Rechtsmedizin. Ingo Wirth

Rechtsmedizin - Ingo Wirth


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zu einer ATP-Verminderung im Muskelgewebe führen, beschleunigen den Starreeintritt (Rigor praecox). Das gilt insbesondere für eine starke Beanspruchung der Muskulatur vor dem Tod, beispielsweise bei Personen, die während oder bald nach einer großen körperlichen Anstrengung versterben, oder bei Sterbefällen, die mit Krämpfen einhergehen (z. B. Erstickungszustände, Stromtod, Vergiftung durch Strychnin, Wundstarrkrampf).

      Ein Zusammenhang mit der Todesursache besteht auch insofern, als dass sich bei auszehrenden Krankheiten oder anders verursachtem Muskelschwund die Totenstarre nur schwach ausbildet. Bei hochbetagten Personen und bei kleinen Kindern, insbesondere Frühgeborenen, kann die Totenstarre ausbleiben oder kaum feststellbar sein.

      Zu beachten ist, dass sich im Rahmen einer Unterkühlung noch zu Lebzeiten eine sog. Kältestarre ausbildet, die keinesfalls mit einer Totenstarre verwechselt werden darf. Die Totenstarre stellt somit nur in warmer Umgebung ein sicheres Todeszeichen dar.

      Für die Reihenfolge des Auftretens der Totenstarre wird gewöhnlich die Regel nach Nysten angegeben. Die Erstarrung beginnt an der Kiefermuskulatur, breitet sich dann absteigend über Hals, Rumpf und Arme aus und ist schließlich an den Beinen feststellbar. Eine der Ausnahmen von dieser Regel ist die sog. Läuferstarre, die nach starker Beanspruchung der Beinmuskulatur an den Beinen beginnt und erst danach an den Armen entsteht.

      Als Brechen der Totenstarre bezeichnet man das Wiederherstellen der Beweglichkeit durch einen mehr oder weniger großen Kraftaufwand an den Gelenken. Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt das erfolgt, kann die Starre erneut eintreten. Da nicht alle Muskelfasern gleichzeitig totenstarr werden, tritt nach dem Brechen die Versteifung in dem dazugehörigen Gelenk dann von Neuem ein, wenn zuvor noch nicht alle Muskelanteile erstarrt waren.

      Die Lösung der Totenstarre wird durch die Selbstverdauung (Autolyse) der Muskeleiweiße bewirkt, später tritt die Leichenfäulnis hinzu.

      Zum zeitlichen Ablauf des Eintretens und des Lösens sind stark abweichende Angaben in der Fachliteratur zu finden. Nach etwa 2 bis 4 Stunden kann die Totenstarre in den Kiefergelenken, nach etwa 8 bis 10 Stunden am ganzen Körper vollständig ausgeprägt sein. Ein Wiedereintreten nach Brechen ist innerhalb von 7 bis 8 Stunden nach dem Tod zu erwarten. Das Lösen der Totenstarre erfolgt in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur, bei hohen Temperaturen etwa nach 24 Stunden, bei niedrigen erst nach einigen Tagen.

      In der älteren Literatur wird von Fällen sog. kataleptischer Totenstarre berichtet. Dabei soll das Starrwerden der Muskulatur unmittelbar nach dem Tod schlagartig eintreten, sodass die bei Todeseintritt eingenommene Körperhaltung fixiert wird. Bei einer kritischen Überprüfung der Fallberichte konnte dieses Phänomen nicht bestätigt werden.

      Kriminalistisch bedeutsam ist die Totenstarre

als sicheres Todeszeichen und
für die Todeszeitschätzung.

