Verfassungsprozessrecht. Christian Hillgruber

Verfassungsprozessrecht - Christian Hillgruber


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und wirksamste Weise in einen verfassungsmäßigen zu überführen“[32]. In Wahrnehmung seiner so verstandenen Entscheidungsverantwortung hat das BVerfG – vergleichbar den Verfahren der Kommunalaufsicht – ein abgestuftes Interventionsinstrumentarium entwickelt. Dieses beginnt mit der „Beanstandung“, also der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme oder Norm, führt sodann über die Anweisung zur Behebung des Verstoßes (als Akt der „Selbstreinigung“), also über den (fristgebundenen) Handlungsauftrag an den Gesetzgeber, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, bis hin zur „Ersatzvornahme“, dh zu einer Art von Selbsteintrittsrecht des BVerfG, das bei „Versagen“ des Gesetzgebers selbst als „Not- oder Ersatzgesetzgeber“[33] fungiert (vgl BVerfGE 39, 1, 2 f, 68; 88, 203, 209 ff, 336 ff; 102, 197, 198, 223; 103, 111, 113, 141 f; 109, 256, 274; 127, 123, 163–165).

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      Zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise wird häufig angeführt, dass das BVerfG dem Gesetzgeber „Steine statt Brot“ gäbe, wenn es im Zusammenhang mit einer Verfassungswidrigerklärung eines Gesetzes nicht zugleich dem Gesetzgeber signalisierte, wie eine verfassungskonforme Regelung aussehen könnte; ansonsten wäre der nächste Verfassungsprozess vorprogrammiert (s. dazu BVerfGE 108, 282, 314, 336 f – SV Jentsch, Di Fabio, Mellinghoff). Doch eine solche, über die Gesetzesverwerfung hinausgehende, die dem Gesetzgeber obliegende Entscheidung vorprägende und zumindest teilweise vorwegnehmende Wegweisung durch das BVerfG lässt sich auch nicht mit gerichtlicher Fürsorge rechtfertigen: „Der Gesetzgeber ist selbst und aus sich heraus für die Verfassungsmäßigkeit seiner gesetzgeberischen Entscheidungen verantwortlich“ (BVerfGE 93, 121, 152 – SV E.-W. Böckenförde).

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      Geht die Ausübung der Befugnisse nach § 35 BVerfGG durch das BVerfG mitunter auch so weit, dass es den Gesetzgeber unter Umständen sogar, falls er nicht binnen einer gesetzten Frist „pariert“, zur Umsetzung seiner verfassungsrechtlichen Anweisungen für entbehrlich erachtet, indem es selbst vorschreibt, wie die Rechtslage sein soll, wenn der Gesetzgeber die ihm gesetzte Frist für eine Neuregelung verstreichen lässt (siehe nur BVerfGE 99, 300, 304), so darf andererseits nicht übersehen werden, dass dem BVerfG eine Vollstreckungsgewalt im eigentlichen Sinne, dh eine Befehls- und Zwangsgewalt fehlt. Es ist und bleibt letztendlich stets hinsichtlich der Befolgung seiner Entscheidungen und deren Umsetzung auf die Akzeptanz der anderen Staatsorgane angewiesen. Diese sind zwar, soweit die Rechtskraft und die darüber hinausgehende Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG reichen, von Rechts wegen zum Gehorsam verpflichtet. Sie haben es aber jedenfalls faktisch in der Hand, sich den Entscheidungen des BVerfG und ihren Folgewirkungen zu entziehen. Das BVerfG muss deshalb im ureigenen Interesse – zur Wahrung seiner unangefochtenen Autorität – darauf achten, dass es die übrigen Staatsgewalten nicht „überfordert“, indem es den relativ unbestimmten Verfassungsrechtssätzen allzu detaillierte Vorgaben entnimmt, die deren eigene Gestaltungsfreiheit übermäßig beschneidet. Bisher haben sich die übrigen Staatsorgane, zumeist sogar klaglos, in ihr Schicksal gefügt und sind dem BVerfG in steter „Verfassungsorgantreue“ gefolgt.

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      Das BVerfG verfügt nicht über zwangsweise Durchsetzungsmechanismen gegenüber einer Politik, die sich weigert, die Konsequenzen aus der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu ziehen.

      Auf die sich daraus ergebenden Grenze des Justitiablen macht das Sondervotum Lübbe-Wolff (BVerfGE 134, 366, 419, 421) nachdrücklich aufmerksam: „Bei der Bestimmung der Reichweite richterlicher Kompetenzen muss die Reichweite richterlicher Durchsetzungsmacht berücksichtigt werden. Das ist nicht nur eine Klugheitsregel zur Vermeidung von Autoritätsverlusten, die der Funktionsfähigkeit eines Gerichts gefährlich werden können, sondern auch ein Gebot des Rechts. Denn die Machtmittel, mit denen Verfassung und Gesetz ein Gericht oder die Gerichte im Allgemeinen ausgestattet oder nicht ausgestattet haben, lassen Schlüsse auf die dem Gericht oder der Justiz im Allgemeinen zugedachten Kompetenzen zu.“

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      Möglicherweise führt aber seine europaverfassungsrechtliche Rechtsprechung das BVerfG hier an Grenzen, „die Grenzen des ohne Verstoß gegen Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip durch ein Gericht Entscheidbaren“; davor hat insbesondere die Richterin Lübbe-Wolff (Sondervotum, BVerfGE 134, 366, 419, 420, das Gericht gewarnt.

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      Dabei profitiert das BVerfG auch von dem Gegeneinander der Regierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit einerseits, der Opposition (in Bund und Ländern) andererseits; so ärgerlich eine juristische Niederlage in Karlsruhe ist, eine politische Trotzreaktion dagegen ist nicht nur juristisch zwecklos, sondern auch politisch schädlich; sie würde vom politischen Gegenspieler als „Anschlag auf die Verfassung“ gebrandmarkt und damit politisch erfolgreich abgewehrt. Unter diesen politischen Rahmenbedingungen aber genügt das Wissen um die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen des BVerfG, um einzusehen, dass politischer Widerstand sinnlos wäre. Die Entscheidungen


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