Rechtsmedizin. Ingo Wirth
werden. Derartige Analysen erfordern eine sachkundige Asservierung der Tiere.
Auch andere Insekten, vor allem Ameisen und Käfer, sind an der Leichenzerstörung beteiligt. Darüber hinaus verursachen viele Wirbeltiere ebenfalls Fraßspuren, am häufigsten Ratten, Mäuse, Vögel, Füchse, Wildschweine, gelegentlich auch Hunde und Katzen. Sind solche Haustiere längere Zeit mit einem Verstorbenen eingesperrt, so nutzen sie den Leichnam als Nahrungsquelle. Groteske Fraßdefekte sind beobachtet worden. Bei Wasserleichen kommen neben Wassertieren die Larven der Köcherfliegen als Leichenzehrer in Betracht.
Von kriminalistischer Bedeutung ist der Tierfraß, weil eine Verwechselungsgefahr mit zu Lebzeiten entstandenen Verletzungen besteht. Hautveränderungen durch Ameisen können Würgespuren oder Verätzungen vortäuschen. Vögel verursachen Verletzungen, die mitunter an Stich- oder Schrotschusswunden erinnern. Durch Waldtiere werden gelegentlich Leichenteile abgefressen und verschleppt, sodass der Eindruck einer Leichenzerstückelung entsteht. Entscheidend für die richtige Einordnung von Verletzungen als Tierfraß ist es, von vornherein an diese Möglichkeit der Leichenzerstörung zu denken.
II. Tod und Leichenuntersuchung › 3. Späte Leichenveränderungen › 3.3 Konservierende Leichenveränderungen
3.3 Konservierende Leichenveränderungen
Eine natürliche Leichenkonservierung durch Mumifikation tritt dann ein, wenn die Austrocknung des Körpers schneller voranschreitet als die Leichenzersetzung durch Fäulnis. Diese Situation ist bei mageren Leichen in trockenem, luftigem Milieu gegeben. Einer Mitwirkung von Giften, Strahlen und Bakterien bedarf es nicht.
Bereits kurze Zeit nach dem Tod sind die ersten Vertrocknungserscheinungen an den Hornhäuten der Augen, am Lippenrot und an zarten Hautpartien wie Hodensack, Vorhaut und Schamlippen zu beobachten. Der Flüssigkeitsverlust der Gesichtshaut lässt die Bartstoppeln deutlich hervortreten, wie auch das Eintrocknen der Finger- und Zehenkuppen die Nägel länger erscheinen lässt. Weder Barthaare noch Nägel wachsen nach dem Tod weiter.
Mit zunehmender Mumifizierung nimmt die Haut eine braune Farbe und eine lederartig derbe Beschaffenheit an. Auch die Weichteile schrumpfen, sodass sich Muskel- und Sehnenstränge deutlich sichtbar unter der Haut abzeichnen. Insgesamt verringert sich durch den Wasserverlust das Körpergewicht erheblich. Eine Veränderung der Haarfarbe ist möglich. Am häufigsten entsteht ein rötlicher Farbton.
Mumifizierte Leichen sind in unseren Breiten am ehesten auf zugigen Dachböden, in Schuppen und Scheunen, in trockenen Gewölben und Grüften oder im Freien (im Wald Erhängte) zu erwarten. Eine vollständige Mumifikation erfordert einen längeren Zeitraum, mindestens mehrere Wochen. Häufiger sind Teilmumifizierungen, bei denen ein Mischbild verschiedener Leichenveränderungen vorliegt.
Gelangt eine auf natürliche Weise mumifizierte Leiche in ein feuchtes Milieu, quellen die Weichteile auf. Dadurch kann eine kürzere Leichenliegezeit vorgetäuscht werden.
Die kriminalistische Bedeutung der Mumifikation liegt darin begründet, dass
• | äußere Konturen erhalten bleiben und dadurch eine Identifizierung erleichtert werden kann, |
• | bestimmte Verletzungen wie Strangfurchen, Stich-, Schnitt-, Hieb- und Schusswunden konserviert werden und |
• | eine längere Liegezeit der Leiche angenommen werden muss. |
Unter Fettwachsbildung versteht man eine Umwandlung der Weichteile, beginnend mit dem Körperfett, in eine grau-weiße, körnige, zuerst feucht-pastenartige, später trocken-gipsähnliche Masse mit ranzig-erdigem Geruch. Das Fettwachs (Adipocire) entsteht durch hydrolytische Spaltung des Körperfetts in Glycerol und Fettsäuren. Notwendige Bedingungen sind feuchtes Milieu, Luftabschluss und die Mitwirkung bestimmter Bakterien.
