Lehrbuch der Psychotraumatologie. Gottfried Fischer
dem Zeichen nur noch konventionell zugeordnet ist.
Aus dem von Horowitz und Janoff-Bulman vertretenen Konzept des „Informationstraumas“ lässt sich die Vorhersage ableiten, dass ein kritisches Ereignis um so eher traumatisch wirken wird, je größer seine Distanz zu den Vorerwartungen der betroffenen Persönlichkeit ist. Aus verschiedenen Untersuchungen ist aber nun bekannt, dass Personen mit traumatischer Vorerfahrung leichter traumatisiert werden können als Personen ohne diese Vorerfahrung. Die kognitive Distanz zur „traumatischen Information“ als solche kann nicht ausschlaggebend sein, da das Trauma in gewissem Sinne sogar erwartet wird. Dieser Einwand wurde kürzlich von Brewin et al. (1996) erhoben. Hier bleiben also für das Konzept des „Informationstraumas“ einige kritische Fragen offen.
Unseres Erachtens spricht der Einwand zunächst für eine Längsschnittbetrachtung psychischer Traumatisierung, wie unser Verlaufsmodell sie vorschlägt. Trauma sollte nicht nur aktuell, sondern aus der Lebensgeschichte heraus verstanden werden. Dann zeigt sich oft, dass bereits die vorbestehende Traumatisierung nicht integriert werden konnte, sondern in einen → „traumatischen Prozess“ übergegangen ist. In diesem Fall wird das frühere Traumaschema durch eine zweite Erfahrung stimuliert, indem es die neue Erfahrung assimiliert. Alternativ hierzu oder auch parallel versagen die traumakompensatorischen Strategien. Die Ausdehnung der Traumaanalyse auf den Lebenslauf könnte die Hypothese des „Informationstraumas“ stützen, da sie ja jetzt an der primären traumatischen Erfahrung zu überprüfen wäre. Die spannende alternative Frage bleibt allerdings bestehen, ob eine wirklich verarbeitete traumatische Vorerfahrung nicht möglicherweise sogar eine „immunisierende“ Wirkung haben kann. An vereinzelten klinischen Erfahrungen könnten wir diese Annahme untermauern. Ergebnisse systematischer Forschung wären jedoch wünschenswert. In keinem Falle sollte das Konzept vom „Informationstrauma“ zu eng im Sinne der „Computer-Metapher“ verstanden werden (kritisch hierzu Howard Gardner 1985). Schließlich scheint es nützlich zu sein, „Informationstrauma“ pathogenetisch nicht nur als Voraussetzung, sondern auch als Ergebnis traumatischer Erfahrung zu sehen; nicht nur als Bedingung für Kontrollverlust und Hilflosigkeit, sondern in vielen Fällen als deren Folge.
Abschließend wollen wir den von Lindy angedeuteten pathogenetischen Mechanismus von der biologischen Metapher auf die psychosoziale Ebene übertragen. Es handelt sich dann um die „Funktionsumkehr“ eines Beziehungsschemas, das die Fähigkeit verliert, zwischen nützlichen und schädlichen Beziehungsangeboten zu unterscheiden und gleichzeitig noch die Grenzziehung zwischen Selbst und Außenwelt. Schädliche Einflüsse werden gezielt aufgegriffen und dem Selbst zugeschlagen, nützliche „Nährstoffe“ dagegen an die Umwelt abgegeben. Wie die „Traumamembran“ ist dieses → Schema durch die Umkehr seiner normalen Funktion gekennzeichnet. In Anlehnung an einen terminologischen Vorschlag von Bion (learning from experience), jedoch aus einem völlig anderen erkenntnistheoretischen Bezugssystem heraus wollen wir diese Variante eines Traumaschemas als → bizarres Schema bezeichnen. Bion (1962) spricht von einem „bizarren Objekt“, das gezielt aus sog. „Beta-Elementen“ zusammengesetzt sei, während die synthetisierende „Alpha-Funktion“ ausfällt oder gar in eine Art „Beta-Funktion“ verkehrt wird. Wir wollen hier in die Bionsche Terminologie nicht näher eintreten, die u. E. in mystifizierender Weise einige Aspekte traumatischer Erfahrung zum Ausdruck bringt, wie z. B. zusammenhanglose Sinneseindrücke, die sich einer synthetischen Symbolisierung entziehen oder auch widersetzen (vgl. Abschnitt 2.2). Bizarre Schemata arbeiten im Sinne einer falschen Synthesis. An die Stelle der Synthese von Subjekt und Objekt wie im Situationskreis-Modell tritt als Folge der traumatischen Erfahrung zum einen die schroffe Antithese von Subjekt- und Objektpol, im Falle des „bizarren Schemas“ aber zusätzlich noch die im Bild der Traumamembran beschriebene Funktionsumkehr. Ein klinisches Beispiel für diesen pathogenetischen Mechanismus ist das → Victimisierungssyndrom. Hier übernimmt das Opfer die Weltsicht des Täters, wertet sich ab und verurteilt sich, während es den Täter idealisiert und sich mit ihm identifiziert.
