Die Suche nach der Identität. Hans-Peter Vogt
Die Steine, die ich aus Südafrika kenne sind klarweiß. hellgelb oder milchig, wenn sie nicht lupenrein sind. Die hier sind lupenrein.
Das sehe sogar ich. Und sie sind von einer Härte, die ich bei den südafrikanischen Steinen noch nicht erlebt habe.“ Dann nahm er das Kurzschwert in die Hand. „Mann“, sagte Trifter, „schau dir dieses Ding an.“ Er ritzte mit dem Stein leicht über das Glas.
„Das sind mindestens hundert Karat. Ich weiß nicht, ob es einen Markt dafür gibt. Ich kenne solche Diamanten bisher nicht. Aber der Stein sollte hundert Millionen bringen.“ Er zog die Klinge aus der kostbaren Scheide und prüfte die Schärfe. Er war beeindruckt. Das war bester Stahl. Er besah sich den Dolch mit dem Schlangenleder und dem massiven Goldknauf und er befühlte die Goldfäden in der Weste, die gepunzten Goldbleche und die in den Stoff eingewebten Topase und Smaragde. Er schüttelte verwundert den Kopf. Du bist reich“, sagte er zu Dennis, „du weißt es nur noch nicht.“
Dennis winkte ab. „Wenn wir das auf den Markt bringen, dann gibt es einen gewaltigen Run und viele Fragen. So wie damals in den USA in den Zeiten des Goldrauschs. Das will ich nicht. Vielleicht finden wir einen Sammler. Sehr diskret. Vorerst sollte es genügen, die Goldklumpen zu verkaufen. Außerdem gibt es hier noch ein paar schöne Steine. Er zeigte auf die Achate, die Topase und die Smaragde, die er aus den Innentaschen der Weste zog. Auch das sollte etwas bringen.
„Das Gold ist vermutlich um die fünfzigtausend wert“, meinte „der Dicke“, „die Steine… weiß ich nicht. Aber das kann man herausfinden. Wir werden das vorerst als Eigentum der Stiftung deklarieren, weil du offiziell noch tot bist. Dann können wir vorsichtige Recherchen anstellen. Das Gold ist kein Problem. Du kannst es an die Deutsche Gold und Scheideanstalt verkaufen. Die zahlen den Marktpreis. Aber Dennis, alles was du zum Leben brauchst, wird dir die Stiftung geben. Du kennst uns. Freunde helfen Freunden. Ohne zu fragen.“
Dennis nickte dankbar. „Gut. Die Weste, das Schwert und das Messer werden nicht verkauft. Die Diamanten auch nicht. Jetzt noch nicht. Das Gold und die anderen Steine kannst du zu Geld machen. Ich weiß nicht, was passiert. Ich will vorbereitet sein. Außerdem brauche ich eine neue Identität. Einen Pass. Ich lebe hier, also ist ein Pass eines Eurolandes am besten. Französisch, und so was, spreche ich aber nicht. Kommt also wahrscheinlich nur Deutschland in Frage. Vielleicht ist irgendwer gerade verstorben, dessen Identität ich übernehmen kann. Sauber und nach außen hin korrekt. Er muss mir wenigstens entfernt ähnlich sehen. Außerdem gibt es da noch das Problem mit den „Men in Black“. Sie haben mich damals gesehen. Sie haben mein Gesicht gesehen. Sie werden sich vielleicht an mich erinnern. Ich muss mein Aussehen ändern.“
„Übrigens… was ist aus der Sache damals geworden?“
Laura wollte in Gegenwart von Conny nicht viel darüber erzählen. „Sie haben nach uns geforscht, aber sie haben uns nicht gefunden. Nur José haben sie gefasst. Er hat nicht geplaudert, aber der arme Kerl hat das nicht überlebt. Mehr kann ich dir jetzt nicht erzählen.“ Sie sah Conny an. „Das dient deiner Sicherheit.“ Aber Conny hatte schon begriffen.
„Das sind eure Geschäfte. Ich habe meine Geschäfte. Du kannst das Dennis später erzählen.“
Dennis fragte auch „den Dicken“, „bin ich hier sicher?“ „Der Dicke“ nickte. „Absolut. Wenn du willst, werde ich einige Kids aus meiner Gruppe postieren. Das ist noch sicherer als Connys Leibgarde. Ich seh schon. Du willst uns dieses Mal erhalten bleiben.“ Dann sah er Dennis lange an. Er sah zu Laura. „Ich werd mal nach Begleitschutz telefonieren. Ich werde die Sachen in unseren Safe legen.“ Er schaute Laura an „… und ich werd’ mich jetzt verkrümeln. Ihr zwei habt euch sicher viel zu erzählen. Ich selbst werde bald wissen, was ich wissen muss. Ich muss ja nicht alles wissen.” Er schaute zu Conny und Trifter. „Lassen wir die beiden alleine.“
So ganz war das Dennis nicht recht, aber irgendwann musste er Laura alles erzählen. Also nahm er den Vorstoß „des Dicken“, wie er war, als Sprungbrett. Als Laura ihm zunickte, zog er sich mit ihr in „sein“ Zimmer zurück. Sie kuschelten sich auf das Bett.
