Die Suche nach der Identität. Hans-Peter Vogt

Die Suche nach der Identität - Hans-Peter Vogt


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Abitur. Du weißt wohl nicht mehr, was Schule bedeutet?“

      „Oh doch“, hatte Dennis geantwortet, „aber anders, als du das denkst. Dort wo ich war, habe ich einige Schulen gegründet. Wir haben eine Schriftsprache entwickelt. Es wurde Schreiben, lesen und Rechnen unterrichtet. Für Erwachsene. Ich selbst habe so was wie eure Schule schon lange nicht mehr gesehn. Es gab anderes, das wichtiger war. Es war alles anders. Aber du bringst mich auf einen Gedanken.“

      „Ich bin offiziell tot. Ich kann mir auch nicht vorstellen, so eine offizielle Schule noch mal zu besuchen, mit all den Zwängen. Aber die Schule der Kids - wenn es sie noch gibt - die würde ich gern besuchen.“

      „Das ist kein Problem“, hatte Laura geantwortet. Bübchen, Moses und die anderen werden aus dem Häuschen sein, wenn sie dich wiedersehn’.“

      Laura blieb über Nacht. Das Bett war eng. Es war ihnen egal. Sie lagen beieinander.

      In dieser Nacht erzählte Dennis leise von seiner Reise zu den Théluan. Er war völlig offen und ehrlich. Er erzählte von Polia und der Königin. Er erzählte von seinen Kindern, die er geliebt hatte. Er erzählte von den Anden, dem Urwald, den Festen und den Kämpfen mit Puma, Bär und den Kriegern der Karancula. Er erzählte von der Steppe und auch von Handwerkern, den Abwassersystemen, den Adobebauten, den Hochzeiten, dem tiefen Winter, von den Steinen und von dem Gold.

      „Du musst eins verstehen“, hatte er am Anfang gesagt, „das was ich dir jetzt erzähle, kommt dir vielleicht vor wie ein Märchen. Alles ist wahr. Es war eine komplett andere Gesellschaft. Danach wirst du vielleicht verstehen, dass es schwer für mich ist, mich hier wieder einzuklinken. Eigentlich bin ich ganz froh, dass ich tot bin. Im Untergrund, mit den Kids, werde ich schnell wieder Fuß fassen. Ich bin froh, dass es euch gibt.“ Er fügte hinzu: „Ich bin froh, dass es dich gibt.“

      Laura hörte zu. Sie staunte. Sie streichelte die Narben in seinen Handflächen. Sie stellte ein paar mal Fragen. Sie ließ Dennis reden. Sie saugte Dennis Informationen auf und sie war dankbar, dass er ihr alles erzählte. Sie liebte ihn dafür, dass er seine Kinder geliebt hatte. Dennis hatte ihr erklärt: „Vielleicht ist das komisch für dich. Aber dort beginnen die Mädchen im Alter von 12 ihre Kinder zu kriegen. Sie haben in ihrem kurzen Leben 10, 12 und manchmal 15 Kinder. Einige sterben. Andere leben und erhalten die Art. Du kannst das nicht vergleichen mit heute. Alles ist reduziert auf eine Zeitspanne von etwa 30, 40 oder 50 Jahren Leben. Ich selbst wäre dort sicher nicht älter geworden.“

      „Manomann“, sagte sie gegen Ende. Das, was du erlebst hast, erleben andere ihr ganzes Leben nicht. Du kannst dankbar sein“. Dennis hatte genickt. „Ja ich kann dankbar sein. Ich bin Patrick sehr dankbar.“ Dann erzählte Dennis das erste Mal in seinem Leben von Patrick. „Das bleibt unter uns“, warnte er Laura. „Ich kann einiges kontrollieren, aber nicht alles. Ich bin nicht der Gott, den ich da unten gespielt habe. Dort hat mir Patrick das Leben gerettet. Hier ist die Welt anders.“

      Laura hatte genickt.

      Es wurde eine lange Nacht der Bekenntnisse. Denn auch Laura erzählte von sich. Von der Stiftung, von Allan und Susi. Von den Kids und von Connys Erfolgen. Sie erzählte Dennis auch von ihren Liebhabern. „Anders als bei dir, haben die mir nie etwas bedeutet. Das gehörte dazu, aber ich bin durch dich verwöhnt worden. Du warst nicht zu ersetzen, auch wenn wir vorher noch nie… .“

      5.

      Am nächsten Morgen ging Laura in die Schule. Es fiel ihr schwer, nach allem, was sie in dieser Nacht von Dennis gehört hatte. Dennis war dieser Schule längst entwachsen. Sie fühlte, dass sie eine Gefangene dieses Systems war. Dennis hatte das Privileg gehabt, all diesen Zwängen zu entwischen. Er hatte frei wie ein Vogel gelebt. Die Zwänge, die sich dort stellten, hatte er nur durch seine und die Kraft seines Bruders überwunden, und, das war Laura in dieser Nacht klar geworden, durch die Liebe zu den anderen Menschen. Nicht nur zu Polia oder der Königin. Es war die gegenseitige Liebe, die Dennis schon früher stets versprüht hatte. Er wirkte ansteckend. Sie war glücklich. Dieser Dennis. Er war etwas Besonderes. Sie würde es festhalten, dieses Glück, solange es ihr vergönnt war.

