Rechtsmedizin. Ingo Wirth
Nach den Landesgesetzen muss in jedem Sterbefall ein Arzt eine Leichenschau durchführen und darüber eine ärztliche Bescheinigung ausstellen. Eine Ausnahme bildet Schleswig-Holstein. Dort darf auf einigen Inseln und Halligen auch eine andere geeignete Person zur Vornahme der Leichenschau ermächtigt werden.
Die obligatorische ärztliche Leichenschau wird gelegentlich auch als allgemeine Leichenschau bezeichnet. Um deren Ergebnis zu dokumentieren, werden Formulare verwendet, die unterschiedlich gestaltet sind. Diese Vordrucke können – je nach Bundesland – Todesbescheinigung, Leichenschauschein oder Totenschein heißen.
Die ausgefüllten Formulare müssen auf dem Standesamt zur Beurkundung des Sterbefalles vorgelegt werden. Erst danach darf die Bestattung erfolgen. Jede Leiche muss an einem dafür vorgesehenen Ort bestattet werden.
In allen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern ist vor einer Feuerbestattung, bei der die Leiche verbrannt und die Asche meist in einer Urne beigesetzt wird, eine zweite (amtsärztliche) Leichenschau erforderlich. Eine solche Leichennachschau dient der Feststellung von Kennzeichen eines nichtnatürlichen Todes und zur Freigabe für die Einäscherung.
Die landesrechtlichen Regelungen verpflichten den Leichenschauarzt zu folgenden Feststellungen:
• | Tod, |
• | Todeszeitpunkt, |
• | Todesursache, |
• | Todesart (natürlicher oder nichtnatürlicher Tod), |
• | Personalien. |
Darüber hinaus unterliegt der Leichenschauarzt bestimmten Meldepflichten.
Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin hat „Regeln zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau“ erarbeitet, die als Leitlinien für Ärzte veröffentlicht sind.[1]
Anmerkungen
AWMF-Leitlinien-Register, Nr. 054/002.
II. Tod und Leichenuntersuchung › 4. Ärztliche Leichenschau › 4.1 Feststellung des Todes
4.1 Feststellung des Todes
Rechtlich darf erst nach ärztlicher Diagnose und Bescheinigung des Todes von einer Leiche gesprochen werden. Nach medizinischer Auffassung gilt als Leiche der Körper eines Gestorbenen, gekennzeichnet durch Leichenerscheinungen. Juristischer Ansicht zufolge ist eine Leiche der Körper eines toten Menschen oder totgeborenen Kindes, solange er noch nicht zerfallen oder noch nicht Gegenstand des Rechtsverkehrs geworden ist (etwa Leichen oder Leichenteile für den Anatomieunterricht im Medizinstudium).
Bei Neugeborenen unterscheidet man zwischen
• | Lebendgeborenen und |
• | Totgeborenen. |
Als lebendgeboren gilt ein Kind, wenn nach der Trennung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen, die natürliche Lungenatmung eingesetzt oder die Nabelschnur pulsiert hat, unabhängig von Länge und Gewicht des Kindes oder von der Dauer der Schwangerschaft. Wenn ein Lebendgeborenes verstirbt, gilt es rechtlich generell als Leiche.
Ein Kind ist totgeboren, wenn es nach der Trennung vom Mutterleib keines der maßgeblichen Zeichen eines Lebendgeborenen und ein Gewicht von mindestens 500 g aufweist. Unter dieser Voraussetzung gilt auch ein Totgeborenes rechtlich als Leiche. Demnach gilt nicht als Leiche eine Leibesfrucht unter 500 g Körpergewicht. Sie wird als Fehlgeburt, Frühgeburt oder Abort bezeichnet.
Die Feststellung des Todes ist dem Arzt als Aufgabe zugewiesen, weil dazu meist medizinische Kenntnisse erforderlich sind. Bei Eintreffen am Fundort hat sich der Arzt unverzüglich davon zu überzeugen, ob die Person noch lebt oder tot ist. Wenn keine sicheren Todeszeichen vorhanden sind, müssen Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden. Andernfalls kann der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung erhoben werden.