3.
Sie lagen lange nebeneinander. Sehr lange.
Dann legte Laura ihre Hand vorsichtig und zärtlich in Dennis Gesicht, und sah ihn schweigend an. „Ich hab’ dich nie vergessen“, sagte sie. Es war der Beginn eines Geständnisses. „Was wird jetzt?“
Auch Dennis sah Laura lange an. Er berührte ihre Schulter. Er berührte ihre Lippen leicht mit seinen. Sie waren warm. Er spürte, dass Laura ihn begehrte. Das alte Gefühl brach wieder auf. Es hatte lange geschlafen. Dennis hatte zwei Jahre intensiv gelebt. Mit allen Sinnen. Er hatte vier Kinder gezeugt. Er hatte Liebe und inbrünstige Leidenschaft erlebt. Das hier war anders. Es sprang aus ihm heraus wie ein lang unterdrückter Wunsch.
Es war ihm egal, dass Laura sich zu einer Schönheit entwickelt hatte. Es war die Vertrautheit, die ihn mit Macht packte. Es waren die vielen schönen und auch gefährlichen Situationen, die sie gemeinsam erlebt hatten. Es war die lange Abwesenheit und vielleicht auch das latente Verlangen, das Dennis seit damals nie verlassen hatte. Jetzt war es zurück. Er würde festhalten, was er liebte.
Es war, als würde Laura seine Gedanken erraten. Auch sie hatte in den vergangenen zwei Jahren Männer gehabt. All das zählte nicht mehr. Sie liebten sich mit einer Inbrunst, die alles überragte und alles wegspülte, was jemals vorher war.
Hinterher lagen sie erschöpft nebeneinander. Sie atmeten immer noch schwer. Ihre Körper glänzten vor Schweiß. Sie glühten. Sie rochen nach ihrer Liebe.
Es dauerte nicht lange, dann liebten sie sich erneut. Es war ein gewaltiges Feuer, das da entfacht worden war und das sie hineinriss in einen Tunnel der Begierde. Mittendrin dachte Dennis einmal. „Danke, Patrick, danke.“
Danach fing er an zu weinen. Laura deckte sie beide zu. Sie hielt Dennis fest. Dennis zitterte. Es war viel mehr als nur Begierde gewesen. Es war, wie eine Wiedergeburt.
4.
Sie waren so miteinander beschäftigt, dass sie alles um sich vergaßen.
Sie liebten sich zum dritten Mal hintereinander. Sie hörten Conny wie in weiter Ferne üben. Manche Passagen immer wieder und immer wieder. Stundenlang. All das war weit weg von Ihnen. Am Abend stupste Laura Dennis an. „Ich hab’ Hunger“ sagte sie. „Will’ste auch was?“
Sie gingen in die Küche. Sie fanden Conny, die sich gerade was zu essen machte.
Conny lachte. „Da haben sich wohl zwei gefunden?“ Dennis nickte mit dem Kopf. „Ich mag Laura, seit ich sie das erste Mal gesehn’ habe, damals in der U-Bahn. Da ist sie die Treppe runtergehüpft und… .“ Er sprach nicht weiter. Er fasste Laura um die Taille und drückte sie an sich. „Wir haben Hunger. Hast du was für uns?“
Dennis entschied er sich für ein karges Mahl. Gekochter Reis mit ganz wenig Salz. Mehrere Stücke Obst. Stilles Wasser.
Conny lachte: „Ganz was uns der Arzt verordnet hat, was?“
Dennis schüttelte den Kopf. „Dort, wo ich war, da hatten wir Hirse, Maisbrot, viel Obst, Trockenfrüchte, Trockenfleisch und Frischfleisch. Es gab viele scharfe Gewürze und viele Kräuter, deren Namen ich nur in indianisch kenne und die es nur im Urwald gibt. Es gab Blüten, die man essen konnte. Es gab sogar Baumrinde und Käfer, die wir gegessen haben. Alles ohne Zusatzstoffe, ungeschält und unbehandelt. Wenig Salz. Das war sehr kostbar. Aber es gab braunen Zucker und ab und zu etwas Honig. Es war ein komplett anderes Essen. Ich muss aufpassen, dass ich davon“, er zeigte auf das Essen „nicht krank werde. Dort unten war ich in zwei Jahren nicht ein einziges Mal krank.“
Laura hatte Lust auf Honig Pops mit Milch. Dann aß sie Weißbrot mit Schinken und trank Tee dazu. Sie nahm Gurke und Tomate. Sie hatte richtigen Hunger. Dennis lächelte. Er strich ihr zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr im Eifer über die Augen gerutscht