Die Suche nach der Identität. Hans-Peter Vogt

Die Suche nach der Identität - Hans-Peter Vogt


Скачать книгу
aufmunternd zu.

      Conny probierte es erneut. Sie sah, wie Dennis und Alois aufhorchten. Sie probierte es noch einmal. Es klang wirklich anders.

      Sie probierte die ganze Passage aus zehn Minuten. Dann blieb sie still sitzen und lauschte den Tönen nach.

      Sie gab Alois die Geige zurück und bat: „Stimm mir das mal nach unten. Gerade so einen Tick“.

      Es dauerte einen Moment, dann hob Conny die Hand. „Das sollte genügen.“ Sie versuchte dasselbe Stück nun tragend und traurig zu spielen. Sie stellte sich vor, dass sie einen Trauerzug auf den Friedhof begleitet und alle zum weinen bringen will. Sie sah, dass Alois und Dennis beeindruckt waren.

      „Gib noch mal her“, meinte Alois. Er stimmte die Geige erneut, aber diesmal in der normalen Tonlage, die sich nur geringfügig unterschied.

      „Pass auf. Jetzt kommt etwas schwieriges. Versuch mal durch deine Grifftechnik genau diesen Bruchteil des Tones auszugleichen. In der Quint geh einfach eine Seite nach unten. Das sind völlig neue und ungeübte Grifffolgen, aber versuch’ es. Spiel erst fröhlich und geh dann in die trauernden und klagenden Klänge über.“

      Conny versuchte es. Es war höllisch schwer. Sie musste umdenken, aber sie sah, wie Alois zustimmend nickte.

      „Ich glaube, dass du eben gelernt hast deine dritte Geige zu spielen“, sagte er. „Du wirst dieses Instrument lieben. Vielleicht ist sie sogar besser als die Stradivari. Ist es möglich, dass die Geige ganz bewusst für die Veränderung solcher Stimmungslagen gebaut wurde???“

      Conny schaute Alois lange an. „Kannst du eben mal Anton anrufen“, bat sie. „Er soll sofort kommen.“

      Während Alois telefonierte, führte Conny Dennis in den Keller des Hauses. Dennis war platt. Er hatte noch nie ein Tonstudio von innen gesehen. Hier war alles da.

      Laura schaltete das Licht und die Maschinen ein. Sie zeigte Dennis einige Hebel und Knöpfe. „Ich will das Klanggefühl hören“, sagte sie.

      Anton kam mit hochrotem Kopf und tiefschnaufend an. „Fahrrad“, sagte er nur. Er war ein junger Mann, vielleicht 28.

      „Das ist mein Toningenieur“, stellte Laura ihn vor. “Er heißt Anton, … und das ist Dennis“, sagte sie. Sie wandte sich an Alois und Anton. „Übrigens: Ihr habt Dennis heute nicht gesehn. Ihr wisst auch gar nicht, wer das ist. Ist das klar?“ Sie schauten verwundert, dann nickten sie.

      Laura erklärte Anton, worum es geht: „Vielleicht habe ich eben gerade meine dritte Geige entdeckt. Das wird jetzt noch etwas unbeholfen klingen, aber versuche mit der Aufnahme genau die verschiedenen Stimmungen von überschwänglich bis todtraurig zu erfassen, die ich in ein und demselben Stück spiele.“

      Conny ging durch die Glastür. Sie setzte die Kopfhörer auf, sie schaltete das Mikrofon ein. „Eins zwei drei“, sagte sie, klinkte ein kleines Mikrofon an die Geige und begann. Sie sah kurz zu Anton und als er nickte, legte sie los. Sie spielte immer dasselbe Stück, fand einen Übergang und spielte es erneut. Sie gab sich jede erdenkliche Mühe, den Tonfall und die Stimmung zu ändern. Es war nicht nur die Höhe der Töne.

      Sie spielte manchmal ein Tick schneller, dann wieder einen Tick langsamer. Kaum merklich. Manchmal weicher, manchmal härter.

      Dennis sah, dass es Conny viel Mühe bereitete. Sie schwitzte. Doch mit jedem Stück wurde es etwas einfacher. Dann spielte sie das Ganze noch einmal. Sie versuchte jetzt ihren ganzen Körper und all ihr Gefühl und ihr Können in die Stimmungslagen reinzupacken.

      Danach war sie am Ende. Sie zitterte. Dennis ging zu ihr, nahm ihr die Kopfhörer ab und nahm sie in die Arme.

      Alois kam, nahm ihr die Geige aus der Hand, stellte sie ab und gab Anton ein Zeichen. Anton verschwand, dann kam er mit einem Glas, mit Wasser und mit zwei verschiedenen Säften im Arm zurück.

      Er stellte das vor Laura hin und verschwand erneut. Er kam mit drei weiteren Gläsern zurück. Er musste häufig Gast in diesem Hause sein, dachte Dennis.

      Laura war völlig erledigt, aber sie erholte sich schnell. Sie trank etwas Saft und bot auch den Freunden an.

      Dann sagte sie: „Lass mal hören, aber nur die letzten 30 Minuten.“ Sie gingen zurück zum Mischpult. Anton gab jedem einen Kopfhörer, während er zurückspulte. Dann begannen sie der Musik zu lauschen.

      Sie hatten die Türglocke nicht gehört. Laura schlüpfte hinter ihnen herein. Alois gab ihr einen Kopfhörer und gab ihr das Zeichen, sich hinzusetzen.

      Als die Musik zu Ende war blieb Conny minutenlang sitzen. Sie war tief in sich versunken. Dann nahm sie den Kopfhörer ab und sagte: „Das wird ein schweres Stück Arbeit. Fast jeder Griff ist anders.“

      Alois atmete tief ein. Dann nahm er Connys Hand. “Eben”, sagte er, „hast du eine Zaubergeige geschenkt bekommen. Sei dem Schicksal dankbar dafür.“

      Laura hatte gehört, dass irgendetwas anders klang, aber sie konnte sich noch keinen Reim daraus machen. Sie sah Dennis lächeln.

      Conny sagte nur: „Ich werde eure Hilfe brauchen, um das umzusetzen. Technisch können mir Anton und Alois helfen. Von dir Dennis, will ich mehr über deine musikalischen Erlebnisse hören. Laura soll sich darum kümmern, ob es einen Markt dafür gibt. Nicht gleich. Das ist alles noch zu neu… und auch noch zu unsicher in meinem Spiel.“

      Sie wandte sich an Laura: „Hör dir dieses Band noch mal an, zusammen mit Alois und Anton. Lass dir erklären, worum es geht. Dann komm wieder zu uns. Sie nahm Dennis mit. Dieses Mal setzte sie sich in den Salon des Hauses. „Zeig mir noch mal deine Zeichnungen“, bat sie.

      Dennis holte seine Entwürfe. Laura sah sie lange an. „Erzähl mir mehr.“

      Dennis ließ sich Zeit.

      Als Laura, Alois und Anton hinaufkamen, gab Ihnen Laura die Zeichnungen und bedeutete ihnen, Dennis Erzählung einfach nur zuzuhören.

      Dennis erzählte weiter: von der Musik der Théluan, von den Theaterspielen, von den Stimmungen und der Wirkung der Musik auf die Menschen.

      Laura hatte Tränen in den Augen. „Mein Gott. Wie lange habe ich darauf gewartet… .“

      Sie fühlte einen Quantensprung in ihrer Musik. Vielleicht noch nicht ganz. Sie hatte gerade den ersten Zipfel davon zu fassen gekriegt. Darauf hatte sie acht Jahre lang gewartet. Irgendwann hob sie den Kopf.

      „Ihr habt heute nichts gehört“, sagte sie bestimmt. „Ihr habt nichts gesehen. Ich habe ganz normal geprobt. Und zu keinem ein Wort über Dennis.“ Sie sah Alois und Anton durchdringend an. Sie nahm ihnen das Versprechen ab.

      Dann wollte sie mit Laura und Dennis alleine sein.

      Nach einer ganzen Weile sagte sie: „Die Frage ist, was ich aus dieser neuen Erkenntnis für Schlussfolgerungen ziehe. Ich habe eben meine Dritte Geige entdeckt. Sie wird mir noch viele Schwierigkeiten bereiten. Das eben war weit entfernt von dem, was ich perfekt nenne. Aber ich habe eben eine Vorahnung bekommen, was Dennis mit der Allmacht der Musik angedeutet hat.“

      „Ihr wisst, dass ich bereits jetzt mit den Stimmungen der Zuhörer sehr gut spielen kann, aber ich kann mir vorstellen, dass ich mit dieser Art der Musik einen Mann dazu bringen kann, seine Frau umzubringen, die er liebt, einen Krieg auslösen, oder Ehen stiften kann. Das hat Alois vorhin gemeint, als er diese Geige als Zaubergeige bezeichnet hat.“

      Sie sah die Freunde an, „all das ist noch unkontrolliert. Neu. Außerdem ist mein Abitur jetzt das Wichtigste.“ Sie sah zu Dennis. „Im Sommer habe ich mehrere große Konzerte. Dann sollten wir reisen.“

      Laura war verblüfft. Sie hatte die Musik gehört, Sie hatte Unterschiede gehört.


Скачать книгу