sein Land, patriam.
Wo viel Viehzucht auf dem Land, ruri.
Wo der Herr beschützt sein Land, regionem.
Das erfreuet Stadt und Land, incolas (Bd. 59/1793, 404).
Den deutschen Sprachraum verlassend, sollte ein weiteres sehr wichtiges Lexikon des 18. Jahrhunderts erwähnt werden. Die Encyclopédie von Denis Diderot (1713–1784) und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717–1783) widmet der Region einen sehr umfangreichen Artikel. Auch hier findet zunächst ein naturwissenschaftlicher Wortgebrauch
Anwendung, zum einen in Bezug auf Höhenschichten der Atmosphäre, zum anderen auf die menschliche Anatomie, nämlich die Unterscheidung verschiedener Körpergegenden. Aber in der zweiten Hälfte des Artikels wird es für die hier angestrebte Regionsdefinition noch interessanter. Zum einen wird der äquivalente Gebrauch des Begriffs in verschiedenen europäischen Sprachen verdeutlicht: Für das Deutsche werden die Begriffe „Landschaft“ und „Land“ angeführt. Zum anderen findet sich hier eine im weitesten Sinne geografisch-politische Erklärung: Bezogen auf die Erde bezeichne der Begriff Region einen Ausschnitt, der von verschiedenen Völkern unter dem Dach einer Nation bewohnt werde. Dieser habe wiederum seine eigenen Grenzen und sei üblicherweise einem Monarchen oder Despoten unterstellt. Große Regionen könnten wiederum in kleine Regionen und diese wiederum in kleinste