2.2.2 Zur Psychobiologie der peritraumatischen Erfahrung
Das pathogenetische Konzept des „Informationstraumas“ legt es nahe, auch die intrasomatische Teilstrecke von Rezeption und Motorik unter dem Gesichtspunkt der Informationsverarbeitung zu untersuchen. Es fördert die Verbindung von biologischer und psychosozialer Untersuchungsebene.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Umstand, dass die Enkodierung traumatischer Situationskonstellationen in einem → Zustand höchster affektiver Erregung erfolgt. Wie vor allem Untersuchungen zur zustandsabhängigen Erinnerung (state dependent recall) nahelegen, werden über die Vermittlung neurohormonaler und anderer biochemischer Prozesse die traumatischen Gedächtnisengramme an die Physiologie des jeweiligen Erregungszustands gekoppelt und können hernach oft nur in Verbindung mit diesem wieder abgerufen werden. Hierzu ist eine Unterscheidung zwischen einem „heißen“ und einem „kühlen“ zentralnervösen Gedächtnissystem vorgeschlagen worden (Metcalfe u. Jacobs 1996). Während das kühle, alltägliche Gedächtnis der Hippocampusregion des limbischen Systems zugeordnet wird und den Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität unterliegt, übt die Mandelkernregion (Amygdala) eine affektgeleitete Verstärkerfunktion aus: sie führt zur überwiegend sensorischen Speicherung der Reize im impliziten Gedächtnis entsprechend ihrer emotionalen Relevanz.
Die vital bedrohlichen, potenziell traumatischen Reize aktivieren u. a. die im Hypothalamus gelegenen Steuerungszentren des autonomen Nervensystems und führen zur Ausschüttung von Stresshormonen (Post et al. 1997). Dabei werden Hippocampusregion und cingulärer Cortex im extremen Erregungszustand eher gehemmt, so dass sie ihre Filterfunktion nicht länger erfüllen können.
Jetzt werden Wahrnehmungseindrücke nicht mehr kategorial erfasst und geordnet. Zusammenhanglose Sinnesfragmente, in denen olfaktorische (Gerüche), visuelle (Bildfragmente), akustische (Geräusche) und kinästhetische Eindrücke vorherrschen, treten an die Stelle geordneter Wahrnehmungsbilder. Diese Sinneseindrücke – die neurokognitiven Anteile des „Traumaschemas“ – bleiben über lange Zeit hinweg lebendig; sie scheinen im Gedächtnis wie „eingefroren“ zu sein. Werden sie erneut stimuliert, sei es über situative Reize oder das Wiederaufleben der peritraumatischen Stimmungslage, so kehren sie in intrusiven Erinnerungsbildern wieder, die oft über Jahre bis Jahrzehnte hinweg das gleiche Szenario wiederholen (Galley u. Hofmann 1998).
Der Charakter des Zeitlosen, Unveränderbaren dieser traumatischen Erinnerungsfragmente lässt sich hypothetisch darauf zurückführen, dass die Kategorisierung und Kontextualisierung der Sinneseindrücke misslingt, so dass lediglich akausale, zeit- und raumlose Erinnerungsfragmente reproduziert werden können.
Auch andere zentralnervöse Strukturen, die mit der Integration von emotionaler und kognitiver Information befasst sind, werden gegenwärtig auf evtl. Funktionsänderungen beim PTBS hin untersucht. So werden über den Balken (corpus callosum) Informationen der linken und rechten Hirnhemisphäre zusammengefasst und damit die Charakteristika des symbolischen, problemlösungsorientierten, analytischen (linkshemisphären) Denkens mit den ganzheitlichen Merkmalen von nonverbaler Kommunikation und Wahrnehmung (rechtshemisphärische Verarbeitung) zusammengeführt (Tab. 9). Ein Hinweis auf die Störung dieser Funktion zeichnet sich in Untersuchungen ab, die bei traumatischer Information eine ausgeprägte hemisphärische Lateralisation feststellen im Sinne einer erhöhten rechtsseitigen und einer verringerten Aktivität der linken Hemisphäre.
Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnten Rauch et al. (1996) nachweisen, dass PTBS-Patienten, die experimentell mit ihrem individuellen Traumascript konfrontiert wurden, eine gesteigerte Aktivität in der rechten Hemisphäre zeigten, insbesondere in Amygdala, Insula und im medialen Temporallappen. Gleichzeitig wurde eine erhöhte Aktivität im rechten visuellen Cortex festgestellt. Die linke Hemisphäre hingegen, vor allem der linke inferiore Frontal-bereich, in dem sich das expressive Sprachzentrum (Broca-Zentrum) befindet, war vergleichsweise weniger aktiviert.
Diesen Befund kann man hypothetisch dahin interpretieren, dass die experimentell in die traumatische Situation zurückversetzten Versuchspersonen das Geschehen einerseits bildhaft wiederbelebten, andererseits aber weitgehend außerstande