Das Leben ist ein Abenteuer. Hans-Peter Vogt

Das Leben ist ein Abenteuer - Hans-Peter Vogt


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das Geschehen schon lange. Der Ruf des Zentrums war beachtlich. Weit über die Grenzen Europas hinaus. Das akzeptierten sogar die harten Gangs. Im Zentrum ordneten sie sich ein.

      Alleine in Romans Sportschule, die insgesamt drei Niederlassungen in Berlin hatte, gab es über vierhundert Mädchen, die regelmäßig zum Training kamen. Es gab Eltern, die schickten schon ihre sechsjährigen Kinder in diese Schule. Roman galt als zuverlässig und er war kein Schläger.

      Für die Kleinsten war das natürlich ein spielerisches Training. Es ging um Spaß und Körperbewegung. Nils sah manchmal zu oder mischte sich ein, ließ die Kids Überschläge machen oder Purzelbäume schlagen. Er liebte diese Kinder und ihre unnahmlichen Art, gute Laune zu verbreiten, spontan zu lachen oder loszuheulen, wenn etwas schief ging. Manchmal nahm er sie in die Arme und tröstete sie, ermunterte, oder lachte mit ihnen.

      Nils hatte seine Schwester ein paar mal mitgeschleppt. Eva hatte einen Film über die Kids gemacht, der sogar im Fernsehen gezeigt worden war. Eva war in Sachen Video ein richtiger Klabautermann, eine Elfe, eine Hexenkünstlerin. Es gab viele verschiedene Bezeichnungen für Eva. Sie war im Bereich Video ein Crack.

      In der Sportschule gab es mehrere Trainingsräume. Die Aufwärmübungen machten die größeren Kids in der Regel gemeinsam. Mädchen und Jungen. Es gab Trainer und Trainerinnen. Manchmal trainierten die Mädchen mit den Jungen zusammen, manchmal getrennt.

      Nach der Aufwärmphase nahmen die Kids Aufstellung. Es gab bestimmte Grundstellungen, Drehbewegungen, Schläge und Sprünge, die immer wieder geübt wurden.

      Manchmal hatte einer der Trainingspartner einen Stock, eine Kette oder eine gepolsterte Lederwurst in den Händen. Manchmal gab es Wurfübungen mit dem gefährlichen Dreizack oder Messerattacken (aus weichem Kunststoff), denen man ausweichen musste.

      Sie trainierten wirklich jeden erdenklichen Ernstfall, sogar die Abwehr von Schusswaffen, Griffe zum Abführen eines Gegners oder zielgerichtete Schläge auf markierte Ziele.

      Heute hatte Nils die sechzehnjährige Ellen als Trainingspartnerin. Ellen war gut durchtrainiert. Sie hatte mit ihren sechzehn Jahren gerade den 1. Dan gemacht und sie war ziemlich besessen von dem Sport.

      „Moment“, bat Nils. „Bevor wir das Training miteinander aufnehmen, will ich dir heute mal was zeigen. Schließ die Augen, lege die Handflächen aneinander und atme tief und langsam durch. Du hast viel Kraft, aber du brauchst innere Ruhe, um sie besser zu entfalten. Lass die andern mal trainieren. Hör nicht hin. Ruhe in dir selbst. Konzentriere dich jetzt, schalte ab. Stelle dir die Drehbewegung vor, die du gleich brauchst, um den Holzstab in meinen Händen zu zerschlagen, mit dem ich gleich einen Angriff simuliere, bist du soweit?“

      Ellen wusste, dass Sie Nils nicht gewachsen wäre, wenn es darauf ankommt. Er war einfach viel zu schnell. Was Nils eben von ihr verlangte, war eine sehr schwere Übung. Sie nickte und konzentrierte sich.

      „OK“, fragte Nils. Sie nickte wieder.

      „Gut, dann los.“ Sie nahmen Aufstellung, Nils hielt den Stab in beiden Händen, wie um ihr damit an die Kehle zu gehen, oder den Stab in eine Hand zu wechseln und mit der Spitze des Stabes zuzustechen. „Ich halte den Stab vor mein Gesicht“. Jetzt schlag zu.“

      Ellen konzentrierte sich, dann kam eine schnelle Drehbewegung, ihr Arm wirbelte durch die Luft... und traf ins Leere. Nils hatte den Stab blitzschnell weggezogen. Während der Schwung ihren Oberkörper nach vorne beugte, war Nils schon hinter ihr und drückte ihr den Stab an die Kehle. „Abgeloost“, meinte er.

