BGB Allgemeiner Teil I. Achim Bönninghaus
müssen von Ihrem Ergebnis überzeugt sein.
Ein erstes Gefühl (Judiz) wird sich bei Ihnen nach der Erfassung des Sachverhalts eingestellt haben: Das kann der A vom B verlangen, jenes sicher nicht.
Nun lösen Sie sich von diesem Gefühl (soweit es eben geht) und prüfen „emotionslos“ jeden Punkt durch. Dann kommt die Nagelprobe: Stimmt das Endergebnis mit Ihrem ersten Gefühl überein?
Wenn ja, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ihre Prüfung im Einklang mit den wesentlichen Normen steht. Widerspricht Ihr Ergebnis jedoch Ihrem ersten Gefühl (Motto: „Das kann ja wohl nicht richtig sein!“), gibt es mehrere Möglichkeiten:
Ihre Prüfung könnte Sie zu Gesichtspunkten geführt haben, die Sie bei näherer Betrachtung doch von dem abweichenden Ergebnis überzeugen. Sie hatten bei Ihrer ersten Einschätzung einfach verschiedene Aspekte nicht bedacht und haben sich nun eines Besseren belehren lassen.
Wenn dies nicht der Fall ist, müssen Sie noch einmal jeden Punkt durchgehen. Möglicherweise haben Sie Anspruchsgrundlagen, Einwendungen oder Einreden übersehen und noch gar nicht geprüft.
Werden Sie auch insoweit nicht fündig, überlegen Sie doch einmal, ob es vertretbare methodische Möglichkeiten für eine Ergebniskorrektur gibt. Häufig sind gerade durch diese Erwägungen viele Punkte zu holen.
Sie könnten das Ergebnis vielleicht mittels einer analogen Anwendung einer anderen Norm ändern. Dazu müsste eine planwidrige Regelungslücke bestehen und der Gesetzgeber die andere Norm bei plangemäßer Regelung auch für diesen Fall entsprechend aufgestellt haben.[2]
Umgekehrt besteht die Möglichkeit, dass der Wortlaut einer von Ihnen angewendeten Norm zu weit geht und Sie den Anwendungsbereich der Norm nachträglich reduzieren wollen. Sie möchten die Norm also doch nicht auf Ihren Fall anwenden. Die Reduktion müsste dann nach Sinn und Zweck der Norm geboten sein. Man nennt diesen Vorgang auch „teleologische Reduktion“.[3]
Schließlich bleibt in besonderen Fällen die Möglichkeit einer Korrektur nach Treu und Glauben (§ 242), zum Beispiel wegen unzulässiger Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens.
1. Teil „Ein Rundflug“ › C. Wie schreibe ich es auf? › X. Auswertung der „Musterlösung“
X. Auswertung der „Musterlösung“
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Auch Juristen kochen nur mit Wasser. Die Tatsache, dass Sie mit Ihrem Gutachten mal neben der sog. „Musterlösung“ gelegen haben, lässt noch keine Rückschlüsse auf Ihre juristischen Fähigkeiten zu. Entscheidend ist, ob die von Ihnen vertretene Auffassung anhand des Gesetzes und bei Anwendung der methodischen Grundregeln vertretbar ist. Um das herauszufinden, müssen Sie Ihre Arbeiten sorgfältig mit der Musterlösung abgleichen. Prüfen Sie, welche Fehler auf Unaufmerksamkeit beruhten, welche Fehler die Folge fehlenden Wissens oder falschen Verständnisses von Normen und Normzwecken waren. Es verbleiben dann möglicherweise noch Feststellungen, welche Ihrer Meinung auch anders gesehen werden können. Hat Ihnen ein Korrektor solche Punkte ohne nähere Begründung als Fehler angekreidet, sollten Sie diesen Punkt mit ihm diskutieren. Auch Korrektoren machen Fehler und sich ihre Sache bei abweichenden Lösungsansätzen gelegentlich etwas zu einfach.
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Anmerkungen
Vorlagebeschluss zum EuGH vom 16. August 2006 (Az: VIII ZR 200/05) = NJW 2006, 3200. Der Gesetzgeber hat das Thema für den Verbrauchsgüterkauf durch § 475 Abs. 3 S. 1 n.F. erledigt. Wir werden den Fall im Kaufrecht näher behandeln.
Palandt-Ellenberger Einl. v. § 1 Rn. 48.
Palandt-Ellenberger Einl. v. § 1 Rn. 49.
2. Teil Die Funktion und Struktur von Rechtsgeschäften
Inhaltsverzeichnis
A. Rechtsgeschäft und Privatautonomie
B. Definition des Rechtsgeschäfts
C. Einteilung von Rechtsgeschäften
D. Aufbau von Rechtsgeschäften
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Wie wir auf unserem Rundflug im vorhergehenden Abschnitt gesehen haben, spielt das Rechtsgeschäft auf jeder Ebene der Anspruchsprüfung offenbar eine wichtige Rolle.
Betrachten wir nun die Funktion und Struktur des Rechtsgeschäfts etwas genauer.
2. Teil Die Funktion und Struktur von Rechtsgeschäften › A. Rechtsgeschäft und Privatautonomie
A. Rechtsgeschäft und Privatautonomie
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Jede rechtsfähige Person ist in der Gestaltung ihrer rechtlichen Verhältnisse grundsätzlich frei. Jede Person gestaltet ihre Rechtsbeziehungen autonom, d.h. selbstständig, nach ihrem eigenen Willen und unabhängig vom Staat. Diese Freiheit der Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben nennen wir Privatautonomie.[1] Die Privatautonomie ist als Ausdruck unserer allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistet und geschützt.[2]
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Aus der in den Grundrechten verankerten Gewährleistung der Privatautonomie folgt, dass der Gesetzgeber dem Einzelnen Gestaltungsmittel zur Verfügung stellen muss, deren Ergebnisse als rechtsverbindlich zu behandeln sind und auch im Streitfall gerichtlich durchsetzbare Rechtspositionen begründen. Nur dann steht der Grundsatz der Privatautonomie nicht nur auf dem Papier, sondern wird als rechtliche Gestaltungsmacht tatsächlich gewährleistet.
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Das in unserer