Rechtsmedizin. Ingo Wirth
Die Totenflecke entstehen immer in dem Körperbereich, der dem Boden am nächsten ist (Abbildung 2). Bei Rückenlage finden sich die Totenflecke am Hinterkopf, im Nacken, auf dem Rücken sowie an den seitlichen Partien von Rumpf und Gliedmaßen. Ausgespart bleiben der obere Rückenbereich als sog. Schmetterlingsfigur, das Gesäß, die Waden, die Fersen und die Aufliegestellen beider Arme. Bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe sind die Totenflecke nicht sichtbar.
Abb. 2:
Totenflecke in Abhängigkeit von der Körperlage, aus [9]
Liegt die Leiche auf dem Bauch, bilden sich die Totenflecke im Gesicht sowie an der Vorderseite des Rumpfes und der Gliedmaßen aus. Die Aufliegestellen sind entsprechend ausgespart. Bei einer hängenden Leiche entstehen die Totenflecke in der unteren Hälfte des Körpers und der Arme. Oft sind Hände und Füße besonders kräftig verfärbt. Durch Kopftieflage tritt eine intensive Totenfleckbildung im Kopf-Hals-Bereich ein.
Wenn eng anliegende Kleidungsstücke, wie Büstenhalter, Hosengummi oder Gürtel, sowie Kleider- und Hautfalten die Blutgefäße komprimieren, sind Aussparungen der Totenflecke möglich. Am Hals können ein fest sitzender Kragen oder Hautfalten eine Strangmarke vortäuschen. Vereinzelt zeichnen sich sogar Textilgewebsmuster innerhalb der Totenflecke ab. Die ausgesparten Stellen lassen manchmal auch die Beschaffenheit der Fläche erkennen, auf der die Leiche lag. So können Abbilder von Gräsern, Blättern oder Ästen ebenso sichtbar sein wie Abdrücke von Kanten oder Oberflächenstrukturen verschiedener Gegenstände.
Gelegentlich kommt es im Bereich der Senkungsblutfülle zum Platzen kleiner Blutgefäße. Dadurch entstehen dunkelrote bis violette, meist rundliche, punktförmige bis linsengroße Flecke in der Haut. Diese Blutaustritte werden als Vibices bezeichnet. Wie die Entwicklung der Totenflecke ist das Auftreten von Vibices abhängig von der Lage der Leiche. Bei Rückenlage können Blutaustritte im Schulter-Rücken-Bereich und bei Kopftieflage im Gesicht und in den Augen beobachtet werden. Auch unter der Kopfhaut und in den Halsweichteilen entstehen bei Kopftieflage Vibices. Bei Erhängten finden sich derartige Blutaustritte an Unterschenkeln und Füßen.
Solange die Blutsäule in den Gefäßen verschieblich ist, können die Totenflecke durch Umlagern der Leiche wandern. Wenn man die Leiche von der Rücken- in die Bauchlage dreht, bilden sich die Totenflecke an der nun unten befindlichen Körperseite neu aus und die ursprünglichen Flecke verschwinden vollständig. Ebenso lassen sich die Totenflecke mit dem Finger oder mit einem Instrument wegdrücken. Mit zunehmender Zeit nach dem Tod gehen die Umlagerbarkeit und die Wegdrückbarkeit verloren, weil das Blut eindickt und – begünstigt durch eine zunehmende Durchlässigkeit der Blutgefäßwände – auch Blutfarbstoff der zerfallenden roten Blutkörperchen in das Körpergewebe eindringt. Die Totenflecke werden dadurch fixiert und gehen später in die fäulnisbedingten Hautverfärbungen über.
Die ersten Totenflecke werden ungefähr 20 bis 30 Minuten nach Todeseintritt bei Rückenlage der Leiche im Nacken und in den seitlichen Halsregionen sichtbar, anfänglich als schwach ausgebildete Flecke, die an Intensität und Ausdehnung rasch zunehmen und ineinanderfließen. Auch die inneren Organe weisen im Bereich der Senkungsblutfülle Totenflecke auf. Nach etwa 5 bis 6 Stunden nimmt die Intensität nicht mehr wesentlich zu. Eine vollständige Umlagerbarkeit besteht bis etwa 6 Stunden nach dem Tod. Danach verschwinden die ursprünglichen Totenflecke nicht mehr gänzlich. Eine doppelte Totenfleckbildung an den abhängigen Körperpartien und an der Gegenseite nach Umlagerung der Leiche kann innerhalb von 6 bis 12 Stunden eintreten (Abbildung 3). Bei der Wegdrückbarkeit reichen die Angaben von 6 Stunden für ein vollständiges Verschwinden auf leichten Daumendruck bis 36 Stunden und mehr mit vollständiger Abblassung auf starken Druck mit Messer oder Pinzette.
