Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
Fall 2 Die Smokers Lounge › Lösung
Lösung
A. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
I. Beteiligtenfähigkeit (Verfassungsbeschwerdefähigkeit)
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Verfassungsbeschwerde kann gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG von „jedermann“ mit der Behauptung erhoben werden, in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Gemeint sind solche des Grundgesetzes. Da die Verfassungsbeschwerdebefugnis also nicht auf die Verletzung von Unionsrecht gestützt werden kann, kann sich aus diesem auch nicht die Beteiligtenfähigkeit ergeben[1].
Exkurs:
Auch den Gewährleistungen der EMRK kommt kein Verfassungsrang zu, so dass sie ebenfalls kein geeigneter Prüfungsmaßstab für das Verfassungsbeschwerdeverfahren sind[2]. Das BVerfG zieht sie bzw die Entscheidungen des EGMR aber sehr wohl als Konkretisierungen der Grundrechte des GG heran[3]: Es müsse jedenfalls die Möglichkeit bestehen „in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu rügen, staatliche Organe hätten eine Entscheidung des Gerichtshofs missachtet oder nicht berücksichtigt. Dabei steht das Grundrecht in einem engen Zusammenhang mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vorrang des Gesetzes, nach dem alle staatlichen Organe im Rahmen ihrer Zuständigkeit an Gesetz und Recht gebunden sind (vgl BVerfGE 6, 32, 41)“.
Die Verfassungsbeschwerdebefugnis setzt voraus, dass der Beschwerdeführer überhaupt Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann, knüpft also an die Grundrechtsfähigkeit an[4]. Während der Anspruch auf „ihren“ gesetzlichen Richter für alle Prozessbeteiligten gilt[5], bedarf die Verfassungsbeschwerdebefugnis bei S im Übrigen näherer Prüfung. Träger von Grundrechten können (außer natürlichen Personen) nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG nur inländische juristische Personen des Privatrechts sein. Maßgebend für die Qualifikation als inländisch ist der (tatsächliche) Sitz[6]. Danach ist S als ausländische juristische Person einzuordnen. Allerdings folgt aus den Grundfreiheiten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV das Verbot einer Ungleichbehandlung in- und ausländischer juristischer Personen. Jedenfalls im verfassungsgerichtlichen Verfahren lässt sich diese nur dadurch erreichen, dass man die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen aus Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der EU erstreckt[7].
II. Beschwerdegegenstand: Akt öffentlicher Gewalt, § 90 Abs. 1 BVerfGG
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Als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde kann jeder Akt der öffentlichen Gewalt in Betracht kommen (§ 94 Abs. 3 BVerfGG). Vorliegend kommen also neben der in jedem Fall anzugreifenden letztinstanzlichen Entscheidung auch die Urteile der Vorinstanzen, der ursprüngliche Verwaltungsakt sowie das Gesetz in Betracht. In jedem Fall liegt nur eine Verfassungsbeschwerde vor[8].
Exkurs:
Im vorliegenden Fall bereitet dieser Prüfungspunkt keine Probleme. Anders verhält es sich bei der Frage, ob auch Akte „ausländischer Gewalt in Deutschland“ Gegenstand der bundesverfassungsgerichtlichen Kontrolle sein können, wie es in der Maastricht-Entscheidung anklingt[9]. Dies kann jedoch allenfalls mittelbar der Fall sein, wenn entweder die Zustimmungs- oder Vollzugsgesetze Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sind. Ein Akt deutscher öffentlicher Gewalt liegt auch bei einem Gesetz vor, das der Umsetzung von Unionsrecht dient. Die Frage, ob dieses überhaupt am Maßstab der Grundrechte geprüft werden kann, ist dogmatisch am besten als Frage der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung, also im Rahmen der Verfassungsbeschwerdebefugnis zu prüfen. Akte von Unionsorganen (insb Richtlinien und Verordnungen) können selbst genauso wenig Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein wie die Mitwirkungsakte deutscher Organe[10].
III. Verfassungsbeschwerdebefugnis, § 90 Abs. 1 BVerfGG
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Die Beschwerdebefugnis setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch den entsprechenden Akt öffentlicher Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt wurde, dh er geltend macht, durch den angegriffenen hoheitlichen Akt selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Rechten betroffen zu sein. S rügt eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit gem. Art. 12 GG. Es ist nicht von vorneherein auszuschließen, dass das Urteil bzw das gesetzliche Rauchverbot in ungerechtfertigter Weise in die gem. Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der S in ungerechtfertigter Weise eingreifen (sachlicher Schutzbereich). Allerdings ist fraglich, inwieweit sich S überhaupt auf Art. 12 GG berufen kann (persönlicher Schutzbereich)[11]. Wenn man bei juristischen Personen schon gezwungen ist, Art. 19 Abs. 3 GG erweiternd auszulegen (s. o.), spricht vieles dafür, auch die Deutschengrundrechte auf EU-Ausländer anzuwenden. Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kann diese Frage allerdings dahinstehen, da jedenfalls eine Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG möglich ist und dies für die Zulässigkeit der VB genügt[12]. Auf jeden Fall kann S Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) verletzt zu sein[13]. Nicht gerügt werden können allerdings (unmittelbar) die Grundfreiheiten des AEUV.
Exkurs:
Nur bei der Rechtssatzverfassungsbeschwerde bedarf es zwingend näherer Prüfung, dass der Beschwerdeführer auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist. Selbstverständlich ist es aber zulässig, diese Konkretisierung der Maßstäbe auch vorliegend anzusprechen: S macht geltend, in eigenen Grundrechten verletzt zu sein und ist daher selbst betroffen. Gegenwärtigkeit ist gegeben, wenn der Beschwerdeführer schon oder noch betroffen ist, dh die Beschwer weder nur zukünftig droht noch bereits wieder entfallen ist. Unmittelbarkeit liegt vor, wenn der angegriffene Akt ohne weiteren, vermittelnden Umsetzungsakt in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirkt. Hinsichtlich des letztinstanzlichen Urteils ist dies ohne weiteres der Fall[14].
IV. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind anzusprechen, bereiten aber bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde keine Probleme. Insbesondere ist bei einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BVerwG der Rechtsweg ohne weiteres erschöpft, vgl § 90 Abs. 2 BVerfGG. Auf die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO, die teilweise über den ausdrücklich geregelten Fall des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG und seine einfachgesetzlichen Konkretisierungen) auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG erstreckt wird[15] und dazu führen würde, dass dieser Rechtsbehelf Vorrang vor einer Verfassungsbeschwerde hat[16], war nach dem Bearbeitervermerk nicht einzugehen. Ebenfalls keiner näheren Erörterung bedarf mangels entsprechender Angaben die Frist (§ 93 BVerfGG).
Hinweis:
Obwohl in der Sache vor allem die gesetzliche Regelung angegriffen wird, ist die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht einschlägig, die lediglich die sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde (nur) gegen ein Gesetz betrifft, aber als rein prozessrechtliche Regelung selbstverständlich keine „Heilung“ der Norm herbeiführt. Für die vorliegende Konstellation wird tlw der Begriff der „mittelbaren Rechtssatzverfassungsbeschwerde“ verwendet, was aber nur klarstellt, dass im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde zwar nur eine „inzidente Normenkontrolle“ stattfindet, über die Verwerfung einer Norm aber auf Grund der Ausnahmevorschrift des § 95 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG – genauso wie bei einer abstrakten Normenkontrolle – allgemeinverbindlich, dh mit Gesetzeskraft, entschieden wird (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BVerfGG).
B. Die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Hinweis: