Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber
am eingeschränkten Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG, unterworfen zu werden.
§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › IV. Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?
IV. Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?
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Das BVerfG hat sich wiederholt, seit Beginn seiner Rechtsprechung, als „Herr seiner Verfahren“ bezeichnet (vgl BVerfGE 13, 54, 94; 36, 342, 357; 60, 175, 213). Es leitet diesen Herrschaftsanspruch insbesondere aus der für sich reklamierten Stellung als Verfassungsorgan ab.
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Die Behauptung eigener Verfahrensautonomie des BVerfG wird prima facie durch Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG dementiert. Denn danach sind dem BVerfG – anders als den übrigen Verfassungsorganen – Verfassung und Verfahren durch den Bundesgesetzgeber vorgegeben. Es besitzt also gerade nicht die Befugnis, sein Verfahren selbst zu regeln[23]. Die erstrittene Geschäftsordnungsautonomie betrifft lediglich den internen Geschäftsgang, nicht aber die Stellung des BVerfG gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Die Redeweise vom BVerfG als „Herr seiner Verfahren“ wird denn auch im Schrifttum als „gründlich missglückt“ charakterisiert[24], verbunden mit der Aufforderung, sie tunlichst beiseite zu lassen[25]. Verfahrensherrschaft kann danach in der Tat nicht rechtliche Ungebundenheit bedeuten; die Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über die Verfassung und das Verfahren des BVerfG stehen nicht zur Disposition des Gerichts. Das BVerfG nennt sich denn nun auch – präziser – Herr des Verfahrens „im Rahmen rechtlicher Bindungen“ (BVerfGE 60, 175, 213).
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Was aber kann Verfahrensherrschaft unter dieser Voraussetzung bedeuten? Das BVerfG deutet die angebliche Lückenhaftigkeit der Prozessordnung als implizite Ermächtigung, diese durch eigene Regelungen autonom zu schließen: „Das BVerfGG enthält keine erschöpfende Verfahrensregelung, sondern beschränkt sich auf wenige, unbedingt erforderliche, den Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens angepasste Bestimmungen. Im Übrigen ist es dem Gericht überlassen, die Rechtsgrundlagen für eine zweckentsprechende Gestaltung seines Verfahrens im Wege der Analogie zum sonstigen deutschen Verfahrensrecht zu finden“ (BVerfGE 1, 109, 110 f; siehe auch BVerfGE 2, 79, 84). Diese angebliche Befugnis des BVerfG zur Schließung wirklicher oder vermeintlicher Lücken in der gesetzlichen Regelung des Verfassungsprozessrechts stößt, auch wenn sie sich auf die Entstehungsgeschichte des BVerfGG berufen kann[26], auf durchgreifende Bedenken[27]. Sie lässt außer Acht, dass nicht ein vom BVerfG in Selbstermächtigung frei geschöpftes Verfahren, sondern nur die gesetzlich bestimmte Verfahrensordnung dem Prozedieren und Entscheiden des BVerfG die – wie für alle Staatsgewalt, so auch für dieses Rechtsprechungsorgan erforderliche – demokratische Legitimation zu vermitteln vermag[28]. Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG enthält daher nicht nur eine Regelungsermächtigung, sondern auch eine Regelungsverpflichtung, der der Gesetzgeber (vollumfänglich) nachkommen muss.
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Trotzdem ist es nicht falsch, wenn das BVerfG als „Herr des verfassungsgerichtlichen Verfahrens“ bezeichnet wird, also als derjenige, der den Ablauf des Verfahrens nach seinem eigenen Willen bestimmt. Diese Herrschaft vollzieht sich indes nicht schlicht und einfach durch – rechtswidrige – Missachtung des vorrangigen Verfahrensgesetzesrechts, sondern – subtiler und verfahrensrechtlich unangreifbar – durch dessen „eigenmächtige“ Interpretation. So hat beispielsweise das BVerfG mit der Entwicklung der so genannten Doppelhypothese (siehe dazu Rn 1054 ff) einen autonomen, von den sonstigen Prozessordnungen abweichenden Entscheidungsmaßstab für seine Entscheidung über beantragte einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG festgelegt. Darüber hinaus hat es die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgenaussprüche bei Normverwerfungen „ausdifferenziert“ und damit modifiziert. Mit Hilfe dieser Selbststeuerung des verbindlichen Entscheidungsinhaltes übt es interpretative Herrschaft im Verfahren aus. Gleiches gilt für die Extension der Entscheidungswirkungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, indem hier die Bindungswirkung über den Entscheidungstenor hinaus auf die tragenden, verfassungsrechtlichen Gründe erstreckt wird, und für die Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG (dazu Rn 28 ff).
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Das BVerfG vermag auch durch strenge(re) oder „großzügige(re)“ Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der einzelnen Verfahrensarten den Zugang zu ihm selbst zu verschließen bzw weit zu öffnen. Beispiele dafür sind einerseits die beständige Steigerung der Zulässigkeitsanforderungen an Richtervorlagen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG einerseits, die Zulassung von auf Art. 38 Abs. 1 GG im Sinne eines subjektiven Rechts auf Bewahrung der Demokratie[29] auch im fortgesetzten Prozess europäischer Integration gestützten Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Verfassungsänderungen (BVerfGE 89, 155), den Vertrag von Lissabon (BVerfGE 123, 267) und zuletzt gegen den OMT-Beschluss der Europäischen Zentralbank (BVerfGE 134, 366; 142, 123, 173–175 mwN) andererseits[30].
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Die Frage, ob das BVerfG bei alledem stets die Grenzen möglicher Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften hinreichend beachtet hat oder – darüber hinausgehend – in unzulässiger Weise Rechtsfortbildung betrieben hat (äußerst kritisch insoweit zum OMT-Vorlagebeschluss die Sondervoten Lübbe-Wolff und Gerhardt, BVerfGE 134, 366, 419 ff, 430 ff, vgl auch Rn 70 f), die allein Sache des Gesetzgebers ist, erscheint müßig. Denn sowohl die Interpretation wie auch eine etwaige Rechtsfortbildung ist verfahrensrechtlich nicht angreifbar, allenfalls, wenn der Gesetzgeber die dafür notwendige „Widerstandskraft“ aufbringen sollte, gesetzlich mit Wirkung pro futuro revidierbar.
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In diesem Sinne einer Interpretationsherrschaft kommt dem BVerfG in der Tat aufgrund seiner Kompetenz zur verbindlichen Letztentscheidung der reklamierte Anspruch auf Herrschaft über und durch das Verfahren zu; die prozessrechtliche Gebundenheit geht also mit interpretativer Autonomie einher.
§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › V. Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?
V. Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?
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Gemäß § 35 BVerfGG kann das BVerfG in seiner Entscheidung nicht nur bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Das BVerfG erblickt in dieser Vorschrift eine unbeschränkte Generalermächtigung zum Erlass von Vollstreckungsanordnungen; der Gesetzgeber habe ihm mit § 35 BVerfGG insoweit „die volle Freiheit belassen“, das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen (BVerfGE 6, 300, 304). Das BVerfG hat diese Kompetenz dazu benutzt, insbesondere in Normenkontrollverfahren nach der Nichtigerklärung eines Gesetzes durch von Amts wegen erlassene Vollstreckungsanordnungen dem Gesetzgeber detaillierte Vorgaben zu machen, die den Charakter einer richterlichen Anweisung für eine zukünftige verfassungskonforme Neuordnung annehmen. „Auf diese Weise erhält die Vollstreckungsregelung, als bloße Übergangsbestimmung deklariert, in ihrer Eigenart wie ihrer Wirkung den Charakter einer gesetzesvertretenden Notverordnung“[31].
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Das BVerfG und