Die Forderung der Todesfeststellung wird durch den Nachweis sicherer Todeszeichen erfüllt. Im Allgemeinen sind frühestens 15 bis 20 Minuten nach dem Todeseintritt die ersten Totenflecke zu erwarten, Totenstarre und Fäulnis folgen erst deutlich später. Diese Leichenerscheinungen sind zuverlässige Kriterien für die sichere Feststellung des Todes. Das gilt ebenfalls für offensichtlich nicht mit dem Leben vereinbare Verletzungen, wie vollständige Schädelzertrümmerung, Abtrennung des Kopfes oder Rumpfdurchtrennung.
Zur Dokumentation des ärztlich festgestellten Todes finden sich auf einigen Todesbescheinigungen als ankreuzbare Kästchen folgende sichere Zeichen des Todes:
• | Totenflecke, |
• | Totenstarre, |
• | Fäulnis, |
• | Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind, |
• | Hirntod. |
Es wird gefordert, dass vor dem Ausstellen der Todesbescheinigung mindestens eines der sicheren Todeszeichen deutlich ausgeprägt ist. Hält sich der Arzt konsequent an diese Forderung, besteht keine Gefahr, einen Lebenden für tot zu erklären. Zu beachten ist dabei, dass eine Kältestarre nicht als Totenstarre fehlgedeutet werden darf.
In einigen Bundesländern sind Ärzte im Rettungsdienst von ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer vollständigen Leichenschau befreit. Ihre Pflicht beschränkt sich auf die Feststellung des Todes. Länderabhängig ist vom Notarzt außerdem eine Vorläufige Todesbescheinigung auszustellen. Bei Anhaltspunkten für einen nichtnatürlichen Tod hat auch der Notarzt sofort die Polizei zu informieren.
Bis in die Gegenwart wird immer wieder über die irrtümliche Ausstellung von Todesbescheinigungen in der Fachpresse wie auch in den Massenmedien berichtet. Diese Fälle sind insgesamt selten und ausnahmslos auf eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht zurückzuführen. Erfahrene Ermittlungsbeamte kennen aus der Praxis genügend Beispiele, bei denen der Leichenschauarzt nur einen flüchtigen Blick auf die leblose Person wirft und keine Untersuchung vornimmt. Ebenso kommt es vor, dass die Todesbescheinigung nach den Auskünften der Angehörigen ausgestellt wird, ohne die im Nebenzimmer liegende Person untersucht zu haben. Selbst aufgrund telefonischer Benachrichtigung entstanden schon Todesbescheinigungen.
Unter bestimmten Bedingungen können alle Lebenserscheinungen auf ein Minimum reduziert sein. Äußerlich lassen sich in solchen Fällen Atmung, Puls, Körperwärme und Reflexe kaum wahrnehmen, und es besteht eine tiefe, unter Umständen langdauernde Bewusstlosigkeit. Für diesen Zustand, bei dem die Unterscheidung zwischen Leben und Tod außerordentlich erschwert ist, wurde der Begriff Scheintod geprägt. Gelingt durch geeignete Behandlungsmaßnahmen die volle Wiederherstellung aller Lebensfunktionen, bedeutet das nicht die Erweckung eines Toten, sondern eines tief Bewusstlosen. Die medizinischen Fachausdrücke Vita reducta und Vita minima besagen, dass es sich um einen auf das Äußerste verminderten Zustand des Lebens handelt. Zur Feststellung von Lebenszeichen in solchen Fällen sind apparative Untersuchungen, wie Ableitung von Hirn- und Herzströmen, notwendig.
Die wichtigsten Ursachen für eine Vita minima werden unter der Buchstabenfolge A – E – I – O – U zusammengefasst.