      Sie hatte Dennis vorgewarnt. „Heute Nachmittag habe ich zu tun. Die Stiftung hat viele Aufgaben. Ich kann mich nicht entziehen. Heute Abend bin ich wieder da.“

      Auch Conny ging zur Schule. Als sie mittags kam, setzte sie sich erst mal hin, und büffelte englische und französische Vokabeln. Sie hatte Algebra und Rechenaufgaben. Dennis hatte ihr eine Weile zugeschaut und sich dann unsichtbar gemacht. Um halbvier kam Conny in Dennis Zimmer. Sie sah, dass Dennis ihr ein leeres Heft und verschiedene farbige Stifte geklaut hatte. Er zeichnete.

      Sie setzte sich neben ihn und schaute ihm zu. Sie ließ sich erklären, was es war. Pyramiden, Lamas, Bär, Trachten, Masken und Krieger. Dennis war nicht der beste Zeichner, aber er hatte Talent. Er hatte das nie zuvor gemacht. Er kämpfte mit der Technik. Aber die Figuren und Gegenstände flossen klar und deutlich aus seiner Vorstellung auf das Papier.

      Dann sagte Dennis: „Noch etwas. Die Musik. Hör mal zu… .“ Er erzählte von den Musikgruppen, von den Instrumenten, von schrillen, schrägen, lustigen, fröhlichen und kämpferischen Liedern. Er erzählte von den Festen und den Hochzeiten. Von Tanz und Orgien. Er merkte, dass er Conny faszinierte.

      Dann hatte Dennis eine Idee. "Du hast doch eine Geige hier." Hol sie mal her. Dann begann er Conny leicht zu dirigieren. Spiel irgendein Stück. So jetzt versuch das mal fröhlicher. Noch fröhlicher. Steigere das bis zur Ekstase… und jetzt mach es traurig, wie bei einem Todesfall…

      Sie wurden unterbrochen. Trifter ließ sich ankündigen.

      Er hatte schnell gehandelt. „Das Gold ist weg“, sagte er. „Die Achate, die Topase und die Smaragde auch. Das waren wertvolle Steine. Alles zusammen gerechnet hat das 160.000 gebracht. Viel mehr, als ich vermutet hatte. Die Qualität ist einmalig. Die Händler waren begeistert. Sie haben gefragt, wo das her ist. Sie wollen mehr. Das Gold war reine 999er Qualität. Besser geht’s nicht. Ich habe für dich ein Konto angelegt. Auf meinen Namen. Hier hast du 5000. Das sollte fürs erste reichen. Außerdem habe ich dir eine Monatskarte gekauft.“

      Er fuhr fort, „die andern Sachen hab ich den Safe gelegt. Ich weiß, wer solche Gutachten macht. Morgen geh ich dahin. Einen der Brillianten habe ich prüfen lassen. Der Gutachter war außer sich. Das ist ein ganz seltenes Stück. Er wusste, dass so etwas am Hofe der spanischen und portugiesischen Könige zu finden ist. Es gehört dort zum Kronschatz. Ich habe ihm gesagt, dass der Stein unverkäuflich ist, und ich habe ihm versichert, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Er wollte sich nicht festlegen, aber er hätte mir für den Kleinsten der Steine sofort 100.000 gegeben. Bar auf die Hand. Es gäbe dafür im Moment keinen Markt, aber wenn man diesen Stein ordentlich einführt, würde er mehr bringen als jeder lupenreine weiße Diamant. Er war sich sicher. Allerdings müsste man ihn umschleifen, hatte er gesagt.“

      „Noch etwas: Die Sache mit den Papieren hab ich „dem Dicken“ überlassen. Er will ein Foto von dir. Das Ganze ist eine knifflige Sache. Es wird eine Weile dauern, wenn du die Existenz eines Verstorbenen annehmen willst. Ich soll dir ausrichten, nur falsche Papiere auf einen Phantasienamen sind unproblematisch, die kannst du in einer Woche haben. Das kostet inclusive Führerschein 15.000. Also, was sagst du?“

      „Trifter“, sagte Dennis, „du bist der Beste. Ich möchte dir danken. Phantom-Papiere will ich jetzt nicht. Wenn du erlaubst, werde ich eine Weile untertauchen zu den U-Bahnkids. Zu Conny kann ich hoffentlich immer kommen, wenn sie nicht grade ein Konzert hat.“

      Er sah, dass Conny nickte. „Noch etwas. Ich hab gestern mit Laura über die Schule gesprochen. Ich bin offiziell tot. Außerdem hab ich zu viel erlebt, um das noch einmal anzufangen. Aber ich möchte in die Schule der Kids gehen, wenn es die noch gibt. Ich kann einiges dazu beitragen, glaube ich.“

      Trifter war hocherfreut. „Abgemacht. Aber bleib vorerst hier, solange Conny es dir erlaubt. Ich freue mich auf dich. Alle werden sich freuen.“ Er verabschiedete


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