Abb. 3:
Wandern der Totenflecke nach Wenden der Leiche, aus [6]
Aus Farbe und Intensität der Totenflecke können vereinzelt Anhaltspunkte für die Todesursache abgeleitet werden. Durch Einwirkung niedriger Temperaturen entstehen hellrote Totenflecke, die sog. Kältetotenflecke. Auch bei Leichen, die in Kühlzellen gelagert werden, kann es zu einer Verfärbung kommen. Die Totenflecke sind dann immer zweifarbig. Die an die Aufliegestellen angrenzenden Abschnitte sind hellrot, die übrigen Anteile grau-violett. Hellrote Totenflecke treten ebenfalls bei Vergiftungen durch Kohlenmonoxid oder Blausäure auf. Eine schmutzig-graue bis braune Farbe zeigen die Totenflecke bei Vergiftungen mit Nitraten, Nitriten und Chloratverbindungen.
Sind die Totenflecke mehrere Stunden nach Todeseintritt nur spärlich ausgebildet oder fehlen, so weist das auf eine Blutarmut infolge krankhafter Ursache oder auf Verbluten nach innen oder außen hin.
Kriminalistisch bedeutsam sind die Totenflecke
• | als sicheres Zeichen des Todes, |
• | zur Schätzung der Todeszeit, |
• | mitunter als Hinweis auf die Todesursache und die Todesart sowie |
• | gelegentlich zum Erkennen von Lageveränderungen der Leiche. |
II. Tod und Leichenuntersuchung › 2. Frühe Leichenveränderungen › 2.2 Totenstarre
2.2 Totenstarre
Bei Eintritt des Todes erschlaffen sämtliche Muskeln des Körpers, so auch die Muskulatur des Gesichts. Demnach lässt der Gesichtsausdruck eines Verstorbenen keinen Rückschluss auf einen etwaigen qualvollen Sterbevorgang zu.
Alle Gelenke sind zunächst beweglich. Der Körper lässt sich in jede beliebige Lage bringen und ohne Schwierigkeiten be- oder entkleiden. Das Eintreten der Totenstarre ist kein sprunghafter Vorgang, sondern ein langsam beginnender und kontinuierlich zunehmender Prozess. Erst nach und nach entsteht eine Starre der gesamten Körpermuskulatur, die zu einer zunehmenden Bewegungseinschränkung in den Gelenken bis zur vollständigen Steifheit führt.
Die physikochemischen Vorgänge bei der Entstehung der Totenstarre sind komplex. Die entscheidende Bedeutung kommt dem Adenosintriphosphat (ATP) zu. Im lebenden Organismus wird die Energie für die Muskelkontraktion durch Umwandlung des ATP in Adenosindiphosphat (ADP) freigesetzt. Aus dem oxidativen Abbau von Zuckerverbindungen stammt dann wiederum die Energie zur Resynthese des ADP zu ATP. Das energiereiche ATP wirkt als sog. Weichmacher und führt zur Erschlaffung der Muskulatur. Abbau und Resynthese des ATP bleiben nach dem Tod im Gleichgewicht, solange der Energiestoffwechsel noch funktioniert. Dadurch ist die Muskulatur nach dem Tod zunächst schlaff. Wenn die Zuckerreserve der Muskeln aufgebraucht ist, kann kein ATP mehr resynthetisiert werden. Es entwickelt sich die Totenstarre durch Überführung der Muskeleiweiße von einem Sol- in einen Gelzustand.
Auch an den inneren Organen mit glatter Muskulatur und am Herzen tritt das Starrwerden ein. Es ist selbstverständlich nur bei der Leichenöffnung festzustellen. Äußerlich kann sich die Totenstarre von Samenbläschen und Prostata als Samenabgang nach dem Tod bemerkbar machen. Demzufolge lässt ein Samenabgang an der Leiche nicht zwangsläufig auf eine sexuelle Aktivität kurz vor dem Ableben schließen.
Da es sich bei der Muskelerstarrung um einen physikochemischen Prozess handelt, hängen Herausbildung