      II. Tod und Leichenuntersuchung2. Frühe Leichenveränderungen › 2.3 Erkalten

      Beim Menschen werden Wärmebildung und Wärmeabgabe so reguliert, dass die Körpertemperatur um 37 °C konstant gehalten werden kann. Mit dem Eintritt des Todes entfällt die zentrale Steuerung, und die Wärmeproduktion hört allmählich auf. Die Abkühlung der Leiche setzt ein und dauert so lange an, bis die Umgebungstemperatur erreicht ist. Über die Haut erfolgt die Wärmeabgabe durch Abstrahlung, durch Ableitung an die umgebende Luft und an die Aufliegefläche sowie durch Verdunstung. Diese physikalischen Prozesse werden von vielfältigen Faktoren beeinflusst. Die entscheidende Größe ist das Gefälle zwischen Körper- und Umgebungstemperatur. Die Körpertemperatur weicht in einigen Fällen vom Normwert ab. Bei fieberhaften Erkrankungen kann die Ausgangstemperatur höher und bei Unterkühlung niedriger als 37 °C liegen. Dicke Bekleidung und Bedeckung, gut isolierende Unterlagen und eine zusammengekauerte Körperhaltung verzögern die Abkühlung. Die langsamere Wärmeabgabe fettleibiger Leichen ist vorrangig auf den größeren Körperradius zurückzuführen und nicht nur durch die isolierende Wirkung des Fettgewebes zu erklären. Luftbewegung, hohe Luftfeuchte und ein begünstigendes Milieu (kaltes Wasser, gut wärmeableitende Unterlage) bewirken eine beschleunigte Abkühlung. Säuglinge und Kleinkinder kühlen besonders rasch ab, weil bei ihnen die im Verhältnis zur Körpermasse relativ große Körperoberfläche die Wärmeabgabe begünstigt.

      Die Leichenabkühlung verläuft in drei Phasen, die sich grafisch als Sigmoidkurve der Mastdarmtemperatur darstellen lassen. In den ersten 2 bis 3 Stunden bleibt die Sterbetemperatur bestehen oder fällt nur geringfügig ab. Deshalb wird der Anfangsteil der Kurve als Temperaturplateau bezeichnet. Die initiale Hemmung der Abkühlung ist zurückzuführen auf einen Wärmeaustausch innerhalb des Körpers. Danach folgt ein nahezu geradliniges Absinken der Mastdarmtemperatur um rund 1 °C pro Stunde. Mit Verringerung des Temperaturgefälles zwischen Leiche und Umgebung verlangsamt sich die Abnahme der Körpertemperatur. Man spricht von terminaler Verzögerung als letzter Phase der Abkühlungskurve.

      Kriminalistisch bedeutsam ist

die Leichenabkühlung für die Todeszeitschätzung und
die Leichenkälte als frühes Zeichen des Todes.

      II. Tod und Leichenuntersuchung › 3. Späte Leichenveränderungen

      Die späten Leichenveränderungen führen weitaus häufiger zu einer Zersetzung als zu einer Konservierung des Leichnams. Bei der Leichenzersetzung überwiegen die bakteriell bedingten Fäulnisprozesse. Nicht selten sind Insekten beteiligt. Vor allem durch Madenfraß kann in relativ kurzer Zeit eine Skelettierung entstehen. Abhängig von verschiedenen Voraussetzungen tritt eine natürliche Leichenkonservierung ein. Am häufigsten sind Mumifizierung und Fettwachsbildung. In der Praxis überwiegen die Fälle, bei denen verschiedene Leichenveränderungen in unterschiedlichen Stadien nebeneinander zu beobachten sind.

      Der Ablauf der späten Leichenveränderungen kann von Leiche zu Leiche wie auch an ein und demselben Leichnam außerordentlich verschieden sein. So ist es möglich, dass einzelne Teile des Körpers durch Mumifizierung oder Fettwachsbildung konserviert werden, während der Rest eine fäulnisbedingte Zersetzung aufweist. Ebenso können die Abbauprozesse an einer Leiche unterschiedlich schnell voranschreiten. Kopf und Arme sind bereits skelettiert, Rumpf und Beine hingegen noch relativ gut erhalten, weil Kleidung oder andere Bedeckung diese Körperpartien vor stärkerer Zersetzung geschützt hat.

      Den späten Leichenveränderungen geht die Autolyse voran. Es handelt sich um eine Selbstverdauung der Körpergewebe, die durch Zellenzyme bewirkt wird. Die Autolyse vollzieht sich an den inneren Organen unter anderem als Erweichung des Nebennierenmarks, der Magenwand und der Bauchspeicheldrüse.

      Für die kriminalistische Praxis hat die Hauterweichung (Mazeration) von Neugeborenen eine gewisse Bedeutung. Gelegentlich endet eine Schwangerschaft mit dem Tod der Frucht in der Gebärmutter. Nach dem Absterben setzen die Autolyse sowie eine Hauterweichung durch das Fruchtwasser ein. Das äußere Erscheinungsbild der Mazeration einer Leibesfrucht darf nicht als Leichenfäulnis verkannt werden. Das würde zu einer erheblichen Überschätzung der Leichenliegezeit führen.

      II. Tod und Leichenuntersuchung3. Späte Leichenveränderungen › 3.1 Fäulnis und Verwesung


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