Die gebräuchliche Bezeichnung Fettwachs hat sich als chemisch falsch erwiesen. Das Umwandlungsprodukt enthält kaum Fett und kein Wachs, sondern besteht hauptsächlich aus gesättigten höheren Fettsäuren (vor allem Palmitin- und Stearinsäure). Es wird besser als Leichenlipid bezeichnet.
Bei Wasserleichen kann Fettwachs bereits nach wenigen Wochen auftreten, während es sich im feuchten Erdgrab erst im Laufe vieler Monate entwickelt. Die Fettwachsbildung zählt wie die Mumifizierung zu den konservierenden Leichenveränderungen. Daraus leitet sich dieselbe kriminalistische Bedeutung ab.
Wird ein Verstorbener alsbald nach dem Tod eingefroren, führt das ebenfalls zu einer Konservierung. Solche Eisleichen können unter natürlichen Bedingungen während Frostperioden, in Gletscherregionen und in Polargebieten entstehen.
Von Tätern wird der Konservierungseffekt des Einfrierens genutzt, um eine Leiche oder Leichenteile wenigstens zeitweilig beiseitezuschaffen.
Eine sog. Faulleichenkonservierung tritt ein, wenn sich der Leichnam oder Leichenteile längere Zeit in einer luft- und wasserdichten Umhüllung (z. B. Plastiksack, Folie, Beton) befinden. Unter diesen Bedingungen setzen die mikrobiellen Abbauprozesse zwar ein, kommen jedoch bald durch die Anhäufung von Stoffwechselendprodukten zum Stillstand.
Die Konservierung von Leichen im Moor wird durch Humin- und Gerbsäuren bestimmt. Begünstigende Bedingungen sind Kälte und Luftabschluss. Die einzelnen Körpergewebe unterliegen unterschiedlichen Veränderungen: Die Haut wird gegerbt, die Weichteile und die inneren Organe verwesen, die Knochen werden entkalkt und dadurch biegsam, färben sich schwarz und erinnern an Hartgummi.
Erfahrungsgemäß haben Moorleichen in der weitaus größten Anzahl der Fälle eine archäologische Bedeutung, doch ist eine kriminalistische Relevanz nicht von vornherein auszuschließen.
Durch Einwirkung von Salz in fester oder gelöster Form können Salzleichen entstehen (z. B. Tod im Salzbergwerk oder im Solebecken). Entscheidend ist der Wasserentzug des Körpers durch den hygroskopischen Effekt vieler Salze, am ehesten vergleichbar mit dem Pökeln.
Ergänzend soll die künstliche Leichenkonservierung erwähnt werden. Am bekanntesten sind die Balsamierungsrituale im alten Ägypten, aber auch heute noch werden durch verschiedene physikalische und chemische Verfahren (z. B. Tieffrieren, Paraffin- und Formalindurchtränkung, Plastination) Leichen und Leichenteile haltbar gemacht. Das kann erforderlich sein zur Aufbewahrung bei unklarer Identität, zur Überführung in andere Staaten oder für medizinische Präparatesammlungen.
II. Tod und Leichenuntersuchung › 4. Ärztliche Leichenschau
4. Ärztliche Leichenschau
Die ärztliche Leichenschau ist durch landesrechtliche Bestimmungen geregelt. Folglich gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsvorschriften zum Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen. Nachfolgend kann nur eine länderübergreifende Darstellung grundlegender Aspekte der ärztlichen Leichenschau gegeben werden, wobei auf die wichtigsten Ausnahmen hingewiesen wird. Für Detailfragen sind unbedingt die gesetzlichen Regelungen des jeweiligen Bundeslandes zu beachten.
Mit den Bestimmungen zur Leichenschau verfolgt der Gesetzgeber mehrere Ziele:
• | Verhütung irrtümlicher Todesfeststellung (Feststellung des Todes durch einen Arzt), |
• | Medizinalstatistik (Häufigkeit der einzelnen Todesursachen als Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen), |
• | Seuchenbekämpfung (Anzeigepflicht bei bestimmten Erkrankungen im Todesfall), |
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