      „OK, OK”, ergänzte er, “vielleicht war das unfair. Aber denk daran, dass der Gegner nicht immer das tut, was du erwartest. Außerdem hättest du mit diesem Schlag den Stock niemals gebrochen. Du hättest dir wehgetan. Ich nehm jetzt mal die Sandwurst und weiche nicht aus. Denk’, es ist ein Stock, dann schlag zu.“

      Sie trainierten das. Immer wieder. Nils gab Tips. Er nickte. „Das wird noch viel Training. Soll ich dir zeigen, dass es geht?“ Ellen nickte, dann sah sie zu den anderen. „Hört mal kurz auf, Nils will uns was zeigen.“

      Sie nahmen Aufstellung, dann explodierte Nils. Mit einer Schraube holte er Anlauf, dann ging er direkt in die Gegnerin rein, stieß einen Schrei aus und schug mit der Handkante zu. Der Stab zerspitterte in zwei Hälften und Ellen konnte trotz ihrer Kraft die Enden nicht halten, sie fielen auf den Boden und sprangen davon. Bevor Nils den Boden wieder berührte, gab er unbewußt einen Angriffsstoß mit den Füßen in Helens Bauchgegend. Sie taumelte und fiel auf den Rücken.

      Nils machte einen schnellen Schritt zurück und verbeugte sich leicht. Die Hände vor der Brust berührten sich.

      Die Übung gehörte eigentlich in den Bereich Karate. Sie war deshalb so schwierig, weil die Hände, welche die Hartholz-Stockenden halten, flexibel und nachgiebig sind. Es ist fast unmöglich, solch einen Stock zu zerschlagen. Der Trainer erklärte. „Leute. Ihr habt gerade gesehen, was der Schwung und die Atemübung bewirken. Ich kenne höchstens zwei oder drei, die das können. Ihr habt auch den zweiten Angriffsstoß gesehen. Das war sehr wirkungsvoll. Viel Kraft ist für diese Übung nicht unbedingt notwendig. Ihr müsst eure Kraft nur zielgerichtet und punktgenau einsetzen. Lasst euch davon jetzt aber nicht den Kopf verdrehen. Wir üben das, aber wir üben das zunächst mit anderen Mitteln. Sandwurst, Luftcatchen, Drehbewegung, Atemübungen und Angriff. Ach übrigens. Hätte Nils den Schädel von Ellen getroffen, dann wäre sie jetzt tot. Alles klar? Dann mal weiter.“

      Nach dem Training, bat Ellen. „Nils. Kannst du mir ein wenig helfen? Deine Schnelligkeit, die kriege ich nie hin. Ich bin dir an Kraft weit überlegen, aber in einem offenen Kampf, in der U-Bahn - oder wo auch immer, da muss ich damit rechnen, dass der Gegner so schnell ist, wie du.“ Nils nickte. „Gut. Heut hab ich den Kopf ziemlich voll. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich mich ein wenig ablenke. Lust auf einen Waldlauf? - Dann lass uns eben noch die Klamotten aus dem Schrank holen und wir fahren in den Stadtwald.“

       5.

      Bevor sie in den Stadtwald kamen, gab es die erste Gelegenheit zum üben. Etwa ein dutzend Italos kamen in die Bahn. „Zeit zum kassieren“, grölten sie. „Los, los, los, Geld her.“

      Sie waren bewaffnet. Italos waren immer bewaffnet.

      Nils sah Ellen an. „Dann wollen wir mal.“ Er schlug dem ersten die Tasche unters Kinn, dann ließ er sie fallen und schlug mit der Hand zu. Die Fingerspitzen rammten sich dem Gegner oberhalb der Brustbeins in den Nerv. Der Gegner klappte zusammen. Mit einer Drehbewegung holte Nils erneut aus und trat dem nächsten voll in den Hals. Der verdrehte die Augen und flog in die Stuhlreihe.

      Ellen hatte schon den nächsten abgegriffen. Sie schlug mit der Faust zu, mitten aufs Nasenbein. Das Blut spritzte. Jetzt zogen die Italos die Messer, und versuchten auf Nils und Ellen einzustechen. Von zwei Seiten.

      Nils verdrehte dem ersten den Arm, bis der Knochen knackte. Dann wurde er von einem Messer am Oberarm getroffen.

      Ellen war schlauer gewesen. Sie hatte sich geduckt und hatte dem Gegner in die Eier getreten. Er stöhnte und ließ das Messer fallen. Auch die beiden nächsten Angreifer wurden außer Gefecht gesetzt. Jetzt stand es nur noch 4 : 2. Nils grinste. Dann kreischten die Bremsen. Sie fuhren gerade in den Bahnhof ein. Inzwsichen hatte der Lokführer die U-Bahnpolizei über Funk verständigt. Die unverletzten Italos flüchteten auf den Bahnsteig und ließen ihre Kumpane im Stich.

      Nils schnappte sich seine Tasche, zog Ellen aus dem Zug, lief nach vorne und sprang auf die Gleise hinunter. „Los, los, komm“, dann zog er Ellen in das Dunkel des U-Bahnschachtes. Er kannte sich hier aus. Das hatte er von seinem Vater gelernt.

      Dann nahm er Ellen bei der Hand. Er blutete ziemlich stark. So konnte er nicht weiter. Die Blutspur würde sie verraten. Nils konzentrierte sich und sprang mit Ellen in die kleine Wohnung, die Papa ihm in der Nähe der Schule eingerichtet hatte, damit er „Schulweg sparen“ konnte. Er benutzte die Wohnung oft. Auch nachmittags, um


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